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Hessen Wieso ist hier überall Baustelle?

Wer mit dem Auto in Großstädten wie Frankfurt unterwegs ist, braucht starke Nerven. Gefühlt quält man sich von Stau zu Stau. Geht das nicht besser?

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Hinter Ingmar Bolle poppen die Baustellen-Symbole aus dem Stadtplan wie Pilze nach dem Regen. Bolle ist der oberste Baustellen-Koordinator der Stadt Frankfurt. Der überdimensionale Bildschirm hinter ihm zeigt alle Bauvorhaben, die den Verkehr in der Stadt beeinträchtigen. Es sind, halten Sie sich fest, rund 19.000 pro Jahr. 

Dass Autofahrer in Städten wie Frankfurt fluchen, dafür hat Bolle durchaus Verständnis. Aber er ist auch sicher: Die Baustellen sind keine Schikane, sondern nötig. Und: Die Stadt tut alles, um die Behinderungen örtlich und zeitlich zu entzerren. Für genervte Autofahrer hat er zudem ein paar Tipps zum Entstressen, aber dazu später. 

"Das Nervensystem unserer Gesellschaft"

"Unter dem Pflaster liegt nicht der Stand", zitiert Bolle einen Spruch aus der 68er-Zeit: "unter dem Pflaster liegt das Nervensystem unserer Gesellschaft". Stromkabel, Wasser- und Abwasserleitungen, Gas und Fernwärme, Datenkabel und Glasfaser. Vieles davon sei 50, 60 Jahre alt und müsse erneuert werden. "Jeder will, dass alles funktioniert, aber keiner will die Baustelle dafür vor seinem Haus oder auf seinem Arbeitsweg."

Seit 2009 werden alle verkehrsrelevanten Baustellen in Frankfurt im Straßenverkehrsamt zentral koordiniert. Für den Überblick sorgt eine Plattform, die Bolle "unsere digitale Zauberkugel" nennt. Eigentlich ist es eher ein Trichter: Oben rein kommen alle Informationen, wer wann wo was warum sperren will - unten kommt eine Echtzeit-Information für die Navigationssysteme heraus. 

Die Idee: Baustellen zeitlich und örtlich entzerren

Wird eine Straße ohnehin aufgegraben, sollte möglichst viel anderes gleich miterledigt werden. Ist eine Hauptverkehrsader gesperrt, sollte es auf der Ausweichstrecke keine weitere Sperrung geben. 

Die Koordinatoren verhandeln "als unbeteiligte Dritte" mit Strom- und Wasserversorgern, Nahverkehrsbetrieben, Netzdiensten und privaten Bauherren. Auch die Baustellen der Deutschen Bahn, des Landes Hessen und der Autobahn GmbH müssen berücksichtigt werden. Dazu kommen Sperrungen für Feste und Sportveranstaltungen. "Viel Holz", sagt Bolle trocken.

Nicht immer läuft alles glatt

Es läuft nicht immer alles glatt. Wieso musste der Austausch der Straßenbahngleise auf der Friedensbrücke ausgerechnet am ersten Tag nach den Schulferien beginnen, während parallel das Museumsuferfest abgebaut wurde? Der Stau legte die halbe Stadt lahm. 

Nach den Ferien sei Absicht gewesen, sagt Bolle: Während der Ferien seien die Gleise am Willy-Brandt-Platz dran gewesen. Aber dass niemand das Museumsuferfest auf dem Schirm gehabt habe, sei ein Fehler gewesen. "Das hätte nicht passieren dürfen." 

Dafür floss der Verkehr auf der Bockenheimer Landstraße - die nun bis 2029 Einbahnstraße ist - nach der Sperrung schneller als zuvor, weil zeitgleich eine Hochbau-Baustelle wegfiel.

Tipps für weniger Stress auf der Straße 

Das Straßenverkehrsamt ist der Blitzableiter für genervte Autofahrer. "Dass die Leute anrufen und sich beschweren, ist ok", findet Bolle. Manchmal erführen die Mitarbeiter dadurch, dass eine Baustelle sich nicht an die Auflagen halte oder viel länger dauere als erlaubt. "Aber die Mitarbeiter anschreien ist nicht okay." 

Für von den Baustellen genervte Autofahrer hat Bolle ein paar Ratschläge: 

  • Auch wenn man sich auskennt in der Stadt, sollte man immer mit Navi fahren, und zwar am besten mit dem im Handy.
  • Bei jeder Fahrt überlegen, ob es wirklich nur mit dem Auto geht und ob die Fahrt zur Hauptverkehrszeit sein muss.
  • Das Portal mainziel.de checken: Dort sind alle Sperrungen und Baustellen zu sehen.
  • Sich klarmachen, dass die Baustelle einen Zweck erfüllt, etwa damit Rechenzentren Strom bekommen oder es zu Hause warm ist.

Und wie sieht es in anderen Kommunen aus?

In Wiesbaden werden rund 5.000 Baustellen pro Jahr zentral koordiniert. Das funktioniere gut "und hat sich in den vergangenen Jahren auch durch interne Umstellungen immer besser eingespielt", heißt es bei der Stadt. Besonderheit: Nach der Havarie der Salzbachtalbrücke gab es zweieinhalb Jahre lang einen Baustopp auf den Hauptverkehrsstraßen. 

"Eine zentrale Koordinierungsstelle ist unverzichtbar", findet auch die Stadt Kassel. "Selbst mit dieser Art von Koordination führt die Menge von Baumaßnahmen zu teils erheblichen Behinderung. Ohne diese zentrale Koordination wäre die Nutzbarkeit des Verkehrsnetzes kaum noch zu gewährleisten", sagte ein Stadtsprecher über die rund 4.000 Baustellen pro Jahr.

Option des Landes bald für alle Kommunen

Marburg hingegen hat keine zentrale Koordinierungsstelle für alle Baustellen: Hochbau und Tiefbau koordinieren ihre eigenen Baustellen intern. Besonderheit: Wegen einer Studienanstalt für Blinde gibt es viele Sehbehinderte, auf die die Stadt bei Umleitungen und Baustellenabsicherungen besonders achtet. 

Wer bisher kein eigenes System hat: Das digitale Baustellenmanagement des Landes Hessen steht bald auch Kommunen zur Verfügung. Bisher wird es intern bei Hessen Mobil genutzt. "Die Testversion wird erst Mitte/Ende September für die Kommune freigeschaltet. Sobald dies erfolgt ist, können auch kommunale Baumaßnahmen eingegeben werden", kündigte eine Sprecherin des Verkehrsministeriums an.

Quelle: dpa

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