Griechenland und die Schuldenkrise "Wurzel des Übels steckt woanders"
19.10.2011, 21:15 Uhr
Mit einem zweitägigen Generalstreik protestieren die Griechen gegen das neue Sparpaket, das das Parlament am Donnerstag verabschieden soll. Die Sparmaßnahmen sind die Voraussetzung dafür, dass die nächste Kredittranche aus dem 110-Milliarden-Euro-Rettungspaket von EU, Euro-Ländern und Internationalem Währungsfonds fließen kann und auch Bedingung für das zweite Griechenland-Hilfspaket, über das der EU-Gipfel am 23. Oktober berät. Aber nicht nur in der Hellenischen Republik gehen die Menschen auf die Barrikaden, auch in der deutschen Presse verschärft sich der Ton.

Mit dem größten Streik seit vielen Jahren haben mehrere zehntausend Beschäftigte in Griechenland das öffentliche Leben lahmgelegt.
(Foto: dpa)
"Längst ist deutlich, dass das Lockermachen immer neuer Milliarden in immer kürzeren Fristen die Probleme nicht löst", schreibt der Reutlinger General-Anzeiger. "Finanzminister Wolfgang Schäuble will zur Rettung Griechenlands und des Euro einen sogenannten Kredithebel durchsetzen". Aber, so das Blatt aus Baden-Württemberg, hier könnte die Allgemeinheit und auch mancher Experten nicht mehr folgen. "Die Akrobatik der Krisenmanager ist atemberaubend, die tatsächlichen oder gehebelten Rettungssummen haben astronomische Dimensionen erreicht. Ein echter Schuldenschnitt Griechenlands rückt hoffentlich näher. Auch dies käme die Europäer teuer zu stehen - aber es wäre ein Ende mit Schrecken statt ein Schrecken ohne Ende".
Angesäuert über das Handeln der Politik reagiert die Frankfurter Rundschau: "Wer ins Risiko geht, muss mit den Konsequenzen leben. Diesen Satz würden wahrscheinlich viele unterschreiben. Nicht die Politik". Diese handele derzeit nach dem Prinzip: "Wer ins Risiko geht, muss vor den Risiken geschützt werden. Staaten werden gerettet, Banken gestützt und die risikobereiten Bürger gleich mit. Nur wer ohne finanzpolitisches Abenteuer lebt, bekommt das volle Risiko ab. Und damit soll man einverstanden sein?".
Der Berliner Zeitung erscheint die Politik wie ein zahnloser Tiger: "machtlos. (…) Sie ist machtlos, weil sie sich auf die Regeln ihres Gegners eingelassen hat. Demokratie lebt von Transparenz, von Offenheit, sie lebt von Überzeugungskraft und davon, dass Bürgern einleuchtet, was ihre demokratisch gewählten Vertreter tun, selbst wenn sie nicht damit einverstanden sind". Derzeit, so das Blatt, handele die Politik aber außerhalb der Demokratie. Sie benehme sich, als sei sie "ein Player auf den anarchischen internationalen Finanzmärkten, die nur der Logik der Geldvermehrung gehorchen". Für die Kommentatoren steht fest: Die Politik "hat sich auf ein Kräftemessen eingelassen, das sie verlieren muss".
Weniger pessimistisch gibt sich die tageszeitung (taz): "Die meisten Griechen wissen, dass sich ihr Land ändern muss. Die Reformbereitschaft der meisten Griechen ist groß", schreibt das Blatt. Und darauf sollte die EU vertrauen. Es sei "jedenfalls sinnlos, den Griechen stets neue Sparrunden aufzuzwingen, die wie Strafaktionen" wirkten, weil dadurch die Wirtschaft kollabiere. Für die in Berlin herausgegebene Zeitung ist die Sachlage klar: "Ein deutlicher Schuldenerlass ist nötig, und es zeugt von Realitätssinn, dass der EU-Gipfel darüber verhandeln will".
Der Emder Zeitung tut Griechenland nur noch leid: "Anstatt das gigantische Hilfsprogramm als allerletzte Chance zu begreifen, verrennt sich ein großer Teil der Gesellschaft in kollektiver Hysterie in eine immer ausweglosere Situation. Auch wenn die Streiks und Proteste längst nicht von der gesamten Bevölkerung befürwortet werden, sind sie ohne Zweifel in ihrer psychologischen Wirkung verheerend, denn alle jene Politiker, die die Hilfsprogramme schmieden, verlieren dadurch den wichtigsten Rückhalt, nämlich den der Bürgerinnen und Bürger in ihren Ländern". Die Kommentatoren aus Ostfriesland warnen vor den Folgen für Deutschland: "Insbesondere die deutsche Politik tanzt auf Messers Schneide. Fände heute eine Volksabstimmung statt, würden sämtliche Rettungspakete durchfallen. Die Bilder aus Athen sind leider mächtiger als alle gut fundierten Begründungen, warum 'wir' für den griechischen Schlamassel geradestehen sollen".
Nach Ansicht der Westfälischen Nachrichten wird Griechenland "zum Menetekel für die Einheit der Euro-Zone und der EU". Für das Blatt aus Münster steht außer Frage, dass Athen sparen muss. Den Takt jedoch müsse die Politik angeben: "mittel- und langfristig, begleitet von einem europäischen Förderprogramm: Es muss Schluss sein mit dem kurzatmigen Diktat von Spekulanten und Ratingagenturen, die Länder und Menschen zum Spielball eines perversen Kasino-Kapitalismus machen. Heute Griechenland, morgen Italien, übermorgen Frankreich? Damit wäre auch Deutschland überfordert. Es gilt, Griechenland zu halten. Gewiss, dort liegt einiges im Argen, aber die Wurzel des Übels steckt woanders."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke