Zwischenruf Dublin als Aufruf begreifen
16.06.2008, 14:43 UhrDie Ablehnung des Lissabon-Vertrages durch die Mehrheit der Iren hat gezeigt, wo EU-Europa eigentlich steht. Schon das Nein der Franzosen und Niederländer 2005 zum Verfassungsvertrag hatte deutlich gemacht, dass Regierungen und Parlamente nicht in jedem Fall und jederzeit die Interessen der Mehrheit eines Volkes zum Ausdruck bringen.
Hier sollten alle Versuche, aus dem Dilemma herauszukommen, ansetzen. Jeder Schritt, die "vox populi" zum Schweigen zu bringen, führt immer tiefer in die Sackgase hinein. Frankreichs Nicolas Sarkozy wusste nur allzu gut, dass eine neuerliche Volksabstimmung kaum zu einem "oui" geführt hätte. Andernorts, auch in Berlin, zogen die Regierenden aus gleichen Gründen ein Referendum erst gar nicht in Betracht.
Keine Ablehnung der europäischen Einigung
Es wäre falsch, das Votum gegen den abgespeckten Verfassungsvertrag als Ablehnung der europäischen Einigung zu betrachten. Gerade die Einwohner der Republik Irland, aber nicht nur sie, haben der EU viel zu verdanken. Das Misstrauen richtet sich gegen eine nicht fassbare Supranationalität, gegen die Festschreibung eines neoliberalen Wirtschaftsgefüges, gegen die Pläne zum Ausbau der militärischen Zusammenarbeit. Auch spielt die unzureichende Information über den Inhalt des Lissabon-Vertrags eine Rolle. Das gilt nicht nur für die Wähler, sondern auch für die Gewählten. Nicht wenige Abgeordnete des Deutschen Bundestages mussten einräumen, die Konvolute nicht richtig zu kennen. Dass sie trotzdem dafür votierten, spricht für sich.
Zweifellos befindet sich die EU in einer Krise. Aber die Union ist nicht lahm gelegt. Auch nach dem französisch-niederländischen Nein vor drei Jahren ging es weiter, funktionierten die wirtschaftlichen Grundlagen, weitere Staaten traten dem Schengener Abkommen bei, gab es, wenn auch holprig, gemeinsame außenpolitische Positionen. Das Abkommen von Nizza erweist sich, wenngleich unvollkommen, als handhabbares Instrument der Tagesgeschäfts. Doch die europäische Vision ist mehr.
Darum sollte das Abstimmungsergebnis aus Dublin als Aufruf begriffen werden, die Gemeinschaft gründlich zu demokratisieren. Da zielt der Vorschlag von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, den künftigen Präsidenten des Europäischen Rats direkt wählen zu lassen, in die richtige Richtung. Aber dies kann nur ein Schritt sein. Das Europäische Parlament muss endlich zu einer Versammlung werden, das diesen Namen in all seinen Facetten verdient, über Grundsatzfragen sollte in unionsweiten Referenden entschieden werden. Dann wird die Demokratie auf ihrem Geburtskontinent die nationalen Grenzen überwinden und zur europäischen Demokratie.
Quelle: ntv.de