Zu hohe Zinsen Wann ist ein Kredit sittenwidrig?
11.08.2023, 15:05 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Wann ein Kredit sittenwidrig wird, hat der Bundesgerichtshof in einem älteren Urteil skizziert, an dem sich bis heute die Rechtsprechung orientiert.
(Foto: imago/avanti)
Verbraucherkredite und Baufinanzierungen können als Wucher angesehen werden, wenn sie zu teuer sind. Dann besteht die Möglichkeit, überhöhte Zinsen oder Provisionen zurückzuverlangen. Das zeigen aktuelle Urteile. Besonders eine Bank ist negativ aufgefallen.
Banken nutzen zuweilen die Unkenntnis oder eine Notsituation von Verbrauchern aus, um ihnen teure Darlehen zu verkaufen. Doch aktuelle Gerichtsurteile zeigen: Die Zinshöhe bei Krediten an private Kunden hat Grenzen. Übertreiben es die Banken, dann kann ein Darlehen sittenwidrig sein und als Wucher eingestuft werden. Mit einschneidenden Konsequenzen sowohl für Kreditnehmer als auch für die Kreditinstitute und ihre Vermittler.

Roland Klaus arbeitet als freier Journalist in Frankfurt und ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf.
So hat beispielsweise das LG Hamburg (Az. 325 O 110/22) einen Immobilienkredit der zur BNP Paribas gehörenden Consors Finanz mit einem effektiven Zinssatz von 10,64 Prozent als sittenwidrig eingestuft. Die Folge: Der Vertrag ist nichtig. Der verklagte Kreditvermittler muss seine Provision in Höhe von mehr als 5000 Euro an den Kunden zurückzahlen.
Zu hohe Zinsen werden erstattet
Aber auch für Banken kann die Einstufung eines Darlehens als Wuchergeschäft massive Folgen haben: Sie müssen die zuviel gezahlten Zinsen erstatten und den Kunden auf dessen Wunsch aus einem laufenden Kredit entlassen, ohne dass eine Vorfälligkeitsentschädigung fällig wird. Damit besteht die Chance auf eine günstigere Refinanzierung des überteuerten Darlehens. Auch hier ist die BNP Paribas bereits mehrfach negativ aufgefallen: Mit ihren Marken "von Essen Bank" und "Consors Finanz" tummelt sie sich im Geschäft mit hohen Zinsen, hohen Vermittlungsprovision und hohen Kosten für Restschuldversicherungen.
Wann ein Kredit sittenwidrig wird, hat der Bundesgerichtshof in einem älteren Urteil skizziert, an dem sich bis heute die Rechtsprechung orientiert. So argumentierte der BGH (Az. XI ZR 252/89), ein auffälliges Missverhältnis sei dann gegeben, wenn der Vertragszins mehr als doppelt so hoch sei wie der marktübliche Effektivzins.
Argument der schlechten Bonität zieht nicht
Diese recht klare Aussage lassen viele Kreditinstitute im Einzelfall nicht für sich gelten. Nach unserer Erfahrung argumentieren Banken gerne, der Kunde habe eine reduzierte Kreditwürdigkeit. Somit sei für ihn ein deutlich erhöhter Zinssatz gerechtfertigt.
Doch dieser Argumentation hat nun das LG Erfurt (Az.: 9 O 101/23) in einem bemerkenswerten Urteil einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Zuge einer sorgfältigen Kreditwürdigkeitsprüfung, zu der Banken gesetzlich verpflichtet sind, dürfe es keine erhöhten Rückzahlungsrisiken geben, die in einem Aufschlag zum Marktzins zu berücksichtigen seien, so das Gericht. Oder anders ausgedrückt: Kreditinstitute dürfen ein Darlehen nur an kreditwürdige Kunden vergeben - und dann zu einem Zins in der Nähe des Marktzinses. Ist der Kunde nicht kreditwürdig, darf er überhaupt keinen Kredit erhalten.
So können aufgrund der extrem niedrigen Marktzinsen bei Baufinanzierungen mit erstrangiger Besicherung aus den Jahren 2016 bis 2021 bereits Zinssätze von mehr als 2,5 bis drei Prozent als sittenwidrig angesehen werden. Siehe dazu unsere Tabelle:
Deutlich höher liegen die Grenzen zum Wucher bei unbesicherten Verbraucherkrediten. So zahlte der Kunde in dem bereits genannten Erfurter Fall einen Sollzins von 15,2 Prozent. Als er seine Raten nicht mehr zahlen konnte, verklagte ihn das Kreditinstitut - und verlor.
Einzelfallprüfung nötig
Zu beachten ist jedoch, dass die Höhe des Zinses allein nicht ausreicht, um die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrags festzustellen. Vielmehr müssen die individuellen Umstände umfassend bewertet werden. Verbraucher, die den Verdacht haben, dass ihre Zinsen sittenwidrig sind, sollten sich an einen spezialisierten Rechtsanwalt oder an Verbraucherschützer wenden.
Nach unserer Erfahrung kommt gerade bei Verbraucherkrediten, bei denen der Kreditnehmer durch überhöhte Zinsen in eine Schuldenfalle zu geraten droht, die Übernahme der Kosten für Anwalt und Gericht im Rahmen der Prozesskostenhilfe infrage, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht. Damit können auch Verbraucher, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, ihr Recht durchsetzen.
Über den Autor: Roland Klaus ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf. Sie hilft bei der Durchsetzung von Verbraucherrecht in Finanzfragen und wird dabei von spezialisierten Anwälten unterstützt.
(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 10. August 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de