Ein Star war nicht zu ersetzen Chaos-Drittel zerstört den deutschen WM-Traum
24.05.2024, 13:07 Uhr
Die Schweiz wirft Deutschland um und raus.
(Foto: IMAGO/Bildbyran)
Die Serie gegen die Schweiz ist beendet, diesmal wird es keine WM-Medaille geben. Vize-Weltmeister Deutschland scheitert im WM-Viertelfinale am Erzrivalen, gegen den es zuletzt stets geklappt hatte. Die Stimmung ist mies, die Ansprüche sind extrem gestiegen.
Nach dem schmerzhaften WM-K.o. gegen den Erzrivalen wollten die niedergeschmetterten Vizeweltmeister ganz schnell weg. Ein letztes gemeinsames Abendessen, noch das eine oder andere Frustbier im Teamhotel - dann verließen die deutschen Eishockey-Nationalspieler noch in der Nacht Ostrava und zerstreuten sich von Warschau und Krakau aus in alle Winde. Nicht ohne einen letzten, tröstenden Gruß. "Ich bin stolz auf die Mannschaft", sagte NHL-Profi Nico Sturm. "Wir haben uns sehr, sehr gut verkauft." Aber raus ist eben raus.
"Weit vorne" sieht Bundestrainer Harold Kreis dennoch das deutsche Eishockey. Was seltsam klingt, mag auf den zweiten Blick sogar stimmen. Denn zum einen sind die Top-Teams bei diesem Turnier zwei Jahre vor Olympia in Mailand deutlich besser mit NHL-Stars bestückt gewesen und zum anderen hätte es gegen den klar favorisierten Erzrivalen aus der Schweiz beinahe wieder zu einem Coup gereicht. Damit hätte sich auch der Aufstieg in die erweiterte Weltspitze auch wieder bestätigt.
"Es ist bitter, wenn du im Viertelfinale ausscheidest und weißt, dass du eigentlich hättest weiterkommen können", sagte Verteidiger Jonas Müller nach dem 1:3 gegen die Schweiz, das nicht nur die K.o.-Siegesserie gegen den Nachbarn, sondern auch den Traum von einer weiteren Medaille beendet hatte. Anders als vor einem Jahr, als nach dem Silbercoup in Tampere noch bis in den Morgen feuchtfröhlich gefeiert worden war und man am liebsten gar nicht auseinandergehen wollte, endete die WM-Mission in Tschechien trotz Torrekord und Eishockey-Spektakel in der Vorrunde im ersten K.o.-Spiel zu früh, zu zaghaft, zu unbefriedigend.
"Ich will die Jungs nicht unter Wert verkaufen"
Manch einer vermisste gegen die mit allen NHL-Stars besetzten Schweizer die besten Deutschen Leon Draisaitl, Tim Stützle und vor allem Moritz Seider, der der Abwehr in den letzten Jahren enorme Stabilität verliehen hatte. "Es hängt auch immer mit der Besetzung der Mannschaft zusammen", gab Kreis zu. Und NHL-Angreifer Nico Sturm sinnierte: "Wenn ich sehe, dass wir Leon, Mo und Stützi noch ins Line-up pushen können, dann glaube ich, brauchen wir uns vor keinem zu verstecken."
Auf Augenhöhe mit Schweden, Kanada und Co. ist der Vizeweltmeister von 2023 aber noch nicht. Das zeigte sich insbesondere bei den 1:6-Klatschen in der Vorrunde gegen die USA und Schweden. Da machte sich vor allem das Fehlen von Seider sehr bemerkbar. Ohne den 23-Jährigen ist die deutsche Defensive im Turnier viel zu anfällig gewesen. Auch der WM-Ausfall von Mannheims Leon Gawanke tat weh. "Ich will die Jungs, die hier waren, nicht unter Wert verkaufen", entgegnete NHL-Profi Sturm. "Sie haben das sehr, sehr gut gemacht."
