Pressestimmen

Bahn steht zu Stuttgart 21 "Augen zu, Geldbeutel auf und durch"

In der baden-württembergischen Landeshauptstadt wird weitergebuddelt.

In der baden-württembergischen Landeshauptstadt wird weitergebuddelt.

(Foto: REUTERS)

Der Bau von Stuttgart 21 geht weiter - so will es der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn. Allerdings ist die Frage, wer die Mehrkosten trägt, immer noch nicht geklärt. Die deutschen Zeitungen setzen sich in ihren Kommentaren auch mit der Rolle der Politik bei diesem umstrittenen Großprojekt auseinander.

"Mit seinem Votum hat der Aufsichtsrat das Signal gegeben, dass die Bahn zu ihrer Verantwortung steht und die Kosten für die Fehlleistungen des eigenen Personals bezahlt", schreibt die Stuttgarter Zeitung. "Daraus resultiert aber auch die Selbstverpflichtung, dass Schluss sein muss mit der Schludrigkeit, dem Tricksen und dem Täuschen. Auf der anderen Seite haben die S21-Gegner im Gewande der Projektpartner Land und Stadt jetzt mehr denn je die Pflicht, das Projekt zu fördern. Sie müssen dabei nicht aus Überzeugung handeln; nach all den Vorkommnissen der vergangenen drei Jahre noch eine Empathie für Stuttgart 21 zu entwickeln fällt auch dem nachdenklichen Teil der Befürworter schwer."

"Die Entscheidung des Aufsichtsrats der Bahn, Stuttgart 21 weiterzubauen, bedeutet noch lange nicht, dass der Bahnhof in der geplanten Form auch fertig gebaut wird", so die Frankfurter Allgemeine. "Dazu müssten sich Bund, Land und Stadt einig darüber sein, wer welche zusätzlichen Kosten übernimmt. Doch weder die Stadt Stuttgart unter ihrem neuen grünen Bürgermeister noch das Land Baden-Württemberg mit seinem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann machen Anstalten, dem von CDU, FDP und SPD getragenen Bau etwas Grünes abgewinnen zu können. Kretschmann hat dafür einen Refrain gefunden ('die Volksabstimmung gilt'), der wasserdicht, aber luftleer ist. Denn das Volks-Ja zum Bahnhof stand unter einem Kostenvorbehalt."

Das Handelsblatt beschäftigt sich mit der baden-württembergischen Landespolitik: "Der Stuttgarter Eiertanz ist einer Regierung ebenso unwürdig, wie die Folgen für das Ansehen Deutschlands dramatisch sind. Bauunternehmer müssen sich längst bei internationalen Ausschreibungen die Frage gefallen lassen, ob sie denn angesichts der Nachrichten aus Deutschland noch in der Lage sind, Großprojekte umzusetzen. Allein deshalb gehört es jetzt zur Pflicht von Regierungschef Winfried Kretschmann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Farbe zu bekennen und zu sagen, ob grün zu sein bedeutet, die Ampel auf Rot zu stellen."

"Die Entscheidung des Aufsichtsrates könnte man als konsequent bezeichnen", meint die in Lüneburg erscheinende Landeszeitung. "Tatsächlich aber wurde - wie bei vielen öffentlichen Großprojekten - nach dem Motto 'Augen zu, Geldbeutel auf und durch' abgestimmt. Denn Konsequenzen aus der extremen Kostensteigerung des Projektes Stuttgart 21 wurden offenbar nicht ernsthaft erwogen, sondern dem Argument der Bahn gefolgt, dass ein Ausstieg teurer wäre. Konsequent wurden höchstens Fragen vom Tisch gewischt, warum die Kosten explodierten, wer dafür verantwortlich ist oder zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Es geht um 6,5 Milliarden Euro. Mindestens. Eine Summe, die nicht mehr in einer verantwortbaren Relation zum Nutzen des Bahnhofsprojektes stehen kann.

Der Berliner Tagesspiegel sieht auch die Bundespolitik unter Druck: "Einzig die Idee der Stuttgart-21-Planer, aus den riesigen Flächen des Gleiskörpers attraktiven Baugrund in einer beengten Stadt zu machen, spricht dafür. Doch rechtfertigt ein lokalpolitisch motiviertes Bestreben eine Entscheidung von solcher Tragweite für den Rest der Republik? Diese Frage werden sich auch Angela Merkel und ihr Verkehrsminister Peter Ramsauer stellen lassen müssen. Ihr Interesse am Weiterbau des Tiefbahnhofs ist mindestens ebenso groß wie das der Bahn. Weil beide fürchten, nach dem Desaster um den Berliner Flughafen für das Scheitern eines zweiten Großprojektes verantwortlich gemacht zu werden, zumal kurz vor einer Bundestagswahl."

Für die Nürnberger Nachrichten ist die Kostenfrage nicht geklärt: "Stuttgart 21 wird gebaut. Und zwar um jeden Preis. Noch mag nicht klar sein, wie hoch die Rechnung am Ende sein wird und auch nicht, wer sie bezahlt. Der tatsächliche verkehrliche Nutzen mag dann auch endgültig in keinem Verhältnis mehr zu den Ausgaben stehen, aber der Tiefbahnhof muss trotzdem in Angriff genommen und fertig gestellt werden. Ruhe wird mit der gestrigen Grundsatzentscheidung für S21 dennoch nicht einkehren. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Kosten für das Projekt nur eine Richtung kennen: Immer weiter nach oben."

Quelle: ntv.de

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