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AfD, Piraten und Co. Warum neue Parteien so oft scheitern

Bernd Lucke bekam nach seiner Abwahl auf dem AfD-Parteitag in Essen nicht einmal mehr das Wort erteilt. Mittlerweile hat er die Partei verlassen.

Bernd Lucke bekam nach seiner Abwahl auf dem AfD-Parteitag in Essen nicht einmal mehr das Wort erteilt. Mittlerweile hat er die Partei verlassen.

(Foto: dpa)

Der Untergang der AfD scheint nur noch eine Frage der Zeit. Die Schnelllebigkeit neuer Parteien ist dabei in Deutschland keine Seltenheit. Alle begehen sie die gleichen Fehler.

Eigentlich gibt es keine besseren Perspektiven für eine europa- oder euroskeptische Partei. Die Alternative für Deutschland (AfD) füllt eine lange vorhandene Lücke in der deutschen Parteienlandschaft aus. Politologen würden im Fachjargon sagen, die Gelegenheitsstrukturen seien günstig. Doch was macht die AfD, die bereits in einige Landtage und fast in den Bundestag einzog? Sie zerfleischt sich selbst.

Der Parteitag gab ein desaströses Bild ab: Die AfD wählt ihren Vorsitzenden Bernd Lucke ab, ergötzt sich an Richtungsstreitigkeiten, wird radikaler und ergibt sich Tumulten. Offenbar ist das symptomatisch für neue Parteien in Deutschland. Auch für die Piratenpartei gab es hervorragende Prognosen. Die neue Gesellschaft, digitalisiert und mitwirkungswillig – das Zukunftsbild schlechthin. Doch die Piraten stürzten ab.

Man denke zurück. Die Anti-Euro-Partei Bund freier Bürger, im Zuge von Maastricht aussichtsreich gegründet, radikalisierte sich und verlor ihre Glaubwürdigkeit als bürgerlich-liberale Kraft. Bei der Hamburger Statt Partei, 1994 gerade in die Bürgerschaft gekommen, wurde einst der Parteigründer an der Krawatte aus dem Versammlungsraum gezogen. Die Republikaner entmachteten den langjährigen Vorsitzenden Franz Schönhuber. Auch sie radikalisierten sich bis zur Bedeutungslosigkeit. Mit der Schill-Partei lief es Jahre später ähnlich. Ronald Schill ist längst Geschichte und taugt nur noch zum Macho- und Sexprotz aus Rio de Janeiro.

Bernd Lucke fügt sich nahtlos in die Reihe dieser Personen ein. Typisch ist auch das Liebäugeln mit einer Parteineugründung, was den Zerfall nur beschleunigen würde. Auch Schill trat einst gegen die Schill-Partei an. Folgende Punkte führen fast zwangsläufig zum Scheitern:

Vereinsmeiertum

Sobald das Projekt erfolgreich gestartet ist, fällt es mit der Organisationsentwicklung und Strukturbildung im föderalen Deutschland schwer. Schnell kommt es zu Grabenkämpfen in einzelnen Landesverbänden. Die Parteien haben viele Querulanten, Glücksritter und Vereinsmeier in ihren Reihen. Sie ziehen notorische Besserwisser magisch an und verheddern sich im bürokratischen Dickicht. Vor allem ziehen sie Funktionäre an, die bereits in anderen Parteien gescheitert sind.

Oftmals kommt es zu Parteiaustritten führender Gründungsmitglieder. Opportunisten verlassen ebenso schnell das sinkende Schiff. Problematisch ist es auch, wenn Politamateure zu Parlamentariern werden und sich in die Mechanismen der Verhandlungsdemokratie einfügen müssen. Nachhaltige Mitgliederwerbung und pfiffige Wahlkämpfe, PR und politische Graswurzelarbeit – das ist oftmals zu viel auf einmal.

Autoritärer Führungsstil

Den Mangel an Erfahrung versucht der Parteivorsitzende durch einen autoritären Führungsstil zu verbergen. Der mitunter egozentrische Anführer verhält sich nicht als Teamplayer. Im Extremfall – bei den Piraten – war Führung gar nicht anerkannt. Oftmals verhält sich das Aushängeschild stur. Er überfordert sich auch durch mediale Präsenz.

Im Fall von Bernd Lucke war der Einsatz immens. Nach seiner Wahl zum Europaabgeordneten musste er die Partei von Brüssel aus steuern. Lucke hielt sich mit seiner professoralen Überheblichkeit lange für unantastbar, wie einst Schönhuber, Schill und Co. Er nahm die Zahl seiner Fernsehauftritte als Maßstab für seine politische Bedeutung.

Florian Hartleb ist Politikberater und Extremismus-Experte.

Florian Hartleb ist Politikberater und Extremismus-Experte.

Unterwanderung durch Rechtsaußen

Allen neuen Parteien droht das Damoklesschwert, die Unterwanderung durch Rechtsaußen. Selbst die linksalternativen Piraten konnten sich vor Trittbrettfahrern nicht retten. Besonders bürgerlichen Parteiprojekten droht der Schwenk nach Rechtsaußen. Wenn sich die Parteien radikalisieren, werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Auch das erschwert weiteren Erfolg.

Mediale Schaulust

Medien bieten zunächst ein Forum, laden die Newcomer gerne in Talkshows und kontroverse Diskussionsrunden ein. Das sorgt für die notwendige Aufmerksamkeit, die Wählerstimmen garantiert. Doch der Schuss geht schnell nach hinten los: Der erhöhte Nachrichtenwert sorgt für investigativen Journalismus, Berichte über Grabenkämpfe, Probleme und allerlei Skurrilitäten inklusive.

Beharrungskräfte der etablierten Parteien

Last but not least: Die etablierten Parteien verfügen über Ressourcen, Netzwerke und Erfahrung. Sie erstellen über die politischen Stiftungen Analysen und Positionspapiere, verfolgen Parteitage und versuchen, die Themen der Newcomer schnell aufzunehmen und zu integrieren. Es bilden sich Arbeitsgruppen – etwa zur Digitalisierung im Zuge der Piraten. Einzelne Politiker versuchen, die neuen Themen für sich zu vermarkten, um der neuen Konkurrenz schnell das Wasser abzugraben.

Identität durch gemeinsame Wut und Enttäuschung oder Ablehnung mögen die Gründung einer Partei und ihren Aufstieg beschleunigen. Dann folgt aber oft der Abstieg. Ist das Image erst einmal ruiniert, scheint ein Wiederaufbau kaum mehr möglich. Nun rückt die AfD nach Rechtsaußen – ein Bereich, in dem es in Deutschland nahezu unmöglich ist, sich zu behaupten. Rechtspopulismus funktioniert hierzulande nur in dosierter Form. Der Untergang der Partei ist eingeleitet – trotz der Zuspitzung der Griechenland-Krise, einer einzigartigen Gelegenheit für Protest.

Quelle: ntv.de

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