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Drei Gründe Die Misere der SPD

Eigentlich ist die SPD programmatisch auf der Höhe der Zeit. Doch nach dem miserablen Abschneiden bei der Europawahl steht die Partei erneut vor dem Abgrund. Verantwortlich dafür sind drei Probleme, die die Partei nur in der Opposition lösen kann.

Erwartungen nicht erfüllt: Kanzlerkandidat Steinmeier und Parteichef Müntefering müssen sich einer unliebsamen Debatte stellen.

Erwartungen nicht erfüllt: Kanzlerkandidat Steinmeier und Parteichef Müntefering müssen sich einer unliebsamen Debatte stellen.

(Foto: AP)

Die SPD steht mal wieder vor dem Abgrund. Eigentlich sollte die Europawahl der Anfang der Hoffnung sein – von nun an sollte es nur noch aufwärtsgehen, bis hin zum Gipfel der Bundestagswahl. Doch stattdessen haben die Wähler den Sozialdemokraten einen Tiefschlag versetzt, der die Partei unvorbereitet getroffen hat. Tief getroffen hat. Und das Schlimmste: Die SPD weiß nicht, warum.

Franz Müntefering spricht von "Mobilisierungsproblemen". Die SPD habe es nicht geschafft, ihre Wähler an die Urnen zu locken. Der Parteichef setzt auf ein kämpferisches "weiter so", die Sozialdemokraten sollten sich nicht vom richtigen Kurs abbringen lassen. Auch der zunehmend blasse Kanzlerkandidat glaubt, die SPD müsse nur noch stärker kämpfen, um aus dem Tal der Tränen zu kommen. Frank-Walter Steinmeier will "noch mal in die Hände spucken, sich richtig reinlegen". Beide sind von der Richtigkeit des SPD-Kurses überzeugt; offenbar hat nur der Wähler das noch nicht begriffen. Ihr Problem: Der politische Kurs mag stimmen, doch er wird die Krise der SPD nicht beenden.

Drei Gründe für SPD-Misere

Es sind drei Gründe, die gegenwärtig für die Misere der Sozialdemokraten verantwortlich sind: In Deutschland herrscht trotz Krise keine Wechselstimmung, das Personal der SPD überzeugt nicht und noch immer hat sich die Partei nicht vom Schröder-Trauma erholt.

Eigentlich scheint die Zeit wie geschaffen für einen Erfolg der Sozialdemokraten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat den ungebremsten Kapitalismus der Finanzmärkte weltweit in Verruf gebracht und eine Renaissance des Staates eingeläutet. Unter dem Druck der Krise serviert die Kanzlerin in der Großen Koalition Rezepte, die von der SPD gekocht sind. Doch der Koch bleibt in der Küche, die Kellnerin heimst die Lorbeeren ein.

Der fehlende Erfolg liegt zum einen daran, dass die SPD konkrete Antworten auf die Krise schuldig bleibt, wie genau die Märkte reguliert werden sollen. Zum anderen überziehen Steinmeier und Müntefering bei der Rettung von Unternehmen wie Opel und Arcandor mit dem Einsatz von Staatshilfe: Verschleudern soll die Regierung Steuergelder nicht, wie jüngste Umfragen und die Beliebtheit des konservativen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg zeigen. Wirtschaftskompetenz wird der SPD nicht zugetraut.

SPD braucht Wechselstimmung

Wichtiger noch: Der Wähler will den Wechsel nicht. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der bundesrepublikanischen Geschichte: Die SPD braucht eine echte Wechselstimmung, um an die Macht zu kommen. Das war bei Brandt der Aufbruch in einen neuen Zeitgeist und bei Schröder das Ende von 16 Jahren Kohl.

SPD-Chef Müntefering verkörpert nicht den erhofften Aufbruch.

SPD-Chef Müntefering verkörpert nicht den erhofften Aufbruch.

(Foto: REUTERS)

Doch 2009 mögen die Deutschen ihre Kanzlerin und erst recht in der Krise halten sie an Bewährtem fest. Des Wählers Befürchtung: Ein Wechsel zur SPD würde die bestehende Verunsicherung nur noch vergrößern. Und da die Union zurzeit sozialdemokratische Politik imitiert, wird eben die Kopie gewählt anstatt des Originals.

Weder Müntefering ...

