Deutschland im "Sackbahnhof" Athleten fordern Einbindung in Spitzensportreform
14.12.2022, 19:23 Uhr
Maximilian Klein, Sprecher von Athleten Deutschland.
(Foto: dpa)
Das deutsche Abschneiden bei den Olympischen Sommerspielen im Vorjahr facht die Diskussion über die Sportförderung einmal mehr an. Das 2016 verabschiedete Konzept bringt nicht den gewünschten Erfolg. Der Verein Athleten Deutschland stellt nun Ideen für eine neue Herangehensweise vor.
Maximilian Klein machte vor dem Sportausschuss des Bundestages klar, dass die Athleten bei der Konzipierung der Spitzensportreform ein Wort mitreden wollen. "Das sind keine Weihnachtswünsche", betonte der Sprecher von Athleten Deutschland. Die Interessenvereinigung will dabei nicht nur mitwirken, sondern auch mitgestalten. Wie sie sich die Reform der Reform vorstellen, präsentierte der Verein in dem 54 Seiten umfassenden Positionspapier "Damit Deutschland gewinnt. 30 Anregungen für eine ganzheitliche Entfaltung der Athleten".
Darin wird das vom Bundesinnenministerium (BMI) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) initiierte Reformprojekt als Chance gesehen, der Vision von Athleten Deutschland näherzukommen: "Ein Sportsystem, das Athleten optimale Bedingungen zur ganzheitlichen Entfaltung ihrer sportlichen und persönlichen Potenziale bietet und sie als Menschen achtet." Bisher haben BMI und DOSB nur ein Grobkonzept vorgelegt, in dem eine Agentur für den Leistungssport zur Steuerung und Förderung sowie ein Sportfördergesetz die zentralen Bausteine sein sollen. Auch Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes, hält einen "tiefgreifenden Veränderungsprozess" für notwendig.
Die 30 Anregungen zielen darauf hin, dass die Athleten und Athletinnen "Fixpunkt und Zweck der Sportförderung" sein sollten und "nicht die Strukturen", heißt es in dem Papier. "Im Kontrast zu diesem Ideal dominiert derzeit jedoch die Strukturförderung. Verbände und Stützpunkte haben marktbeherrschende Monopolstellungen." Die Athleten wünschen sich "gleiche Chancen für unterschiedliche Wege", erläuterte der frühere Basketball-Nationalspieler Johannes Herber, heute Geschäftsführer von Athleten Deutschland.
Mehr Selbstbestimmung statt systemischer Zwänge
Das Leistungssport- und Stützpunktsystem sei darüber hinaus eher von Intransparenz gekennzeichnet. Und: Die Zentralisierung des Sports und das Training an Stützpunkten sollte für Athleten kein Zwang und Mitsprache bei den dortigen Angeboten möglich werden. Diese und die weiteren Anregungen könnten für alle Beteiligten ein Mehrwert haben und mehr Effizienz ins Sportsystem bringen. "Wir sind überzeugt, dass da alle gewinnen", meinte Klein.
Ein Innovationstopf könnte Fördergelder an "vielversprechende Initiativen" vergeben. Auch regt Athleten Deutschland an, die Kaufkraft beispielsweise in Form eines Athletengelds, etwa für Serviceleistungen, zu erhöhen. Die Athletenvertretung plädiert für eine "neue Sportpolitik, die die Selbstbestimmung der Athletinnen und Athleten stärkt, mehr Wettbewerb zulässt, Informationsasymmetrien ausgleicht, Innovation fördert, dysfunktionale Anreizsteuerung abstellt und ihre Entscheidungen evidenzbasiert trifft".
Athleten Deutschland befürwortet die vorgesehene unabhängige Agentur für Leistungssport, mahnte aber, bei ihrem Aufbau den derzeitigen Systemfehler nicht zu reproduzieren. "Die alleinige Kontrolle einer solchen Organisation von Staat und Sport sollte vermieden werden", betonen die Athletenvertreter. Stattdessen sollten auch Sportler in die Ausübung von Kontroll- und strategischen Gestaltungsfunktionen eingebunden sein.
PotAS-Reform gelingt keine Trendumkehr
Der DOSB glaubt, dass das Grobkonzept eine gute Grundlage ist, im kommenden Jahr eine erfolgreiche Reform auf die Beine zu stellen und damit den Abwärtstrend bei Olympischen Spielen zu stoppen. "Kleinere Reparaturen" an der erst vor sechs Jahren auf den Weg gebrachten Leistungssportreform werden laut DOSB-Vorstandschef Torsten Burmester nicht ausreichen. "Ein klares Statement vorweg: Wir sind überzeugt, dass die Trendwende zu schaffen ist."
Die letzte Reform des Spitzensports vor sechs Jahren konnte den kontinuierlichen Rückgang der Medaillenzahl bei Olympischen Spielen nicht aufhalten. In Barcelona 1992 hatte es noch 82 Medaillen gegeben, in Tokio 2021 waren es nur noch 37. Die Diskussion über eine Überarbeitung der 2016 beschlossenen Spitzensportreform mit dem Potenzialanalysesystem (PotAS) als zentralem Verteilungsbemessungselement für Fördergelder hatte nicht zuletzt dadurch Fahrt aufgenommen.
Das BMI habe gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vor sechs Jahren "Weichen gestellt", man sei "zusammen in einen Zug gestiegen", sagte DOSB-Vorstandschef Burmester im Sportausschuss. Dieser stehe nun allerdings in einem "Sackbahnhof". Burmester machte sich für erkennbare Veränderungen stark, eine Totalabkehr vom derzeitigen System hält er aber nicht für notwendig. Aus seiner Sicht gehe es darum, "PotAS zu optimieren" und "Bürokratie zu minimieren".
Quelle: ntv.de, tsi/dpa/sid