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Sörgel zerlegt Doping-Behörde Fragwürdiger Sinner-Deal: Novak Djokovic erhebt schwere Vorwürfe

Novak Djokovic (r) ist nicht einverstanden, wie der Dopingfall von Jannik Sinner behandelt wurde.

Novak Djokovic (r) ist nicht einverstanden, wie der Dopingfall von Jannik Sinner behandelt wurde.

(Foto: Asanka Brendon Ratnayake/AP/dpa)

Die Sperre von drei Monaten für Jannik Sinner sorgt unter den Tennisprofis für Debatten. Novak Djokovic spricht vom Gefühl der Bevorzugung - und stellt eine Forderung. Doping-Experte Fritz Sörgel zerlegt die Wada und fürchtet durch den Deal "verheerende Folgen".

Für Jannik Sinner könnte es besser nicht laufen. Der italienische Tennisstar gewinnt im Januar die Australian Open gegen den schwer enttäuschten Alexander Zverev und nimmt Ende Mai den nächsten großen Triumph seiner Karriere ins Visier. Dann werden in Paris die French Open ausgetragen. Bereits bei seinem Heimturnier kurz zuvor in Rom kann er sich dafür in die beste Form bringen. In der Zwischenzeit legt er eine Zwangspause ein. Sinner hatte nämlich überraschend mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) einen Vergleich geschlossen und einer dreimonatigen Sperre zugestimmt. Große Titelchancen verpasst er dabei nicht.

Sinner war im März 2024 positiv getestet worden. Der Südtiroler hatte angegeben, dass das verbotene Mittel Clostebol bei einer Massage über die Hände eines Betreuers in seinen Körper gelangt sei. Die verantwortliche Tennis-Agentur Itia sah kein vorsätzliches Verschulden und keine Fahrlässigkeit und verzichtete auf eine Sperre. Dagegen ging die Wada vor und einigte sich nun mit dem Spieler.

In seiner italienischen Heimat herrschte nach dem Deal nahezu grenzenlose Freude: "Sinner wird verurteilt, aber er ist frei! Endlich frei, das zu genießen, was ihm am meisten Spaß macht: Tennis spielen, und wenn möglich zu gewinnen", schrieb die Zeitung "Tuttosport". Der "Corriere della Sera" feierte nur Gewinner: "Die Schlichtung befriedigt alle Parteien: Sinner kann ab dem 13. April wieder in offiziellen Tennisklubs trainieren und ab dem 5. Mai spielen, gerade rechtzeitig für die Internazionali d'Italia in Rom." Auf so viel Liebe und Zustimmung kann der Weltranglistenerste bei den Stars der Szene nicht hoffen. Die Sperre wird äußerst kritisch bewertet.

Werden Topspieler deutlich bevorzugt?

Nachdem sich zuvor unter anderem Nick Kyrgios und Stan Wawrinka gemeldet hatten, meldeten sich nun auch Alexander Zverev und Novak Djokovic zu Wort. Während sich Deutschlands Topspieler eher verwundert über den Ausgang der Dopingaffäre zeigte und alles "irgendwie seltsam" findet, wird die serbische Legende sehr deutlich und erhebt dabei schwere Vorwürfe gegen das System. In Doha, wo er in dieser Woche ein Turnier spielt, sagte der 37-Jährige: "Eine Mehrheit der Spieler denkt, dass es nicht fair ist. Eine Mehrheit der Spieler denkt, dass es eine Bevorzugung gibt. Es scheint, dass du beinahe den Ausgang beeinflussen kannst, wenn du ein Topspieler bist, wenn du Zugang zu Topanwälten hast. Es ist kein gutes Bild für unseren Sport, das ist sicher."

