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Das Militär schafft Fakten In Ägypten tobt die Konterrevolution

In Ägypten regiert die Gewalt.

In Ägypten regiert die Gewalt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ägyptens Generäle setzen auf Gewalt. Ihr brutales Vorgehen gegen die Muslimbrüder des gestürzten Präsidenten Mursi bringt das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Die Ägypter zahlen einen hohen Preis für eine unvollendet gebliebene Revolution. Das Vorgehen der Militärs beraubt sie ihrer demokratischen Perspektive.

Die schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Ägyptens Sicherheitskräfte greifen brutal gegen die Muslimbrüder des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi durch. Auf beiden Seiten sind Tote und Verletzte zu beklagen. Bei den derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gruppen verlieren nach Lage der Dinge mehr Menschen ihr Leben als beim Sturz des Despoten Husni Mubarak am 11. Februar 2011 - bis zu diesem Tag sind laut einer Richterkommission in Ägypten 846 Todesopfer zu beklagen gewesen.

Mohammed ElBaradei gehört zu den Verlierern.

Mohammed ElBaradei gehört zu den Verlierern.

(Foto: picture alliance / dpa)

Alle Appelle aus dem Ausland, eine politische Lösung zu suchen, verhallten ungehört. Der starke Mann in Kairo, General Abdel Fattah al-Sisi, lässt Camps der Muslimbrüder stürmen. Die Mitglieder der Übergangsregierung erweisen sich als machtlos und sind zudem zerstritten. Das nutzen Al-Sisi und die Militärkaste aus. Nicht Übergangspräsident Adli Mansur oder Ministerpräsident Hasim al-Beblawi haben das Sagen, sondern der Verteidigungsminister, der eigentlich einer von vielen Ministern im Kairoer Kabinett ist und dessen Disziplin unterworfen sein sollte. Der zurückgetretene Vizepräsident Mohammed ElBaradei bringt es auf den Punkt: Er könne nicht die Entscheidungen tragen, mit denen er nicht einverstanden sei, sagt der 71-Jährige, immerhin Träger des Friedensnobelpreises, voller Verbitterung. ElBaradei, der eine Verständigung suchte, ist der große Verlierer dieses Machtkampfes.   

Die Militärs, die seit dem Putsch gegen König Faruk 1952 das politische Leben in Ägypten bestimmen und auch große Teile der Wirtschaft beherrschen, schaffen Fakten. Dem arabischen Land droht ein Rückfall in die vorrevolutionäre Zeit. Ägyptens Volk zahlt nun einen hohen Blutzoll für eine unvollendete Revolution. Die Ereignisse in Kairo, Alexandria und anderen Städten im Nilstaat werden Auswirkungen auf Länder wie Libyen oder Tunesien haben, wo der revolutionäre Prozess ebenfalls ins Stocken geraten ist. Syriens Machthaber Baschar al-Assad erfährt bei seinem blutigen Vorgehen gegen das eigene Volk weiteren Rückenwind.

Es ist die Unfähigkeit der sich gegenüberstehenden politischen Gruppierungen zum Dialog, die Ägypten an den Rand des Abgrunds bringt. Der Allmachtanspruch der Islamisten auf der einen und ihrer säkularen Gegner auf der anderen Seite sorgt für eine Situation, die die Möglichkeit eines Bürgerkrieges nicht ausschließt. In dieses Machtvakuum stoßen das Militär und die Mubarak-Gefolgsleute, die noch immer wichtige Schalthebel in Politik, Justiz und Wirtschaft in ihrer Hand halten.

John Kerry setzt nach langem Zögern auf die Generäle.

John Kerry setzt nach langem Zögern auf die Generäle.

(Foto: AP)

Ägyptens Verbündeter USA reagiert hilflos. Und das, obw ohl Washington jährlich 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe nach Kairo überweist. Erst setzt die Administration von Präsident Barack Obama auf den Muslimbruder Mursi, nach dem Putsch lässt sie den freigewählten Staatschef fallen. Mehr noch: Außenminister John Kerry rechtfertigt Wochen später das Vorgehen des ägyptischen Militärs und macht sich dessen Argumentation zu eigen. Blauäugig geht der Chef des State Departement davon aus, dass durch den Putsch "letztlich die Demokratie wiederhergestellt" werde. Al-Sisi und seine Generäle sehen diese Äußerung als Freibrief für ihr Vorgehen gegen die Muslimbrüder.

Und Europa? Seine Verantwortlichen senden Appelle nach Kairo, die dort lediglich zur Kenntnis genommen werden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle mahnt täglich zu Verhandlungsbereitschaft und zur friedlichen Lösung des Konflikts. Aber die Ägypten-Krise beweist einmal mehr, dass die Europäer, obwohl sich der Konflikt vor ihrer Haustür abspielt, außenpolitische Leichtgewichte sind.

Keine demokratische Tradition

Ägypten wird auf absehbare Zeit keine Demokratie nach westlichem Muster haben. Auch in Europa hat die Phase hin zum demokratischen Parlamentarismus eine längere Zeit in Anspruch genommen - Rückschläge inbegriffen. Allerdings müssen Ägyptens Politiker lernen, die Macht zu teilen beziehungsweise Bündnisse einzugehen. Der Islamist Mursi hat das nicht begriffen und ist deshalb aus dem Präsidentenpalast verjagt worden. Andererseits muss die Opposition den jeweils Regierenden eine Chance geben. Diese Art Politik hat in den arabischen Staaten allerdings keine Tradition und ist deshalb nur sehr schwer durchsetzbar.

Derzeit führt an Ägyptens Militär als Machtfaktor kein Weg vorbei. Das Regieren mit kriegsrechtlichen Mitteln bringt dem Land aber keine Lösung. Zwar werden die Muslimbrüder den derzeitigen Machtkampf verlieren. Sie gehen allerdings wie in früheren Jahrzehnten in den Untergrund und erschüttern das Land mit Anschlägen. Das hat Auswirkungen auf die ohnehin schon am Boden liegende Wirtschaft mit dem Tourismus als wichtigem Zweig. Millionen Ägypter sind darauf angewiesen, dass Urlauber ihr Geld im Land lassen. Die derzeitige Lage trägt dazu bei, dass sie einen großen Bogen um Ägypten machen.

So erlangen die Militärs nur einen Pyrrhussieg. Die Politik muss von zivilen Kräften aller Gruppierungen bestimmt werden - dazu gehören auch die Muslimbrüder. Was derzeit abläuft, ist eine Konterrevolution, die Ägypten in die Zeit vor 2011 zurückwirft. Ein warnendes Beispiel ist in dieser Hinsicht Algerien: Dort haben während des Bürgerkrieges in den 1990er Jahren mehr als 100.000 Menschen ihr Leben verloren. Ändern die Generäle ihren Kurs nicht, suchen sie nicht die Verständigung mit der anderen Seite, dann droht auch dem wichtigsten nordafrikanischen Land dieses Schicksal. Die großen Verlierer wären seine Menschen.

Quelle: ntv.de

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