Zwischenruf "Made in Germany"-Blödsinn aus Brüssel
16.01.2012, 14:10 UhrDas Qualitätssiegel "Made in Germany" ist in Gefahr, schlägt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag Alarm. Denn der zuständige EU-Kommissar will das Warenursprungsrecht verändern. Ein törichter Plan, der dringend unterbunden werden muss.
In der EU-Kommission gibt es Pläne, die Verwendung der Herkunftsbezeichnung "Made in Germany" einzuschränken. Das würde der Wirtschaft schaden und könnte Arbeitsplätze kosten. Der Warnruf kommt vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Im Wirtschaftsministerium scheint dies bislang niemandem aufzufallen.
Der Litauer Algirdas Semeta ist als Kommissar für Steuern und Zollunion auch für Betrugsbekämpfung zuständig. Sehr wahrscheinlich leitet er daraus den Anspruch ab, ein Uraltmarkenzeichen anzugreifen. "Made in Germany", Ende des vorvergangenen Jahrhunderts eigentlich entstanden, um britische Produkte vor vermeintlich schlechterer Ware aus dem Ausland zu schützen, entwickelte sich zu einem Gütesiegel. Der - gleichwohl nicht durchgängig gesicherte - Qualitätsbonus verschafft der deutschen Industrie weltweit beträchtliche Vorteile. Auch, wenn vielfach gar nicht so richtig Deutschland drin ist, wo Deutschland draufsteht.
Audi beispielsweise verlagerte seine Motorenproduktion schon in den frühen neunziger Jahren ins ungarische Györ. Kaum jemand würde darauf kommen, den Audi mit dem Signum "Made in Hungary" zu versehen. Semetas Plänen zufolge muss der Wertanteil mindestens 45 Prozent betragen, wenn das Endprodukt als in Deutschland hergestellt gelten soll. Bisher darf "Made in Germany" sogar verwendet werden, wenn 90 Prozent im Ausland gefertigt sind.
Die Pläne sind schlichtweg töricht: In Krisenzeiten hätte man sich aus den Brüsseler Glaskästen Sinnvolleres gewünscht. Getroffen würden nämlich besonders die exportorientierten Wachstumszweige wie der Automobilbau, die Elektrotechnik sowie der Maschinen- und Anlagenbau. Richtig ist allerdings, dass der deutsche Exportüberschuss nicht zuletzt dank beständig sinkender Reallöhne und niedriger Lohnstückkosten erwirtschaftet wurde. Nur allzu gern wird in den Skat gedrückt, dass die Hochverschuldung von Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal auch aufs deutsche Lohndumping zurückzuführen ist. Hier sind die deutschen Tarifpartner und die lenkende Hand eines - nicht hoffnungslos überforderten - Wirtschaftsministers gefragt.
Wenn man also die Dimensionen wieder geraderücken will, dann sollte in Deutschland die Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen stimuliert werden. Aber dafür ist Herr Semeta ja nicht zuständig. Stattdessen gibt er dummes Zeug von sich, das dem größten Nettozahler der EU Schaden zufügen kann. Diesen Dienstag wird der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt. Es ist zu hoffen, dass der Wortgewaltige nicht nur große Reden schwingt, sondern die demokratische Legitimation seines Amtes nutzt, um künftig Blödsinn von Beamten zu unterbinden.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de