Merkels EU-Gipfelpoker Bei Geld hört die Freundschaft auf
29.10.2010, 19:54 UhrDie Opposition sieht Angela Merkel mit ihren Forderungen nach einem neuen Stabilitätspakt der EU gescheitert. Die Union zeigt sich hingegen begeistert vom Auftreten der Bundeskanzlerin in Brüssel. Und auch die Wirtschaft lobt den EU-Gipfel als wichtigen Schritt. Und die deutsche Presse? Für sie scheint Merkels Taktik aufgegangen.
"Dass beim Kräftemessen in Brüssel politisches Porzellan zerschlagen wurde, steht auf einem anderen Blatt", bemerkt die Nürnberger Zeitung. "Allerdings hatte die Kanzlerin kaum eine andere Wahl, denn ihr sitzt das Bundesverfassungsgericht im Genick. Ohne Vertrags-Reform könnte ein weiterer Rettungsschirm für den Euro, so er denn nötig würde, am Karlsruher Veto scheitern. Der Gedanke mag vielen Bundesbürgern durchaus gefallen; indes würde ein Kollaps des Währungssystems Deutschland mit am härtesten treffen. Zudem enthalten die neuen Reglungen zahlreiche Auflagen, um Krisen schon im Vorfeld zu verhindern. Und im Falle eines Falles sollen künftig auch jene finanziell herangezogen werden, die mit Spekulationen Öl ins Feuer gießen. Keine schlechte Bilanz also für Deutschland und für Europa".
Nach Ansicht des Reutlinger General-Anzeigers ist Merkels Taktik aufgegangen: "Am Ende hatte das deutsch-französische Duo unter Merkels Führung erreicht, dass sich wieder einmal alle berappelten und einen Kompromiss erzielten. Doch es war eine Gratwanderung, und die Kanzlerin hat sich damit bei den kleineren EU-Mitgliedern nicht unbedingt Freunde gemacht. Genau dieses Vorgehen ist es, das die kleinen EU-Mitglieder von Berlin fürchten. Andererseits: Wenn es ums Geld geht und für Deutschland geht es um sehr viel Geld hört die Freundschaft eben schnell auf".
"Menschlich ist es verständlich, dass Merkel die Gipfel-Ergebnisse als Quantensprung feiert", konstatiert die Dithmarsche Landeszeitung. Schließlich seien ihre Erfolgsmeldungen derzeit nicht so zahlreich gesät. "Allerdings", so die Zeitung aus Heide weiter, "enthält die Aussage mehr Optimismus als Substanz. Schließlich ist der Prozess gerade erst am Anfang und das Ende keineswegs absehbar".
Die Leipziger Volkszeitung holt zur Lobes-Hymne aus und schreibt: "Soweit Politik Schachspiel ist, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine staunenswerte Partie abgeliefert. Als die Deutschen im Strudel der Griechenland-Krise die Parole ausgaben, zur wirksamen Vorbeugung gegen derartige Fälle von Gefährdung der Gruppe durch Schlendrian einzelner müsse der soeben erst verabschiedete EU-Vertrag nachgebessert werden, gab es bei den europäischen Partnern wie in der breiteren Öffentlichkeit nur Kopfschütteln. Allein gegen alle, wo eigentlich Einstimmigkeit nötig ist? Das konnte nur mit einer Niederlage enden. Es hat aber mit einem Sieg geendet".
Der Kölner Stadt-Anzeiger schlägt einen nachdenklichen Ton an. Für das Blatt legen Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union inzwischen ein Führungsverständnis an den Tag, das es in dieser Form bisher nicht gegeben habe: "Führung besteht für sie nicht mehr darin, gemeinsam mehrheitsfähige Ideen zu entwickeln. Führung heißt für Berlin und Paris jetzt, die eigenen Interessen zu definieren und dann zu testen, wie weit sich die übrigen 25 Staaten dafür einspannen lassen".
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Susanne Niedorf