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SPD zerrissen in Ukraine-Politik Die Beleidigten schlagen um sich

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Zwei geeinter denn je: Scholz und Mützenich.

Zwei geeinter denn je: Scholz und Mützenich.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Die SPD pocht darauf, die Autorität des Bundeskanzlers in der Taurus-Frage anzuerkennen. Fraktionschef Mützenich stellt Kritiker in die Ecke von Kriegstreibern. Die teils wilden Attacken von manchen Sozialdemokraten decken die eigene Planlosigkeit auf.

Rolf Mützenich gilt nicht nur als besonnener Mensch, seine Freundlichkeit ist beinahe legendär. Oppositionsführer Friedrich Merz schätzt den höflichen Rheinländer genauso wie Bundeskanzler Olaf Scholz, der dem SPD-Linken lange eher fern war. Die Geschlossenheit der Fraktion trotz SPD-Dauertiefs in den Umfragen hat Mützenich zu einem der wichtigsten Verbündeten des Kanzlers werden lassen. Scholz kann sich auf seinen Fraktionschef verlassen, der ihn öffentlich unermüdlich verteidigt und zuletzt im Streit um die richtige militärische Unterstützung der Ukraine auch kräftig gegen die eigenen Koalitionspartner austeilte. Kanzler und Fraktionschef eint dabei ein nicht ganz unwesentliches Motiv: Kränkung.

Als Mützenich am vergangenen Donnerstag über das "Einfrieren" des Krieges in der Ukraine sprach, war dies weniger ein überlegter diplomatischer Vorstoß als eine Antwort auf die ewig nach dem Marschflugkörper Taurus rufenden Politiker von Grünen, FDP, CDU und CSU. Es sei an der Zeit, auch darüber zu reden, wie man den Krieg beenden könne, sagte Mützenich, auch wenn derartige Forderungen als "Schandfleck" diskreditiert würden. Es war der gleiche beleidigte Reflex, der auch schon in früheren Reden Mützenichs zu vernehmen war: Wer nicht immer mehr Waffen für die Ukraine fordere, so seine Wahrnehmung, werde in die Ecke der Putin-Versteher gestellt oder anderweitig schlechtgemacht. Mützenich fühlt sich in der Ukraine-Frage ebenso regelmäßig unfair behandelt wie der Bundeskanzler.

Die SPD gibt den Vernünftigen

Er steht mit dieser Opferhaltung nicht allein da in der SPD, die in ihrem Ukraine-Kurs auch die Bevölkerungsmehrheit hinter sich wähnt. Diese Wahrnehmung ist nicht unwichtig wenige Monate vor den für die Sozialdemokraten schwierigen Europawahlen sowie den richtungsweisenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In den vergangenen zwei Kriegsjahren zeichnete Scholz immer wieder von sich das öffentliche Bild desjenigen, der vor allem darauf bedacht sei, Unheil vom deutschen Volk abzuwenden. Im Kanzleramt geht man davon aus, dass der Wähler das schließlich honorieren werde. Wer vor diesem Hintergrund mehr Entschlossenheit gegenüber Russland forderte - Raketenwerfer, Leopard-Panzer, Taurus -, dem wurde von den Stegners, Müllers, Mützenichs und Scholzes schnell die Seriosität abgesprochen und kriegswütiger Leichtsinn unterstellt. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Auswärtige Politik, Michael Roth, flog wegen seiner entschieden pro-ukrainischen Haltung sogar aus dem SPD-Präsidium.

Beide Lager nehmen sich im Taurus-Streit wenig bei der persönlichen Härte. Wie nun aber Olaf Scholz sich seit Wochen über die Debatte in Deutschland mokiert und seine Parteispitze darauf pocht, dass die Entscheidung eines Regierungschefs auch einmal zu akzeptieren sei, lässt aufhorchen: Das Kanzler-Basta ersetzt die Erklärung, das Austeilen kommt anstelle des Arguments. Tatsächlich ist weiter unklar, weshalb genau Scholz die Taurus-Lieferung ablehnt. Das Argument, Deutschland werde andernfalls zwangsläufig Kriegspartei, nehmen ihm viele nicht ab. Es ist auch offen, wie sich das "Einfrieren!"-Lager um Mützenich eine Diplomatie-Offensive vorstellt - und was es sich davon verspricht. Europa und die Ukraine müssten schließlich mit unverminderter Wucht aufrüsten, damit der Kreml von weiteren Eroberungen absieht.

"Mehr Diplomatie" ist leicht gesagt

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Wer soll also abheben, wenn Scholz zum Hörer greift? Der frisch wiedergewählte Wladimir Putin, der eben erst jedwede Zugeständnisse an die Ukraine abgelehnt hat? Chinas Präsident Xi Jinping, der seit 25 Monaten keinerlei Interesse zeigt, Putin zum Einlenken zu bewegen? Die von der SPD verbreitete Mär, Scholz habe mit seiner Reise nach Peking Xi dazu gebracht, Putin von Atomdrohungen abzubringen, entspricht nicht der Realität, denn solche Drohungen gab es häufig in den vergangenen Monaten. Auch die intensiven Bemühungen Berlins, einen Keil zwischen Moskau und den globalen Süden zu treiben, brachten bislang keine Wende. Diplomatische Versuche, dennoch mit einer möglichst großen Zahl von Staaten über eine Nachkriegsordnung im Osten Europas zu sprechen, laufen unvermindert fort. Doch sie sind kurzfristig aussichtslos, solange sich Putin in der Ukraine auf der Siegerstraße wähnt.

Natürlich kann man anzweifeln, dass sich Russland mit mehr und stärkeren Waffen an den Verhandlungstisch bomben lässt. Alternative Ideen sind tatsächlich gefragt. Wenn sich aber diese Vorschläge auf Stanzen von "mehr Diplomatie" und Kriegstreiber-Vorwürfen beschränken, entlarven sie vor allem diejenigen, die sie äußern. Die ständige Distanzierung vom eigenen Tun offenbart die Plan- und Richtungslosigkeit der SPD und rückt sie zunehmend in den Verdacht, im nahenden Wahlkampf auf Kosten der Ukraine punkten zu wollen. Die Partei bestätigt damit nolens volens Positionen von AfD und Wagenknecht - paradoxerweise zu einem Zeitpunkt, als der Bundeskanzler faktisch mehr denn je für eine breite europäische Unterstützung der Ukraine tut. Der leidenschaftliche Radfahrer Mützenich sollte eigentlich wissen: Ein Abbiegen zu signalisieren, aber in die entgegengesetzte Richtung zu steuern, kann ein übles Ende nehmen.

Quelle: ntv.de

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