Pressestimmen

Schlichterspruch zu "Stuttgart 21" "Was war das Entertainment wert?"

Nach sechs Wochen intensiver und öffentlich geführter Gespräche mit Gegnern und Befürwortern von "Stuttgart 21" empfiehlt Heiner Geißler, das umstrittene Bahnprojekt fortzuführen, fordert aber grundlegende Nachbesserungen. Ein wenig überraschender Schlichterspruch, findet die Presse, lobt aber mehrheitlich das Engagement von Geißler und den wegweisenden Vermittlungsprozess. Oder war doch alles nur ein Demokratie-Event fürs Fernsehen?

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(Foto: dpa)

"Nach Stuttgart 21 jetzt Stuttgart 21 Plus: Geißlers neuer Name für ein angefeindetes Großprojekt setzt den fulminanten Schlusspunkt unter sechs Wochen mustergültiger Schlichtung", meint der Münchner Merkur und stellt fest: "Ein 80-jähriger Politik-Veteran hat der Republik gezeigt, wie Demokratie funktionieren könnte", und das könne auch für Gorleben Beispielcharakter haben. Bezüglich "Stuttgart 21" hätte Geißler aber "der Bahn ein nettes Kuckucksei ins Nest gelegt. Und die Volksabstimmung, die Geißler aus rechtlichen Gründen nicht vorschlagen wollte, wird ja dennoch stattfinden. Es sind die Landtagswahlen im März 2011."

Für die Hessische-Niedersächsische Allgemeine aus Kassel lautet die Lehre von Stuttgart 21: "Es geht nur mit den Bürgern, nicht ohne sie. Und es ist Aufgabe der Planer, auf diese zuzugehen, nicht umgekehrt." Für den Konflikt um das Tiefbahnhofsprojekt kam der Vermittlungsversuch allerdings zu spät, denn "was Geißler noch vorschlagen konnte, bleibt für viele S21-Gegner indiskutabel. Und dass Bischöfe jetzt den weiteren Prozess moderieren sollen, zeigt, dass eine neue Eskalation des Konflikts befürchtet werden muss."

Aber auch wenn die Schlichtung zu spät einsetze, was sie dennoch sinnvoll, findet die Berliner Zeitung, "weil das Verfahren weit über Stuttgart hinaus reicht. Eine Auseinandersetzung wie diese im Sitzungssaal des Rathauses hat es in der deutschen Politik noch nicht gegeben: in der Sache hart, streitig und offen, respektvoll im Ton, bisweilen brillant in der Rhetorik. Diese Art der Debatte kannte man bisher allenfalls aus amerikanischen Kongress-Hearings oder aus dem britischen Unterhaus."

Die Volksstimme aus Magdeburg beleuchtet das "Finale bei der Stuttgarter Schlichtungs-Show" kritisch: "Der Star Heiner Geißler gab ein letztes großes Solo als Vermittler. Mit dem wenig überraschenden Spruch, dass am Projekt Stuttgart 21 bis auf ein paar Nachbesserungen nichts zu ändern ist. Da fragt sich das Publikum: Was war das Entertainment wert? Immerhin: Bei der ersten Inszenierung dieser Art gelang es, massiven Bürgerprotest von der Straße in den Rathaussaal zu tragen. Via TV wurde aus einem versachlichten Schlagabtausch gar ein bundesweites Demokratie-Event. Nur war eben in Stuttgart bereits alles entschieden. Soll eine solche Aufführung mehr als unterhaltsame Weiterbildung zu Bürgerrechten sein, muss der Vorhang aufgehen, wenn nicht alle Verträge gemacht und die Bagger in Aktion getreten sind. So jedoch genoss ein schillernder Moderator das Rampenlicht mit den Streitparteien als Background-Chor."

Die Stuttgarter Zeitung beurteilt den Schlichterspruch: "Trotz des im Kern für sie günstigen Votums dürfen sich die Projektträger nicht zu sehr als Sieger fühlen. Natürlich können sie zufrieden sein, zumal sie mit der Wahl des unberechenbaren Schlichters ein hohes Risiko eingegangen sind. Andererseits dürfte ihnen das von Geißler geforderte Stuttgart 21 plus, vor allem die beiden zusätzlichen Gleise im Tiefbahnhof, noch manche schlaflose Nacht bescheren. Denn es ist noch nicht klar, wie sie die Vorschläge von Geißler umsetzen wollen und wie teuer das dann würde. Im Umgang mit den Empfehlungen müssen sich nun die Projektträger messen lassen. Daran wird sich entscheiden, wie es mit Stuttgart 21 und dem bürgerschaftlichen Miteinander in Stuttgart weitergeht."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki

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