Pressestimmen

Papstbesuch erhitzt Gemüter "Gelegenheit, Kritiker zu belehren"

Festliche Gottesdienste, ein Boykott der Papstrede vor dem Deutschen Bundestag durch etwa 100 Parlamentarier und bunte Gegendemonstrationen von mehr als 60 Verbänden: Zu Beginn seiner Deutschland-Reise trifft Benedikt XVI. in Berlin auf Menschen zwischen Gottvertrauen und Kirchenferne. Doch vor der historischen Visite schwankt nicht nur die deutsche Hauptstadt zwischen Erwartung, Schulterzucken und offener Ablehnung – auch die Gemüter der deutschen Zeitungskommentatoren sind erhitzt.

Vier Tage lang besucht der deutsche Pontifex seine Heimat: Berlin, Erfurt, das Thüringer Eichsfeld und Freiburg.

Vier Tage lang besucht der deutsche Pontifex seine Heimat: Berlin, Erfurt, das Thüringer Eichsfeld und Freiburg.

(Foto: dpa)

Das geplante Fernbleiben von etwa 100 der 620 Parlamentarier während der Papstrede vor dem Deutschen Bundestag stößt bei der Frankfurter Allgemeinen auf Unverständnis: "Sie halten es für unter der Würde ihres Mandates, sich das, was der Papst zu sagen hat, auch nur anzuhören", ist hier zu lesen. Die Ankündigung, dass sich viele der Abgeordneten einer Demonstration gegen die Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes "nach Art einer Homosexuellen-Parade" anschließen wollen, macht für die Tageszeitung aus Hessen "das Maß des Peinlichen endgültig voll". Das Blatt stellt die Frage in den Raum, was denn gewonnen wäre, "wenn die katholische Kirche und ihre Repräsentanten nicht mehr als Urheber alles Bösen in der Welt und als Projektionsfläche jedes noch so absurden Verdachts dienten". Die Antwort der Kommentatoren lautet: "Die Welt verlöre das letzte Vorurteil".

Auch die Lübecker Nachrichten sprechen von einem "peinlichen Boykott, den sich die Bundestagsabgeordneten leisten". Zumal keiner der Parlamentarier die Überzeugungen des Papstes teilen müsse: "So wenig, wie dies bei den Gastreden von Wladimir Putin oder George W. Bush erwartet wurde". Für die Hanseaten stellt der Papst-Besuch vielmehr eine Gelegenheit dar, "öffentlich über Missstände in der katholischen Amtskirche zu debattieren". Dass man dem Oberhaupt von Millionen Gläubigen in Deutschland aber nicht einmal zuhören wolle, zeuge "einzig von Respektlosigkeit". Die Zeitung gibt sich dennoch zuversichtlich: "Der Papst hat (…) Gelegenheit, seine Kritiker eines Besseren zu belehren. Wenn er die Chance nutzt, nicht nur über die Krise des Glaubens zu sprechen. Sondern auch über die seiner eigenen Kirche. Es wäre die richtige Antwort auf so viel Ignoranz".

Weniger erwartungsvoll blickt die Stuttgarter Zeitung dem Papstbesuch entgegen: "Studien haben gezeigt, dass weder Papstreisen noch Katholiken- oder Weltjugendtage nachhaltig die Realität an der Basis verändern. Die meisten Katholiken ersehnen jedoch Veränderungen. Sie wollen das Zölibat lockern, das Priesteramt für Frauen öffnen und das Abendmahl auch offiziell mit ihren evangelischen Glaubensgenossen feiern". Solche Reformen könnten nach Meinung des Blattes aus Baden-Württemberg "die Kluft zwischen Kirchenlehre und Lebenspraxis der Christen schließen, die Glaubwürdigkeit stärken und die Zukunftsfähigkeit der Kirche erhöhen". Doch, so heißt es weiter: "Unter Benedikt wird sich hier kaum etwas tun. Daran ändern auch die Inszenierungen der nächsten Tage nichts".

Bei der Landeszeitung aus Lüneburg stößt die geplante Rede des deutschen Pontifex vor dem Bundestag offensichtlich auf wenig Gegenliebe. Auf die Frage, ob der angekündigte Boykott der 100 Parlamentarier "ungehörig oder notwendig" sei, lautet die Antwort der Kommentatoren: "Er ist ungehörig und notwendig, was deutlich macht, was die Rede von Papst Benedikt XVI. vor dem Bundestag ist: überflüssig. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die Papst-Rede die Zahl der Kruzifixe in deutschen Schulen erheblich steigen lässt. Doch die Verweltlichung der Staatsbürger ist kein Feigenblatt, hinter dem sich eine schwammig-unpräzise Staatsräson verstecken kann. Schon der Anschein der Privilegierung eines Glaubens muss vermieden werden. Zu allem Überfluss profitiert ausgerechnet der Papst, dessen robuster katholischer Überlegenheitsanspruch für eine beispiellose Verschlechterung des Verhältnisses zu Protestanten, Muslimen und Juden führte".

Der Mannheimer Morgen gibt sich souverän und schreibt: "Der Papst-Besuch wird mit Hoffnungen geradezu überfrachtet. Manches dürfte dem Papst gelingen, vieles ist unrealistisch - weil die Zeit zu knapp oder aus der Sicht des Papstes nicht reif ist. Wie der Papst in diesen vier Tagen auf die mal eher überzeugten, mal mehr zweifelnden Gläubigen wirkt, was er in ihnen auslöst und sie davon weitertragen, lässt sich ohnehin nicht messen. Ganz im Unterschied zu den Kosten in zweistelliger Millionenhöhe, die manche kritisieren. Gegenüber einem der bedeutendsten Deutschen wirkt die Debatte ums Geld ebenso kleinkariert wie der Teil-Boykott der Bundestagsrede".

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

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