Folgen des NRW-Desasters Die FDP schafft sich ab
15.03.2012, 13:44 Uhr
Die FDP im Sinkflug: Bald nur noch politisches Schattenboxen?
(Foto: dpa)
Der Landtag ist aufgelöst, Nordrhein-Westfalen wird im Mai wählen. Und die FDP wohl aus dem Parlament fliegen. Schon wieder. Die Systemkrise der Finanzwirtschaft, ein immenser Themen-Aderlass sowie strategische Fehlentscheidungen machen die Partei immer mehr zum rebellierenden Statisten. Ihre Dauerkrise könnte zur Existenzfrage mutieren.
14,6 Prozent, das war im Jahr 2009. Ein für die FDP nie dagewesenes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Umfragen sagen heute: 3 Prozent. Was zu Beginn der liberalen Parteikrise noch als kurzfristiges Tief abgetan wurde, ist inzwischen zur festen Größe geworden.
Nur eine Stimme der Liberalen hätte gereicht, um die Partei vorerst im Landtag zu halten. Bei der Abstimmung zum Haushalt 2012 in NRW lehnten alle FDP-Politiker den Entwurf der rot-grünen Minderheitsregierung ab. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD hatte schon vor der Abstimmung angekündigt, in einem solchen Fall die Auflösung des Landtages beantragen zu wollen. Sie tat es.
"Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der gescheiterten Minderheitsregierung und der soliden Arbeit von Schwarz-Gelb in Berlin", sagt FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Aber: Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland der Republik, allein deshalb haben die im Mai anstehenden Neuwahlen Signalwirkung. Für die FDP ohnehin, die seit einer gefühlten Ewigkeit kein zufriedenstellendes Wahlergebnis erzielen konnte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie aus allen drei Landtagen fliegt, die bis zum Showdown auf Bundesebene im Jahr 2013 noch neu besetzt werden.
Rösler verschiebt USA-Reise
Gegen die verbale Beruhigungspille Dörings spricht auch die Entscheidung von Parteichef Philipp Rösler: Nach den Ereignissen in Düsseldorf sagte er einen zweitägigen Besuch in den USA ab. Er wollte die Wirtschaftsbeziehungen mit dem transatlantischen Partner zu stärken. Nun bleibt er zu Hause und versucht Ruhe in die Partei zu bekommen.
"Ich glaube an unseren Erfolg. Der FDP sind Überzeugungen wichtiger, als einer falschen Politik zu helfen", zeigte sich NRW-Landeschef Daniel Bahr nach der Auflösung des Landtages optimistisch. Er hat keinen Grund dazu. Im westlichen Bundesland würden diese Überzeugungen derzeit nicht mehr als 2 Prozent der Wähler mit ihrer Stimme honorieren. Bisweilen konnten Meinungsforschungsinstitute bei Umfragen die Antworten von FDP-Anhängern gar nicht mehr statistisch auswerten. Es waren zu wenige.
Das Problem der Partei sind die schlechten Werte, die offenbar auch kein "Abstrafen" wegen tagespolitischer Ereignisse sind. In Berlin etwa ist die FDP noch nicht einmal mehr in den Bezirksverordnetenversammlungen vertreten, geschweige dem Abgeordnetenhaus. Umfragen lassen Ähnliches für die kommenden Wahlen im Saarland sowie Rheinland-Pfalz vermuten. Röslers Rebellen werden nach und nach im ganzen Land zu Statisten.
Wenn der Koalitionspartner der Union in der Konsequenz dann auch aus dem Bundestag fliegen sollte – dann wird die Dauerkrise der FDP zur Existenzfrage.
Gestaltungshoheit verloren
Die Partei hat sich offenbar zu lange auf marktwirtschaftliche Komponenten fokussiert, und die Gestaltungshoheit bei Diskussionen zu anderen traditionellen liberalen Themen an die Konkurrenz verloren. In Sachen Bürgerrechte kommt personell nach Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ein Überbleibsel der alten Riege, fast niemand. Die Grünen und die Piratenpartei warten nur darauf, geeignete Köpfe in politische Verantwortung zu bringen.
Überwachung, Datenschutz, zu viel staatliche Regulierung im Netz – vormals Kernthemen liberaler Politik, kollidieren immer häufiger mit Geschäftsinteressen von Unternehmen. Etwa in Sachen Datenschutz und Vermarktung von Nutzerangaben. Ein parteiinterner Spagat, der offenbar schwer zu leisten ist. Die Piraten haben davon profitiert und gelten nun als Experten. Auch, weil sie zusätzlich die technische Expertise glaubhaft aufweisen können.
Geschenke als Bumerang
Die "geistig-politische Wende", die Ex-Parteichef Guido Westerwelle nach dem Wahlerfolg 2009 selbstbewusst und lautstark verkündete, ist offenbar gescheitert. Zumindest will kaum noch jemand etwas davon wissen. Die versprochenen Steuergeschenke wurden zum Bumerang, weil sich Bürger und Unternehmen benachteiligt sahen - wie bei der gesenkten Mehrwertsteuer für Hotels. Auch Parteichef Philipp Rösler "lieferte" nicht, wie er es großspurig bei seinem Amtsantritt angekündigt hatte.
Zusätzlich kam den Liberalen die Finanzkrise in die Quere. Der ständige Blick auf das marktliberale Modell USA wurde zum Malus. Inzwischen setzt dem auch Bundeskanzlerin Merkel Forderungen entgegen, wie etwa die Finanzmarktsteuer.
Der nächste Sargnagel
Zwar wähnte sich die FDP nach der Posse um den Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, den die Liberalen gegen den ursprünglichen Willen des großen Koalitionspartners durchdrückte, schon wieder im Aufwind.
Doch die Auflösung des Landtags in Nordrhein-Westfalen könnte der nächste Sargnagel für die Liberalen in ihrer jetzigen personellen und thematischen Aufstellung sein. Christian Lindner, Ex-Generalsekretär und einst einer der ehemaligen Hoffnungsträger der Partei, wollte mit seinem Rücktritt im Dezember 2011 den Weg für "mehr Dynamik" freimachen, wie er sagte.
Durch die Ablehnung des Haushalts in NRW könnte sich tatsächlich Dynamik entwickeln – und die Lage der FDP spätestens im Mai noch verschlimmern. "Für diesen Mut muss man ihr dankbar sein", sagte CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. "Denn das Risiko für das Land wäre viel größer gewesen, wenn das jetzt noch drei Jahre so weiter gegangen wäre." Bosbachs Lob wird den Liberalen nichts bringen – auch nicht die fünf Prozent der Stimmen, die sie für den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag benötigen.
Quelle: ntv.de