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Hamburg & Schleswig-Holstein Tödliches Unglück im Schwimmkurs - Tränenreicher Prozess

Bei einem Schwimmkurs gerät eine Fünfjährige unter Wasser. Die Schwimmlehrerin bemerkt das zu spät. Jetzt steht sie in Hamburg wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Hamburg (dpa/lno) - Bei einem Schwimmkurs in einem Hamburger Hallenbad gerät eine Fünfjährige unter Wasser und erleidet einen tödlichen Sauerstoffmangel. Der tragische Unfall vom 4. Oktober 2023 wird jetzt vor dem Amtsgericht aufgearbeitet. Angeklagt ist eine Schwimmlehrerin, die damals den Kurs leitete. Ihr wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Während des Prozesses fließen in und vor dem Gerichtssaal viele Tränen. 

Das Mädchen hatte an jenem Tag als eines von zehn Kindern an einem Anfängerkurs im Schwimmbad Bondenwald im Stadtteil Niendorf teilgenommen. Während des Kurses mit sogenannten Schwimmnudeln als Hilfe soll sich die 39-jährige Kursleiterin laut Anklage um ein weinendes Kind gekümmert und dabei nicht bemerkt haben, dass die Fünfjährige ihre Schwimmhilfe verlor und für mindestens drei Minuten unter Wasser geriet.

Anklage: Unglück wäre vermeidbar gewesen

Das Kind war trotz Reanimationsmaßnahmen einen Tag später an den Folgen eines Sauerstoffmangels gestorben. Laut Anklage hätte der Tod verhindert werden können, wenn die Schwimmlehrerin die anderen Kinder während der Betreuung des weinenden Kindes aus dem tiefen Wasser geschickt oder die Vollständigkeit des Kurses rechtzeitig überprüft hätte.

Die Angeklagte berichtet detailliert über das tragische Geschehen. Der 39-Jährigen fällt es schwer, dabei die Fassung zu wahren. Sie spricht ganz leise und stockend. Nach der Zeugenaussage der Mutter, die den Tag ihrer "kerngesunden" Tochter vor dem Unglück beschreibt und dabei weint, bricht auch die Angeklagte in lautes Schluchzen aus und ruft: "Es tut mir so leid, ich würde mein Leben geben." 

Rettungseinsatz im Gerichtsgebäude

Der Vater sitzt ihr als Nebenkläger gegenüber. Schon vor dem Verhandlungsbeginn hat er sich immer wieder die Augen mit einem Taschentuch abgewischt. Vor der Zeugenaussage der Mutter sind von draußen laute Schreie zu hören. Auf dem Flur und in einer Damentoilette brechen zwei Frauen zusammen. Sie sind nach Angaben einer Gerichtssprecherin vermutlich Verwandte der betroffenen Familie. Die Justizbeamten rufen zwei Rettungswagen. 

Nach eigenen Angaben hatte die Angeklagte die Kinder damals zu einem Schulschwimmbecken mit einer Tiefe von 80 bis 130 Zentimetern gebracht. Dort sollten sie mit der Schwimmhilfe ins Wasser springen und am Beckenrand zur zwölf Meter entfernten Seite gegenüber schwimmen. Ein Mädchen habe panisch geschrien, sie habe es etwa eine halbe Minute zu beruhigen versucht. Dabei habe sie aber weiter die anderen Kinder im Blick behalten und gesehen, wie sie nacheinander ins Wasser sprangen und am Beckenrand entlang schwammen. 

Atemwege des Kindes blockiert

Erst nach einer Strampelübung am Beckenrand und einem abschließenden Eintauchen in das 32 Grad warme Wasser zum Aufwärmen habe sie eine überzählige Schwimmnudel bemerkt und das Kind unter Wasser entdeckt. Sie habe das Mädchen sofort rausgeholt und auf dem Beckenrand zu beatmen versucht. 

Der Leiter des Schwimmbads sagt als Zeuge, ein Kollege habe ihn an seinem Platz auf den Notfall aufmerksam gemacht, woraufhin er einen Notruf abgesetzt habe. Dann habe er ebenfalls versucht, das Mädchen zu beatmen. Die Atemwege seien von Erbrochenem blockiert gewesen.

Das bestätigt auch eine Ärztin, deren Sohn den Kurs ebenfalls besuchte. Die Mutter hatte wie die anderen Eltern einen Alarmton gehört und war in den Badebereich gegangen. Sie habe ihren Sohn getroffen, der ihr sagte: "Mama, da geht's einem Kind nicht gut." Bis zum Eintreffen des Notarztes leistete die 46-Jährige Erste Hilfe. 

Ein Notfallsanitäter und der Notarzt selbst schildern vor Gericht, wie sie sich vergeblich bemühten, die Atemwege des Kindes freizubekommen. Zwei medizinische Sachverständige verfolgen den Prozess und sollen sich zum Abschluss der Beweisaufnahme zur Todesursache äußern.

Angeklagte berichtet von früherem Vorfall

Die Angeklagte gibt seit 2011 Schwimmunterricht. Seit dem tödlichen Unfall ist sie nach Angaben ihres Verteidigers arbeitsunfähig. In ihrer Aussage gibt sie auch über ihre Arbeitsbedingungen Auskunft. Wenige Tage vor dem tödlichen Unfall hatte sie bereits eine andere kritische Situation im Schwimmunterricht bewältigen müssen. 

Ein Kind sei in Panik geraten und habe wie am Spieß geschrien. Sie habe versucht, über ihr Walkie-Talkie Kollegen um Hilfe zu bitten. Sie habe aber keine Unterstützung bekommen, möglicherweise waren die Kollegen außer Rufweite.

Über die "totale Eskalation" in jener Schwimmstunde berichtete die Angeklagte einer Vorgesetzten per Mail. Sie schlug vor, erst mal Ruhe einkehren zu lassen. Wie die 39-Jährige in ihrer Aussage erklärte, fürchtete sie damals, ihr könne vorgeworfen werden, dass sie nicht in der Lage sei, den Schwimmkurs zu leiten. 

Ermittlungen gegen Badleiter eingestellt

Der 4. Oktober 2023, an dem das tödliche Unglück geschah, sei ein Brückentag gewesen. Bis auf den Schwimmkurs seien keine Badegäste da gewesen, weil in dem Hallenbad Bauarbeiten stattfanden. Weil auch fast keine Kollegen anwesend waren, habe sie ihr Walkie-Talkie nicht mit in den Unterricht genommen. 

Auch gegen den Badleiter ermittelte zunächst die Staatsanwaltschaft. Das Verfahren gegen den 61-Jährigen sei jedoch mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt worden, sagte eine Sprecherin der Behörde.

Das Urteil will das Gericht bei einem Fortsetzungstermin am 9. Oktober verkünden.

Quelle: dpa

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