Djokovic berichtet von vielen Gesprächen, die er in den vergangenen Monaten mit Spielern auf der Tour geführt habe. Mehrheitlich sei ihm dabei gesagt worden, dass man nicht glücklich darüber sei, wie mit dem gesamten Prozess umgegangen worden sei. "Aktuell gibt es grundsätzlich einen Mangel an Vertrauen sowohl von männlichen als auch weiblichen Tennisprofis gegenüber der Wada und der Itia und dem gesamten Prozess." Denn auch im Fall der Weltranglistenzweiten Iga Swiatek hatte es Vorwürfe mangelnder Transparenz gegeben. Er verglich die Sperren mit anderen Dopingfällen im Tennis. Die Rumänin Simona Halep und die Britin Tara Moore sowie "einige andere Spielerinnen, die vielleicht weniger bekannt sind, kämpfen seit Jahren darum, ihre Fälle zu klären, oder sind seit Jahren gesperrt", sagte der 38-Jährige.

Die polnische Spitzenspielerin Swiatek war im vergangenen Jahr für einen Monat gesperrt worden. Laut Itia wurde die mittlerweile 23-Jährige positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Die Spielerin erklärte dies mit einem nicht verschreibungspflichtigen Medikament gegen die Folgen von Jetlag. Die Verunreinigung dieses Medikaments habe zum positiven Testergebnis geführt. Djokovic betonte, dass er nicht die Unschuld von Sinner und Swiatek in Zweifel ziehe. Er forderte die Sport-Institutionen jedoch auf, den Prozess zur Behandlung von Dopingfällen zu überarbeiten, "weil das System und die Strukturen offensichtlich nicht funktionieren".

"Damit verliert das System einen Anker"

Zverev sprach von einem "seltsamen" Ausgang der Affäre. Entweder man habe sich "nichts zuschulden kommen lassen, dann sollte man überhaupt nicht gesperrt werden", sagte er in Rio de Janeiro: "Aber wenn man sich etwas zuschulden kommen lässt, dann sind drei Monate für die Einnahme von Steroiden keine Sperre, oder?"

Massive Kritik am Sinner-Deal kommt vom deutschen Doping-Experten Fritz Sörgel. Er sieht "verheerende" Folgen für den Anti-Dopingkampf. "Man muss es so hart sagen: Was die Wada da gemacht hat, bedeutet das Ende des Anti-Doping-Systems in seiner bisherigen Form", sagte er bei Sport1. Sörgel bezeichnete die Sperre für den Weltranglistenersten als eine "Form von Selbstaufgabe" der Wada. "Das Ausmaß, in dem sie Sinner hier entgegenkommt, ist im Ergebnis die völlige Aushebelung des Prinzips der 'Strict Liability', der kompromisslosen Eigenverantwortung des Athleten, welche Substanzen in seinen Körper kommen."

Die Folgen? "Verheerend. Damit verliert das System einen Anker. Auf den Fall Sinner und einige andere wird sich in Zukunft jeder berufen und eine milde Strafe für einen positiven Dopingtest einfordern können - solange ihm irgendeine dürre Ausrede dafür einfällt."

Die Wada ließ für den Vergleich mit Sinner ihre Klage vor dem Sportgerichtshof CAS fallen, weil sie bei Sinner nur eine Teilschuld und bei der Menge des gefundenen Steroids Clostebol keine leistungssteigernde Wirkung erkannt habe. Eine Erklärung, die Sörgel irritiert. "Wir reden hier vor allem davon, dass die in die Muskulatur eingedrungene geringe Menge Clostebol eine Beschleunigung der Regeneration bewirkt", und die sei von entscheidender Bedeutung. Zudem müsse man bedenken: "Gefunden wurde die Substanz bei einem Urintest, der gar keine präzise Aussage darüber geben kann, wie hoch die Konzentration des Clostebol an der Stelle war, wo sie zum Einsatz kam, bevor es dann über den Blutkreislauf aus dem Muskel abtransportiert und von der Niere ausgeschieden wurde." Für Sörgel steht fest: "Was den Anti-Doping-Kampf angeht, hat der Tennissport schon früher keine ruhmreiche Rolle gespielt, in diesem Fall hat er seinen Rest-Anstand über Bord geworfen."

Quelle: ntv.de, tno mit sid/dpa

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