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Diskriminierung von Behinderten Für mehr Autismus in der Politik

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Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann bescheinigte Bundeskanzler Scholz "autistische Züge". Sie meinte das negativ.

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann bescheinigte Bundeskanzler Scholz "autistische Züge". Sie meinte das negativ.

(Foto: picture alliance / PantherMedia)

In dieser Woche hat eine Bemerkung der FDP-EU-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Schlagzeilen gemacht. Sie wollte den Bundeskanzler kritisieren. Doch in Wahrheit hat sie Menschen diskriminiert. Leider kein Einzelfall.

Es ist schon einige Jahre her, da hielt ein Abgeordneter der AfD eine Rede im Bundestag, in der er Menschen mit Down-Syndrom im weitesten Sinne die Bildungsfähigkeit absprach. In einem Interview mit dem MDR sprach sich AfD-Landeschef Björn Höcke gegen inklusive Schulmaßnahmen aus. Der gemeinsame Unterricht von nicht behinderten und behinderten Kindern schade der Bildungselite, behauptet er. In dieser Woche bescheinigte die Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Bundeskanzler Olaf Scholz "autistische Züge". Sie meinte das negativ. Später entschuldigte sie sich bei autistischen Menschen. Es hätte dieser Entschuldigung nicht bedurft, hätte sich Frau Strack-Zimmermann vorher überlegt, was sie sagt. Von Scholz sind derartige verbale Entgleisungen nicht bekannt.

Es kommt nicht häufig vor, dass Politiker mit irgendwelchen dummen Sprüchen behinderte Menschen diskriminieren. Die Zeit, in der man von Menschen mit Behinderung verlangt hat, dass sie brav, dankbar und geschlechtslos zu sein hätten, ist lange vorbei. Auch die alltägliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen hat stark abgenommen. Immer mehr nicht behinderte Menschen verlieren Berührungsängste. Behinderte Menschen trauen sich in die Öffentlichkeit, bestehen immer lauter auf ihre Rechte. Dazu gehört, in die Gesellschaft integriert zu werden. Dabei helfen Gesetze, die behinderte Menschen unterstützen.

Doch dann gibt es diese kleinen Nadelstiche, die behinderte Menschen immer wieder zu spüren bekommen: die Firmen-Kaffeemaschine mit Sensortasten, die der blinde Mitarbeiter nicht bedienen kann; der Vorortbahnhof ohne Rolltreppe, dessen Fahrstuhl ständig defekt ist, sodass er für Menschen nicht genutzt werden kann, die mit einem Rollstuhl unterwegs sind; unbedachte und unnötige Äußerungen von Politikerinnen und Politikern. Und das sind nur drei von vielen Beispielen.

Das passiert, wird aber immer seltener. Die Normalität ist anders. Wenige Leser meiner Beiträge auf ntv.de wissen, dass ich nichts sehen kann. Darauf legt ntv.de keinen Wert. Ich auch nicht.

Eine inklusive Ausbildung ist der Grund dafür, dass ich diesen Beruf ausüben kann. In München werden seit nunmehr 16 Jahren blinde und sehbehinderte Menschen zu Online-Redakteuren ausgebildet. Viele Programme zum Bau und zur Pflege von Webseiten können von blinden Menschen genutzt werden, künstliche Intelligenz sorgt in vielen Fällen für die Gleichstellung behinderter und nicht behinderter Menschen. Auch ich bin ein Fan von ChatGPT.

Was im Beruf geht, funktioniert auch in der Freizeit. Integration von Menschen mit Behinderung ist ein Geben und Nehmen, auf beiden Seiten. Denn behinderte Menschen sind in der Gesellschaft angekommen. Doch das ist ein täglicher Kampf. Das sollten Politikerinnen und Politiker im Kopf haben, auch und gerade von demokratischen Parteien. Darum gehört sich ein Vergleich eines Bundeskanzlers mit Menschen mit Autismus nicht. Ganz im Gegenteil. Wenn ich mir die aufgeregten Sprüche von Politikern und Politikerinnen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann anhöre, denke ich manchmal: Vielleicht täte uns ein bisschen mehr Autismus in der Politik ganz gut.

Quelle: ntv.de

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