Pressestimmen

Wikileaks-Enthüllungen "Aufklärung geht anders"

Jetzt um Schadensbegrenzung in aller Welt bemüht: die US-Diplomaten.

Jetzt um Schadensbegrenzung in aller Welt bemüht: die US-Diplomaten.

(Foto: REUTERS)

Die Vertraulichkeit scheint dahin, die Folgen für die US-Diplomatie sind enorm, meint nicht nur n-tv.de. Doch werden gescholtene Politiker und auch die Medien daran scheitern, die Aussagen der US-Diplomaten richtig deuten zu können. Denn die Frage nach den Motiven der Diplomaten, um deren Depeschen, Analysen und Kommetare richtig einordnen zu können, stellt Wikileaks nicht und wird dafür zu Recht kritisiert.

Für die Rhein-Zeitung sind es in Wahrheit nicht die teils rüden Aussagen der Diplomaten, die Wikeleaks ans Licht bringt, sondern "das Cowboyhafte der amerikanischen Diplomatie". Die Veröffentlichungen machen eine Nation erkennbar, "die sich noch immer wie ein Weltenherrscher aufführt und meint, die Politiker anderer Länder nach zwei Kriterien beurteilen zu können: Gut für Amerika, schlecht für Amerika". Es sei "wirklich brenzlig", wenn man sich vor Augen hält, "dass die US-Botschaft ein konspiratives Netzwerk von Informationskontakten in allen Parteien aufgebaut hat, auch in Deutschland." Aus dem Botschafter werde "ein simpler Spion, den man bei Gelegenheit des Landes verweisen sollte".

Die Stuttgarter Zeitung hinterfragt den "gigantischen Datenberg", den Wikileaks ins Netz gestellt hat: "Um (…) den Gehalt und die Bedeutung einzelner Berichte abschätzen zu können, müssten (…) auch die Motive der Diplomaten hinreichend durchleuchtet werden. Wer schreibt was aus welchem Grund? Wer will warnen, wer Karriere machen, wer klärt auf, wer sonnt sich im Gefühl eigener Wichtigkeit? Vor allem: Welchen Eindruck hinterließen die Berichte tatsächlich bei den letztlich entscheidenden Politikern? Welche Konsequenzen haben sie gezogen?" Diese Recherchen leiste Wikileaks nicht, das überlasse die Plattform anderen Medien mit dem Ergebnis, dass es diesen bei der Quellenlage so kurzfristig auch nicht möglich sei, die Fragen nach der Motivation einzelner US-Diplomaten befriedigend zu beantworten. Fazit: "Aufklärung geht anders."

Den Umgang der Medien mit den Enthüllungen durch Wikileaks kritisiert auch der Trierische Volksfreund: "Wenn seriöse Medien ihre Aufgabe darin sehen, diesen Stoff zu liefern, dann hat das mehr mit Auflage als mit Aufklärung zu tun. Auf der Spiegel-Titelseite oder bei Anne Will ging es um Klatsch und Tratsch und bei den von Wikileaks zuvor aufgedeckten echten Skandalen waren die Schlagzeilen nicht annähernd so groß. Das Problem ist nicht die Internet-Plattform, die Vertrauliches ins Netz stellt. Das Problem ist, wie wir damit umgehen."

Der Kölner Stadt-Anzeiger stellt zunächst ähnliche Fragen, die seiner Meinung nach jedoch auf ein anderes Problem hindeuten: "Wer liefert welche Informationen mit welchem Motiv? Wie sicher sind Quellen? Was ist Aufklärung und was sind dämliche Verschwörungstheorien? Diese ethische Güterabwägung ist in Zeiten des Internets noch wichtiger geworden und müsste Regierungen ebenso beschäftigen wie Netzaktivisten." Doch Wikileaks-Chef Assange habe offensichtlich eine andere Agenda, meint das Blatt, denn sein Image sei nach den jüngsten Veröffentlichungen angeknackst. "Die völlig nutzlose Aktion, die Diplomatenpapiere zu veröffentlichen, zeigt ein grundsätzliches Problem auf: Jedem, der anderen auf die Finger schaut, sollte irgendwann jemand auf die Finger schauen."

Die Süddeutsche Zeitung hat dagegen eine ganz andere Frage im Blick, nämlich wie lange sich "die USA noch die Früchte ihres diplomatischen Dienstes" nach den Wikileaks-Veröffentlichungen erfreuen können? Denn die "Beute eines Datendiebes zerstört nämlich das Bindegewebe, das die unter Staaten betriebene Kommunikation ausmacht: die Vertraulichkeit. Ohne Vertraulichkeit keine Information, kein Geben und Nehmen, kein Zugang. Ohne Information aber auch keine Kenntnis, keine Urteilskraft, keine richtigen Entscheidungen. Die USA ringen seit Jahren schon um ihre Glaubwürdigkeit in der Welt. Wikileaks hat sich nun als Massenvernichtungswaffe für das letzte Quäntchen Vertrauen erwiesen."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Julia Kreutziger

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