Pressestimmen

Griechenland schaltet die staatlichen Sender ab "Man darf ja mal träumen"

Pressestimmen.jpg

Griechenland schaltet die staatlichen Fernseh- und Radiostationen ab. Einen nach dem anderen. ERT existiert nicht mehr. Der Grund ist ein geplanter Neustart. Ein neuer Sender soll wirtschaftlicher werden. Bei den deutschen Kommentatoren stößt das nicht gerade auf Verständnis. Die FAZ allerdings träumt schon von einem ähnlichen Vorgehen in Deutschland.

Der Reutlinger General-Anzeiger zeigt sich entsetzt: "Im Mutterland der Demokratie gehört ein Staatssender reformiert, nicht abgeschaltet. Wenn die Funkhäuser im Lauf der Jahrzehnte zu einem Sammelbecken der Protegés der jeweiligen Regierenden wurden, mag es nötig sein, zum Kehren einen Besen mit etwas widerstandsfähigeren Borsten zu verwenden." Alle Rundfunk- und Fernsehprogramme im Alleingang abzuknipsen, zeuge nur von Panik, schreibt die Zeitung. "Für den Neuanfang braucht es nun ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem ohne staatliche Oberaufsicht - und TV und Radio sind auch kein Versorgungsamt für Funktionäre. Doch bis dahin ist Griechenland seinen Gebührenzahlern zumindest eine Grundversorgung schuldig."

Insbesondere den Zeitpunkt der Entlassungen, kritisiert die Frankfurter Rundschau: "Mitten in der dramatischen Krise knipst die griechische Regierung die staatlichen Sender aus und überlässt die öffentliche Diskussion den privaten. In Brüssel wäscht man sich die Hände in Unschuld." Griechenland stehe unter Druck, gibt sie zu bedenken. "Bis Ende Juni sollen - so ist es mit EU, EZB und IWF vereinbart - 2000 Staatsbedienstete entlassen sein. Nun wurden auf einen Schlag 2600 gefeuert, Ende August sollen 1200 bei einem neuen Staatssender unterkommen. Im Saldo also 1400 gespart. Wenn denn die Rechnung des konservativen Regierungschefs Antonis Samaras aufgeht."

Das Straubinger Tagblatt und die Landshuter Zeitung vermuten hinter der Entscheidung eine Strategie, die ganz andere Ziele verfolgt. "Die Regierung von Antonis Samaras weiß genau, dass ihr Vorgehen der Presse- und Meinungsfreiheit widerspricht", heißt es dort. "Der Premier will damit die Euro-Partner unter Druck setzen, damit sie die Sparzügel lockern. Doch diese Strategie wird nicht aufgehen. Das Einzige, was er erreicht, ist, dass der Zorn der Griechen auf ihre Regierung und auf Europa weiter wächst."

Die Süddeutsche Zeitung sieht in der Entscheidung zur Schließung keinen Versuch, der nur darauf abzielt die Medien zum Schweigen zu bringen: "Mit einem Anschlag auf die Pressefreiheit hat die Schließung des griechischen Staatsfernsehens wenig zu tun, aber viel mit fortdauernden Tabus der Politik in Athen. Die Journalisten im Staatsdienst werden zu Bauernopfern, weil sich Premier Antonis Samaras ebenso wenig wie seine Vorgänger an das eigentliche Grundübel herantraut: Entlassungen im überbesetzten Staatsapparat, ohne die eine Sanierung der Staatsfinanzen nicht gelingen kann."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zeigt gar Verständnis, wenn nicht Bewunderung für Samaras Entscheidung: "Die Erklärung von Ministerpräsident Antonis Samaras für diesen drastischen Schritt klingt nicht abwegig. Ziel sei es, den Staatsfunk stark zu verkleinern, als Teil der Sparmaßnahmen, zu denen das Land wegen der Finanzmisere gezwungen ist", schreibt das Blatt. "Was immer Samaras bewogen hat - sich mit dem Staatsfunk anzulegen erfordert Mut. Ein wenig von diesem Mut wünschte man sich auch in Deutschland. Hier haben die öffentlich-rechtlichen Sender finanzielle Dimensionen erreicht, die jeder Beschreibung spotten. Einfach abschalten und kleiner neu starten? Man darf ja mal träumen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen