Schicksalswahl in NRW Rett' a Rüttgers
06.05.2010, 06:52 UhrDer Erfolg oder Misserfolg von NRW-Ministerpräsident Rüttgers ist entscheidend. Für seine Partei im Land, die nicht wieder in der Opposition landen will. Für die CDU im Bund, die nicht ihre Mehrheit im Bundesrat verlieren will. Und für Rüttgers selbst.
Jürgen Rüttgers gibt nicht auf. Er fährt Geisterbahn. Er schleckt Eis. Er gibt sich volksnah im Endspurt des Wahlkampfes. Auch seine Werbespots sollen suggerieren: dieser Mann hat alles im Griff. Staatsmännisch lächelnd schüttelt er Hände – im Vorbeigehen, in Bewegung. Die Botschaft: Es geht vorwärts im Land, dieser Ministerpräsident ist dafür verantwortlich. Und: Die NRW-CDU hat den richtigen Mann am richtigen Ort. Das Problem ist, dass Jürgen Rüttgers bis zur Wahl nicht mehr viel bewegen kann.
Hannelore Kraft dagegen ist erstarkt, aus der Position der Außenseiterin spülten die Skandale und Skandälchen um Jürgen Rüttgers die Herausforderin am Ministerpräsident vorbei an die Spitze – bei einer Direktwahl würden die meisten Menschen inzwischen die SPD-Kandidatin bevorzugen. Ein Desaster für den CDU-Mann, der öffentlich alles richtig gemacht hat, aber im Hintergrund offenbar vieles im Argen ließ. "Rent a Rüttgers", Videoüberwachung der Gegnerin, über Umwege gesammelte Spenden im vergangenen Wahlkampf sowie Maulwürfe in der eigenen Partei, die in regelmäßigen Abständen Interna veröffentlichen - die Negativ-Schlagzeilen machen dem CDU-Mann schwer zu schaffen.
In die Unbeweglichkeit manövriert
Rüttgers hatte sich scheinbar perfekt positioniert, aus dem gescheiterten Wahlkampf 2000 gelernt. Er wollte die neue Vaterfigur werden, der neue Johannes Rau. Dafür fährt Rüttgers im christlich-konservativen Nordrhein-Westfalen einen sozialdemokratischen Kurs. Er profilierte sich in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, aber erst, nachdem er erkannt hatte, dass "Kinder statt Inder" im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands keine Mehrheit bringt. Rüttgers präsentierte sich als Verfechter des kleinen Mannes, als Arbeitskämpfer, der auch mit der Wirtschaft gut kann. Der Kohlekompromiss, die Demonstrationen vor dem Nokia-Werk in Bochum mit Rüttgers am Megaphon, bei Opel, bei BenQ – es waren starke Bilder und Eindrücke.
Doch jetzt, kurz vor der Wahl 2010, kann er weder vor noch zurück. Weil die Konkurrenz sich gut aufgestellt hat, steckt der ehemalige "Zukunftsminister" des letzten Kabinett Kohls fest. Die SPD hat aufgeholt, die Grünen werden, glaubt man den Umfragen, mit 12 Prozent ihr bestes Ergebnis in NRW aller Zeiten einfahren. Die FDP liegt knapp unter 8 Prozent; zu wenig, um den Ministerpräsident mit Schwarz-Gelb an der Macht zu halten. Bleibt noch die Linke, die aller Voraussicht nach das erste Mal überhaupt in den Düsseldorfer Landtag einziehen wird. Angstmacherei vor Rot-Rot ist die einzige Karte, auf die Rüttgers klipp und klar setzen kann.
Standardprogramm als Wahlkampf
Die Christdemokraten lassen fast alle Koalitionsoptionen offen, zumindest nach außen. Die Fortsetzung von Schwarz-Gelb wäre zwar nach öffentlich bekundetem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel die erste Wahl. Doch in den letzten Umfragen liegen die beiden konkurrierenden Lager – CDU und FDP sowie SPD und Grüne - Kopf an Kopf. Neben den vertrauten Farbkombinationen Schwarz-Gelb und Rot-Grün gelten Schwarz-Grün und Schwarz-Rot als wahrscheinlichste Varianten. Dass die Linke mit in Regierungsverantwortung kommt, ist eher unwahrscheinlich - trotz des Wunsches von fast 30 Prozent der Wähler in Nordrhein-Westfalen, die SPD solle eine Zusammenarbeit mit der Partei ernsthaft prüfen. Doch Hannelore Kraft äußert sich unmissverständlich: "Wir halten die Linkspartei nicht für regierungs- und koalitionsfähig."
Auch das Arbeiterkind aus Mülheim an der Ruhr spult bei jedem Auftritt ein Standardprogramm ab. Bei Kraft wirkt es herausfordernd, beim Ministerpräsident etwas hölzern. Für Rüttgers ist es der Fluch der Machtverhältnisse. Für den Wähler ist die Situation klar: Sie, die dynamische Oppositionsführerin, die sich auf ihrem Weg nach oben nicht beirren lässt. Er, der stur bleibt.
Abwarten statt kämpfen
Auch die Fernsehdebatte der großen Parteien am vergangenen Mittwoch war für den Ministerpräsident nicht förderlich, Rüttgers ließ sich öffentlich abkochen. Die Runde diskutierte lange über Bildungspolitik – eine Stärke von Sylvia Löhrmann, der studierten Lehrerin und Spitzenkandidatin der Grünen, die den agilsten Eindruck machte. Unterstützer von Rüttgers würden sagen, ihr Mann sei trotz der Attacken von Kraft und Löhrmann ruhig geblieben. Kritiker entgegnen, er habe häufig abwesend gewirkt, fast blass.
Einen öffentlichen Auftritt hatte der Mann, der sich bei Arbeitskämpfen in NRW in seiner Amtszeit häufig an vorderster Front zeigte, am 1. Mai nicht. Stattdessen schwebt am Tag der Arbeit ein Zeppelin über Düsseldorf. "Jürgen Rüttgers statt Rot/Rot" heißt die Botschaft darauf. Eine andere ist: Bis Sonntag muss er den Kampf aussitzen – und der Koalitionsoptionen harren, die da kommen.
Quelle: ntv.de