Pressestimmen

Brandrede des türkischen Präsidenten "Erdogan kultiviert die Fremdenangst"

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Kurz vor dem Papstbesuch geht der türkische Staatspräsident in einer Brandrede den Westen scharf an. "Die, die von außen kommen, mögen Öl, Gold, Diamanten, billige Arbeitskräfte sowie Gewalt und Streit", poltert das Staatsoberhaupt. Und: "Sie scheinen vordergründig unsere Freunde zu sein, aber freuen sich über unseren Tod und über den Tod unserer Kinder." Die "Grenze des Erträglichen ist überschritten", meint die deutsche Presse.

"Sich im Ton zu vergreifen, gehört zu den Markenzeichen des türkischen Präsidenten", konstatiert der Münchner Merkur. Im Hinblick auf den Papstbesuch schreibt die Zeitung: "Es spricht für die menschliche Größe des Papstes, dass er das Niveau seines Gastgebers ignoriert und sich wünscht, die Türkei sollte nicht nur als geographische Brücke fungieren, sondern auch ein Dialog-Klima schaffen. Das Problem ist nur: Erdogan will keine Brücken bauen, sondern einen islamistischen Staat formen - mit der AKP als Vollstrecker und einem Kalifen historischen Zuschnitts namens Erdogan an der Spitze."

Etwas differenzierter kommentiert die Badische Zeitung: "Seit fast zwölf Jahren ist Erdogan der starke Mann der Türkei. In dieser Zeit hatte er zunächst Hoffnungen geweckt, dieses Land zu einer Brücke zwischen Europa und Asien, zwischen Christentum und Islam machen zu können. Wahr ist, dass Erdogan in diesen Jahren nicht genügend Widerhall gefunden hat, gerade nicht in der Europäischen Union. Wahr ist aber auch, dass sein Modernisierungskurs etwa in Wirtschaftsfragen nicht einherging mit gesellschaftlichem Fortschritt. Im Gegenteil. Erdogan baut an einem rigiden Regime. Seine Attacke unmittelbar vor dem Papstbesuch zeigt, wie rücksichtslos Erdogan dabei vorgeht. Franziskus blieb nur übrig, neutrale Miene zum bösen Spiel zu machen. Er kann schlecht mit Erdogan in ein Streitgespräch eintreten. Die EU schon. Im Interesse einer offenen demokratischen Kultur sollte sie es tun."

Der Kölner Stadt-Anzeiger ist sich sicher, mit seiner Rede hat sich der türkische Präsident ins eigene Fleisch geschnitten: "Mit seinen Hasstiraden gegen den Westen hat der türkische Präsident die Grenze des Erträglichen eindeutig überschritten. Erdogan kultiviert die Fremdenangst. Er gibt vor, für einen Dialog der Kulturen einzutreten, in Wirklichkeit sät er Zwietracht. Noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs war die Türkei so isoliert wie jetzt unter Erdogan. Mit fast allen Nachbarn liegt das Land im Streit. Erdogans Vision, die Türkei zur Führungsmacht im Nahen Osten aufzubauen, hat sich als Fata Morgana erwiesen. Wäre es da nicht an der Zeit, dass sich die Regierung in Ankara auf die Freunde und Verbündeten besinnt, die das Land in Europa hat? Doch mit seinen Hetzreden schlägt Erdogan der Türkei die Tür zur EU zu!"

Die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg bezeichnet Erdogans Attacke als Propaganda-Coup: "'Seht her', kann er nun sagen, 'ich beschimpfe den Westen, und trotzdem kommt der wichtigste christliche Würdenträger zu mir'. Erdogan redet von seinem Land als Brücke zwischen Ost und West - und ist in seinem Herzen doch zutiefst antiwestlich. Das zeigt die hemmungslose Rhetorik der vergangenen Tage und Wochen. Geostrategisch ist die Türkei damit heute leider Teil des Problems und nicht der Lösung."

Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.

Quelle: ntv.de

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