Pressestimmen

Wahlen in Ungarn "Ungarn ist kein finsteres Drittweltland"

Die Ungarn haben Ministerpräsident Orban im Amt bestätigt. Die Unionsfraktion gratuliert "herzlich", dennoch überwiegt die Skepsis unter deutschen Politikern. Die deutsche Presse diskutiert die verschiedenen Meinungen.

"Auf dem Weg nach Europa haben viele politisch Verantwortliche Ziele wie soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Prosperität für ihre EU-Bürger aus den Augen verloren", schreibt das Düsseldorfer Handelsblatt. Gerade in einer globalisierten Welt sei eine nationalistische Wirtschaftspolitik, wie sie Orban  weiter betreiben will, eine strategische Sackgasse. Die Bundesregierung jedoch habe den Irrweg der Ungarn bislang ignoriert. "Zu lange hat sich Deutschland um die mediterranen Sorgenkinder gekümmert und vergessen, dass im Osten Europas eine politische Zeitbombe tickt", meint das Blatt.

Stolz halten die Unterstützer Orbans ihre Siegesplakate in die Höhe.

Stolz halten die Unterstützer Orbans ihre Siegesplakate in die Höhe.

(Foto: imago/PuzzlePix)

Der Kölner Stadt-Anzeiger ist da anderer Meinung. Derart erdrückend sei Orbans Triumph nur, weil sich seine Partei jenseits des guten demokratischen Stils ein Wahlrecht auf den Leib geschneidert und die Medien manipuliert habe. "Aber bei alldem haben die Ungarn doch überdeutlich klargemacht, dass sie eine rechtsnationale Regierung wollen. Das gilt es zu akzeptieren, auch in Brüssel und Berlin." Es mute schon seltsam an, wenn ein deutscher Regierungssprecher sogleich dazu ermahnt, die Mehrheit "mit Augenmaß, Zurückhaltung und Sensibilität" zu nutzen. Mit solchen Sprüchen, die nichts anderes seien als eine vorauseilende Einmischung in innere Angelegenheiten, bringe man die Bürger in Ungarn nur gegen "die da in Brüssel" beziehungsweise in Deutschland auf, schreibt die Zeitung.

Die Stuttgarter Zeitung führt das noch weiter aus: "Das Lamento, dass die Europäische Union ihre Strahlkraft als Friedensprojekt verloren hat, wird schon seit Jahren angestimmt." Das Beispiel Ungarn zeige exemplarisch, was drohe, wenn die EU zur wirtschaftlichen Subventions- und Regulationsmaschine verkomme und darüber hinaus nur noch zum politischen Sündenbock tauge. Die Zeitung kommt zu dem Schluss: "Nur so ist es möglich, dass ein machtbesessener Politiker eine funktionierende Demokratie aushöhlt und deren Ideen diskreditiert." In Kiew, bei den Kämpfen auf dem Maidan, seien zum ersten Mal in der Geschichte Menschen mit der Europa-Fahne in der Hand gestorben. "Sie wollten in Frieden und Freiheit leben. Europa sollte das nicht vergessen und den Populisten in den eigenen Reihen ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit dem nötigen demokratischen Selbstbewusstsein entgegentreten."

Die Main-Post aus Würzburg sorgt sich: "Für die Europawahlen lässt das nichts Gutes erahnen. Gerade, weil von einer geringen Wahlbeteiligung ausgegangen werden muss, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass künftig mehr Europafeinde im Straßburger Parlament sitzen." Dabei bestehe die Gefahr, dass die Errungenschaften und die weitere Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses torpediert würden. Zudem drohe der EU ein Verlust an Einfluss und Legitimation, wenn eine signifikante Anzahl von Europäern Volksvertreter wählt, die einen EU-Austritt ihres Landes wollen. Beides würde Politikern wie Viktor Orban in die Hände spielen.

"Eins gilt es im Falle Ungarns festzustellen", meint die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg. "Ja, der Nationalkonservative Viktor Orban hat das Vertrauen einer großen Mehrheit." Daran ändere auch Kosmetik am Wahlsystem nichts. Und "ja, in Ungarn haben die Menschen durch diese Wahl auch ihre Skepsis gegenüber zunehmender EU-Zentralisierung und ausufernder Regulierungswut kund getan. Es wäre aber an Brüssel, hier selbstkritisch zurate zu gehen, statt die Populismuskeule zu schwingen", schreibt die Zeitung. "Und nein, Ungarn ist kein finsteres Drittweltland, in dem die Menschenrechte nichts gelten. Die Ungarn sind eine alte, freiheitsliebende, europäische Nation, die oberlehrerhafte Belehrungen nicht nötig hat."

Zusammengestellt von Hanna Landmann.

Quelle: ntv.de

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