Analyse sorgt für Ärger im Sport Der "Blödsinn" soll finanziell maßgeblich sein
20.09.2021, 15:10 Uhr
Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball Bundes: "PotAS ist Blödsinn."
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Innenministerium lässt den deutschen Sport analysieren, um die Förderung zu optimieren. Die ersten Ergebnisse sorgen nun für Aufruhr - vor allem dort, wo die Untersuchung wenig Gutes findet. Doch der Einfluss der Unzufriedenen ist groß und könnte die Analyse damit ins Leere laufen lassen.
Der Zoff war programmiert - schließlich geht es ums liebe Geld. Kaum lagen die Ergebnisse der für die künftige Sportförderung maßgebenden Potenzialanalyse, kurz PotAS, auf dem Tisch, ging Ingo Weiss an die Decke. "PotAS ist Blödsinn, ein Bürokratiemonster", sagte der Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB) dem Sport-Informations-Dienst.
Weiss hatte seine Gründe: Das Männer-Team hatte es in Tokio für viele überraschend ins Olympia-Viertelfinale geschafft und damit einen aus DBB-Sicht erfolgreichen Sommer gekrönt. Dennoch landeten die Basketballer bei der Bewertung der 26 Sommersportarten durch die zuständige Kommission auf dem letzten Platz. Darüber, polterte Weiss, sei er allerdings "überhaupt nicht überrascht, weil ich diese PotAS-Analyse für eine Unverschämtheit halte".
Die 2017 ins Leben gerufene PotAS-Kommission bewertete die Verbände sowie die einzelnen Disziplinen anhand der Kernparameter Struktur, Kaderpotenzial/Leistungsentwicklung sowie nicht zuletzt anhand der jüngsten Erfolge - vor und in Tokio. Möglichst objektiv sollten die Ergebnisse ermittelt werden, um Leitplanken für die künftige Förderung zu setzen - ein Spagat, der offenkundig misslungen ist.
"Die Spreizung wird zunehmen"
Den Spitzenplatz sicherte sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mit einem PotAS-Wert von 80,73 - obwohl das Gros der DLV-Athleten in Tokio nichts mit den Medaillen zu tun hatte. Dahinter rangieren der Deutsche Tischtennis-Bund (80,40) und die Deutsche Reiterliche Vereinigung (79,40). Für die Basketballer (46,94) reichte es eben nur für die rote Laterne, deutlich hinter dem Deutschen Fechter-Bund (DFeB/54,37) auf dem vorletzten Platz.
Die heute präsentierten Zahlen sollen nun in Fördermittel übersetzt werden. Schon am morgigen Dienstag trifft sich die Förderkommission mit Mitgliedern des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Grundlage für ihre Entscheidungen ist eine Rechenformel mit zwei Säulen. Zwei Drittel der Fördermittel sollen strikt nach den Ergebnissen der Analyse verteilt werden, der Rest orientiert sich an den Potenzialen auch mit Blick auf die Spiele 2024 in Paris.
"Die Spreizung wird zunehmen", sagte BMI-Staatssekretär Markus Kerber: "Einige werden eher hinzugewinnen und andere werden verlieren." Dabei soll das jeweilige Fördersoll mit dem PotAS-Wert der jeweiligen Disziplin multipliziert werden.
Dem neuen System droht schnelles Scheitern
DOSB-Vorstand Dirk Schimmelpfennig bezeichnete die Resultate der Analyse als "sehr wertvolles Ergebnis" und sieht durch PotAS einen "wichtigen Schritt bei der Umsetzung der Leistungssportreform geschafft". Das sahen jene, die im Ranking hinten lagen, natürlich anders.
Laut DBB-Präsident Weiss sei PotAS "was für Individualsportler", nicht für die Teams. Auch Sven Ressel, Sportdirektor der in Tokio erfolglosen Fechter, war verwundert. Die Fechter wüssten, so Ressel, "wo wir uns aktuell sportlich bewegen". Und trotzdem: "Dass wir auf der vorletzten Position stehen, hätten wir in dieser Form sicherlich nicht erwartet."
Weiss machte sich um mögliche Einbußen derweil jedoch keine Sorgen. "Ich gehe fest davon aus, dass wir keine finanziellen Mittel verlieren werden", sagte er. Er gehe weiter "fest davon aus, dass sowohl der DOSB als auch das BMI sehen, wie der Basketball strukturiert ist und was er macht". Sollte Weiss, immerhin Sprecher der einflussreichen Spitzensportverbände, recht behalten, würde sich zwangsläufig die Frage nach dem Sinn der jahrelangen Analyse stellen.
Quelle: ntv.de, tsi/sid