Kanzlerin angriffslustig in Generaldebatte "Merkel wirkt wie entfesselt"
24.11.2010, 22:01 UhrAuch wenn die Kanzlerin in der Haushaltsdebatte inhaltlich ebensowenig überzeugt wie die Opposition, zeigt sich die Presse erstaunt über den resoluten Stil Merkels. Die ruppige Gangart gegen die Grünen halten einige Zeitungen für überfällig, andere vermuten dahinter Nervosität.
"Außer Spesen wenig gewesen", urteilt die Leipziger Volkszeitung ernüchtert ob der Qualität der Debattenbeiträge im Bundestag und vermisst "im Angesicht von Euro-Krise und Terrordrohung große Politik-Entwürfe". Stattdessen, bemängelt das Blatt, war es "das politisch verhackstückte Klein-Klein der vergangenen Wochen, das den Höhepunkt der Haushaltsberatungen prägte." Nichts sei zu spüren gewesen von einem niveauvollen Streit um Zukunftsmodelle, nichts von überparteilicher Krisenbewältigung. Stattdessen konnte die Opposition "in klassischer Manier der Generalabrechnung prächtig und folgenlos austeilen gegen eine Regierung, die ihren missratenen Start noch nicht schleifspurenfrei hinter sich gelassen hat und noch immer kein Bild lupenreiner Einigkeit abgibt."
Die Landeszeitung aus Lüneburg hatte sich auch nicht anderes erwartet. "Generaldebatten sind generell eher langweilig." Manche erinnerten gar an die Neujahrsansprache eines Regierungschefs. Statt salbungsvoller Worte habe der Bundeszag aber eine angriffslustige Kanzlerin erlebt, die alles daran setze, "ihren langen innenpolitischen Dämmerzustand vergessen zu machen." Zu spüren bekamen das vor allem Merkels "neuer Lieblingsgegner", die Grünen.
Applaus für ihren aggressiven Stil gibt es aus Frankfurt. "Endlich eine Kanzlerin, wie sie sich die Koalitionsfraktionen schon lange wünschen: angriffslustig, schlagfertig, mit Erfolgen auftrumpfend.", kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zu lange habe Merkel nur lustlos das Regierungsprogramm heruntergebetet, aber nun zeige sie ein anderes Gesicht. "Angela Merkel, die über Jahre das Zaudern, Taktieren und Hinausschieben von Problemen zum Regierungsstil erhoben hat, wirkt auf einmal wie entfesselt", kommentiert die Zeitung erstaunt und deutet ihren Auftritt als Zeichen dafür, dass die Kanzlerin nach dem schwierigen Beginn ihrer zweiten Amtszeit "wieder festen Boden unter den Füßen" spürt.
Ganz anders interpretiert die Märkische Allgemeine Zeitung die Merkel-Rede. Was wie Angriffslust daherkam, sei in Wirklichkeit "blanke Furcht" - Furcht vor den Grünen. Die hätten sich in Kampf um die Wähler der gut situierten Mittelschicht schon einen leichten Vorteil erarbeitet. Während "Konservativsein" aus der Mode gekommen sei, habe die Wahl der Grünen "mitunter eine ganz eigene Erotik - der lasziv-grüne Kribbel des politischen Seitensprungs." Im Endeffekt könne aber mangels Machtoptionen auch ein beiderseits noch ungewünschtes Ergebnis bevorstehen: "die politische Zwangsheirat".
Auch die Regensburger Mittelbayrische Zeitung deutet die Attacken auf die Grünen als Nervosität. Zwar sei die Öko-Partei die kleinste Bundestagsfraktion, doch "die Proteste gegen Stuttgart 21, gegen Castor-Transporte, längere AKW-Laufzeiten oder die Münchner Olympia-Bewerbung verschaffen den mittlerweile ergrauten Ökopaxen neuen und jungen Zulauf." Dadurch seien die Grünen zu einem "ernst zu nehmenden Machtfaktor" geworden. Und dieser Machtfaktor könne Merkel schon bald Schaden zufügen. "Bereits bei der Wahl im CDU-Muster-Ländle Baden-Württemberg könnten Künast, Trittin, Kretzschmann und Co. das Machtgefüge der Union empfindlich erschüttern."
Deswegen war es höchste Zeit, dass sich die Kanzlerin der Grünen annimmt, meint die Frankfurter Neue Presse. Merkel habe lange zugeschaut. "wie die Grünen von der Wählergunst aufgepumpt wurden". Jetzt wolle sie ihnen wieder die Luft rauslassen, "indem sie zusticht. Indem sie draufhaut." Die Angriffslust sei nicht nur für sie gut, sondern auch für die Umfragewerte ihrer Partei. "Die CDU klettert mal wieder ein wenig aufwärts, die kantige Kanzlerin bedient die Sehnsüchte der Christdemokraten nach entschiedener Führung." Sollte sich die FDP allerdings nicht erholen, reiche dies nicht aus. "Mag die SPD auch kaum noch wahrnehmbar sein, zusammen sind Rot-Grün im Moment immer noch stärker als Schwarz-Gelb."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Christian Bartlau