Künast for Bürgermeister? Schlagfertige gegen Amtsmüden
21.10.2010, 21:34 UhrDie mögliche Kandidatur von Renate Künast in Berlin überrascht nicht wirklich - zu gut sind die Umfrageergebnisse für die Grünen in der Hauptstadt. Doch was wäre eigentlich anders als unter Amtsinhaber Wowereit? Die deutschen Zeitungen suchen Antworten.
Der Mannheimer Morgen meint: "Die lustlose Art, mit der sich Klaus Wowereit durchs Amt schleppt, seine missglückten Schulreformen und der Streit um den neuen Großflughafen treiben die Anhänger der SPD in Scharen in die Arme der Grünen. Ob sich die Politik der staatlichen Bevormundung und der finanziellen Sorglosigkeit unter einer Regierenden Bürgermeisterin Künast tatsächlich ändern würde, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. In vielen Fragen ticken die Berliner Grünen ja nicht anders als Sozialdemokraten und Linke entsprechend gering sind die Schnittmengen für einen Pakt mit der Union."
Die Dresdner Neuesten Nachrichten glauben auch nicht mehr an Wowereit, wenn sie schreiben: "Es läuft auf ein spannendes Duell in Berlin hinaus. Die schlagfertige Renate Künast könnte dem amtsmüde wirkenden Klaus Wowereit Beine machen. Die Frontfrau der Öko-Partei schwimmt auf einer grünen Sympathiewelle und will diese Gunst der Stunde offenbar nutzen. Die große Chance für die 54-jährige Vollblutpolitikerin ist, dass sie zur ersten grünen Regierenden Bürgermeisterin von Berlin und damit zur ersten grünen Ministerpräsidentin gekürten werden könnte. Das wäre in der Tat ein Paukenschlag. Zu dem könnte es kommen, weil die Grünen vom blassen Image der anderen Parteien profitieren. Sie ziehen in Berlin insbesondere Wähler der SPD und der CDU auf ihre Seite. Vor allem Unionswähler, deren Partei bei 16 Prozent dümpelt, sehen zudem nur auf diese Weise die Möglichkeit, Rot-Rot zu beenden."
Der Berliner Tagesspiegel sieht in Künast keine echte Alternative: "Die Frage ist, ob es über das sicher reizvolle persönliche Kräftemessen hinaus auch politisch Relevantes gibt. Was wäre anders, würde statt Wowereit Künast regieren, einmal abgesehen von ein paar Autobahnkilometern mehr oder weniger? Die Welt würde sich wieder einmal für einen kurzen Moment der Zeitgeschichte umdrehen nach Berlin: Was für eine interessante Hauptstadt, erst ein schwuler Bürgermeister, jetzt eine Grüne! Und dann? Ihr Umfragehoch verdanken die Grünen auch einer Projektion des Guten, Besseren, zu der sie als Oppositionspartei nach der erwiesenen Regierungsfähigkeit erst so richtig geworden sind, sogar weit außerhalb ihrer ursprünglichen Kreise."
Ein bisschen sieht das auch der Kommentator der Frankfurter Rundschau so: "Berlin besteht aus mehr Gegensätzen, als dieses Duell sie repräsentieren kann. Die Kandidatin und der Kandidat sind sich in vielem politisch und sozial so ähnlich, dass hinter ihrem personalisierten Wahlkampf mancher Gegensatz zu verschwinden droht - von den ungelösten Ost-West-Problemen bis zu den extremen Ausformungen des sozialen Gefälles. Das soll nicht heißen, dass Rot und Grün nicht gegeneinander antreten sollten, und sei es, um dann miteinander zu regieren. Wichtig wäre allerdings, dass alle Milieus der Stadt angemessen repräsentiert werden."
Die Volksstimme aus Magdeburg hat schon mal eine Warnung parat: "Die Farbe Grün leuchtet in der deutschen Politik derzeit stärker auf als selbst zu rot-grünen Regierungszeiten. Nun will die Partei die für sie traumhaften Umfragezahlen in zählbare Wahlerfolge ummünzen. In Baden-Württemberg könnte es gelingen, die CDU-Allmacht zu brechen. Noch besser sieht es in Berlin aus, wo die Grünen die SPD ein Jahr vor der Landtagswahl in der Wählergunst abgehängt haben und auf dem Spitzenplatz liegen. Renate Künast ist daher angetreten, Bürgermeister Klaus Wowereit den Posten streitig zu machen. Was vor Jahren noch als Größenwahn belächelt worden wäre, erscheint 2011 nicht mehr unmöglich. Dabei ist der Höhenflug nicht sensationellen grünen Denkmodellen zu verdanken, sondern vor allem den Fehlern der politischen Konkurrenz. Überdreht die grüne Kandidatin für den Chefposten in der Hauptstadt, droht eine Bruchlandung."

Und hat sie was, das Wowereit nicht hat?
(Foto: dpa)
Das Badische Tagblatt schreibt: "Ideen, Köpfe und klare Mehrheiten wären allerdings nötig, die drängendsten Berliner Probleme zu lösen. Jenseits der glitzernden Hauptstadtviertel fehlt es an vielem, vor allem aber an Arbeitsplätzen und Perspektiven; eine Vielzahl von Berlinern muss vom Staat mitalimentiert werden. Eine grüne Regierende Bürgermeisterin allein wird das nicht richten können. Und ob Renate Künast als erste über die Ziellinie geht, entscheiden letztlich nicht die Demoskopen. Denn sicher ist: Die Berliner Sozialdemokraten um den beliebten Klaus Wowereit werden sich nicht schon vor der Wahl mit dem zweiten Platz begnügen, wie das gerade die Genossen in Baden-Württemberg vorexerziert haben."
Und die Berliner Zeitung resümiert: "Die Grünen haben eine reale Chance, mit Renate Künast in der deutschen Hauptstadt die Führung zu übernehmen. Sie sind von Klientel und Programm her (noch) keine Volkspartei, aber viele ihrer Kernthemen sind mittlerweile mehrheitsfähig. 100.000 Arbeitsplätze in der Windkraftindustrie und die Solarfabriken in Adlershof sind unschlagbare Argumente. Its the economy, stupid: Wie Bill Clinton haben die Grünen begriffen, dass sich um Wirtschaft und Arbeitsplätze kümmern muss, wer die Menschen vom notwendigen ökologischen Umbau überzeugen will."
Quelle: ntv.de