Das zweite Problem der SPD ist das Personal. Seit Gerhard Schröder kommt die Partei nicht aus diesem Dilemma heraus. Nach dem unglücklichen Kurt Beck versprachen Steinmeier und Müntefering einen Neuanfang. Doch beide können die Erwartungen nicht erfüllen.

Müntefering verkörpert als Parteichef keinen Aufbruch, in erster Linie hält er die Partei zusammen. Müntefering ist ein Parteichef, der nach innen wirkt, nicht nach außen. Sein Verdienst ist das (vorläufige) Ende der ewigen Flügelkämpfe, doch neue Wähler gewinnt er nicht. Programmatisch schreitet der SPD-Chef nicht voran, er kann kein Ziel am Horizont zeigen, zu dem ihm die Partei - geschweige denn neue Wähler - folgen würden.

... noch Steinmeier überzeugen

Und Kanzlerkandidat Steinmeier verblasst zusehends.

Und Kanzlerkandidat Steinmeier verblasst zusehends.

(Foto: REUTERS)

Eine solche Rolle traut Steinmeier inzwischen wohl auch der leidenschaftlichste SPD-Anhänger nicht mehr zu. Was mit der Ernennung zum Kanzlerkandidaten der Hoffnung begann, ist inzwischen auf dem Steinmeier'schen Boden der Tatsachen angelangt: Er zieht einfach nicht. Dass Steinmeier kein Marktplatz-Magnet ist, war schon vorher allen bewusst. Doch nun zeigt sich, dass er nicht einmal die eigenen Anhänger überzeugt. Einen öffentlichen Streit über ihren Kandidaten werden die Sozialdemokraten so kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr führen, so verrückt ist selbst die SPD nicht. Doch dem Problem muss sich die Partei spätestens am Tag eins nach der Bundestagswahl wieder stellen. Erfreulich wird diese Debatte nicht, zumal - auch das kennt die SPD - kein adäquater Nachfolger in Sicht ist.

Post-Schröder-Trauma

Das dritte Problem der Sozialdemokraten ist inzwischen zu einem strukturellen geworden: Die Verwerfungen der Ära Schröder sind bis heute nicht verwunden, weder in der Partei noch bei den Wählern. Die SPD hat den sogenannten "kleinen Mann" vergrätzt: Durch die Agenda-Politik des Ex-Kanzlers mit ihren missglückten Hartz-Gesetzen hat die SPD klassische Wähler wie einfache Arbeiter und Angestellte sowie Arbeitslose auf lange Sicht als Wähler verprellt. Sie sind zum Teil zur Linkspartei gewandert, zum noch viel größeren Teil zählen sie nun zur stetig wachsenden Masse der Nichtwähler. Und so sehr sich die Partei derzeit auch bemüht – sie kommen nicht zurück. Warum auch?

Die Sozialdemokraten sollten eine Analyse jetzt auf keinen Fall scheuen.

Die Sozialdemokraten sollten eine Analyse jetzt auf keinen Fall scheuen.

(Foto: REUTERS)

Angesichts der ungelösten Probleme schielen nicht wenige in der SPD auf die Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundestagswahl. Lieber mitregieren als sich in der Opposition den Problemen zu stellen und sich neu sortieren zu müssen. Diesen Fehler sollte die Partei nicht machen: Noch einmal vier Jahre Große Koalition werden die Probleme nur verstärken, weil sich die Partei dann eine notwendige Debatte erspart.

Opposition, nicht Regierung

Die SPD muss sich einer ernsthaften Analyse ihrer Probleme stellen. Dazu gehört eine Richtungsentscheidung in Bezug auf die Agenda-Politik Gerhard Schröders. Dazu gehört eine Analyse, wieso die Deutschen der Partei kaum Wirtschaftskompetenz zutrauen. Dazu gehört eine Entscheidung, welche Überzeugungen sie vertreten und damit, welche Wähler angesprochen werden sollen, wenn man die alten nicht mehr erreicht. Und wenn die Inhalte stimmen, dann gehört dazu auch eine erneute Debatte über das Personal. Das alles geht am besten in der Opposition, nicht in der Regierung.

Parteichef Müntefering hat nach dem Europawahl-Debakel gesagt, es wäre "ein Witz der Geschichte", wenn in der gegenwärtigen Situation ausgerechnet die Vertreter einer Philosophie das Sagen im Lande bekämen, die den Markt über alles stellen. Die SPD sollte sich schon jetzt darauf einstellen, dass Schwarz-Gelb am Ende laut darüber lachen kann.

Quelle: ntv.de

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