NHL-Stars werden vermisst
Zwar konnte das Berliner Abwehr-Duo Kai Wissmann und Jonas Müller überzeugen. Der Neu-Mannheimer Lukas Kälble zeigte ein gutes Niveau und auch Nordamerika-Profi Maskymilian Szuber wird sich mit seinen 21 Jahren noch zu einem guten Abwehrspieler entwickeln. Doch im Vergleich zum WM-Coup von 2023 fehlte die spielbestimmende Figur in der deutschen Abwehr. Seider ist für die DEB-Auswahl nicht zu ersetzen.
Gegen die Schweizer fehlte in den entscheidenden Momenten diese NHL-Power, zumal auch Torjäger John-Jason Peterka gegen Starverteidiger Roman Josi und Co. nicht zum Zug kam. "Die Ansprüche, die ich an mich selbst habe, sind höher, weil ich ein Spieler sein will, der in solchen Spielen den Unterschied macht", sagte der 22-Jährige, der die Weltmeisterschaft dennoch mit fünf Toren und vier Vorlagen als bester deutscher Scorer abschloss, "natürlich ist es dann sehr bitter."
"Die Schweiz ist reif für den WM-Titel"
"Wir wissen, was uns erfolgreich macht", sagte Josi "das ist eine gute Defensive, das haben wir heute gezeigt." Nach vier K.-o.-Niederlagen in Folge gegen Deutschland, drei davon im WM-Viertelfinale, war, so der 33-Jährige, "diese Hürde für uns sehr wichtig". Der Albtraum, immer dann, wenn man meint, stark genug für den ganz großen Wurf zu sein, von den Deutschen gestoppt zu werden, ist vorbei. "Die Schweiz ist reif für den WM-Titel", urteilte das Portal watson.ch. "Respekt vor den Schweizern. Das haben sie gut gespielt heute", sagte Angreifer Yasin Ehliz. Dominik Kahun (32. Minute) vom SC Bern schoss das einzige deutsche Tor in Überzahl. Christoph Bertschy (8./60.) sogar in Unterzahl und mit einem Treffer ins leere deutsche Tor sowie NHL-Top-Stürmer Nico Hischier (17.) trafen für die Schweiz, die die frühen Schwächen in der DEB-Abwehr konsequent ausnutzten.
"Die ersten 20 Minuten waren unser Problem. Wir waren immer zu langsam", schimpfte Ehliz und Sturm meinte: "Der Beginn war der Unterschied heute. Es wäre wieder möglich gewesen." Tatsächlich war das erste Drittel mit das schlechteste des deutschen Teams in diesem Turnier. Der Respekt vor Power-Verteidiger Josi oder New Jerseys Hischier war extrem groß.
"Weiß nicht, wann meine Frau Urlaub gebucht hat"
Am schnellsten rappelte sich Sturm wieder auf, der vor allem positive Erinnerungen mitnahm. Nach einer desaströsen Saison mit den San Jose Sharks fand der 29-Jährige in den drei Wochen bei der Nationalmannschaft die Freude am Eishockey wieder. "Ich habe unseren Torsong öfter gehört als in den letzten sieben Monaten zusammen", meinte er, "es macht super Spaß, mal mit dem Puck zu spielen, mal nach dem Spiel zu lachen, das habe ich schon sehr vermisst in den letzten Monaten."
Wenn er "zwei, drei Verletzungen" im Urlaub auskuriert habe, werde die Lust wieder da sein, "jeden Tag in den Kraftraum zu gehen und sich den Arsch abzuarbeiten", prophezeite der Augsburger, der ab Herbst womöglich mit dem Ex-Bundestrainer Marco Sturm in San Jose arbeiten wird. Für Kreis beginnt der Urlaub nach seiner zweiten WM etwas später. Zunächst steht die Auswertung auf der Trainerkonferenz am kommenden Dienstag auf dem Programm, "dann gibt es noch ein paar andere Sachen." Und danach? "Ich weiß nicht, wann meine Frau Urlaub gebucht hat", sagte der 65-Jährige und fügte schmunzelnd an: "Ich werde dann wohl mitgehen."
Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid