Männer, Frauen, Blackouts Das Kreuz mit den WM-Schiris
03.07.2011, 23:19 Uhr
Das Schicksal der Schiedsrichter: Gyoengyi Gaal ist nach ihrem Blackout, was Jorge Larrionda bei der WM 2010 war - die Lachnummer des Turniers.
(Foto: dapd)
Seit dem Sieg der Australierinnen über Äquatorial-Guinea und dem peinlichen Handspiel-Blackout von Schiedsrichterin Gyoengyi Gaal hat die Fußball-WM 2011, was die Männer-WM 2010 auch hatte: eine Diskussion über die Qualität der Referees. Überraschend ist das nicht. Eher logisch.
Sie hatte sich schon angedeutet, diese WM-Schiedsrichterdebatte. Und zwar am vergangenen Donnerstag ab 20.45 Uhr, als die südkoreanische WM-Debütantin Cha Sung-Mi in der ersten Halbzeit die äußerst körperbetonte Spielweise der Nigerianerinnen gegen Deutschland durchgehen ließ und entscheidend dazu beitrug, dass die Spielweise der Nigerianerinnen im zweiten Durchgang phasenweise Richtung Körperverletzung abschwenkte – und die DFB-Frauen schließlich beherzt zurücktreten durften.

Handballerin bei der Fußball-WM: Äquatorial-Guineas Abwehrspielerin Bruna greift gegen Australien beherzt zu.
(Foto: AP)
Dann kam das WM-Spiel zwischen Australien und Äquatorial-Guinea. Dann kam die 16. Minute und die afrikanische Abwehrspielerin Bruna, die den Ball im eigenen Strafraum entschlossen in beide Hände nahm und festhielt. Denn dann kam nicht der zwingend fällige Elfmeterpfiff der ungarischen Schiedsrichterin Gyoengyi Gaal, trotz bester Sicht auf die Szene, und über diesen Nicht-Pfiff lacht inzwischen die ganze Fußballwelt. Weil er so unglaublich ist.
"Passiert schon mal"
Selbst der Fußball-Weltverband FIFA, der sich mit öffentlicher Kritik an seinen Schiedsrichtern generell zurückhält, sah sich nach Spielende zu einer knappen Stellungnahme veranlasst. "Es gab da eine Episode. Wir haben mit der Schiedsrichterin gesprochen. Es tut ihr sehr leid, dass sie das klare Handspiel übersehen hat", warb die norwegische FIFA-Beauftragte Karen Espelund um Verständnis für den unerklärlichen Lapsus, der das von Jorge Larrionda (Uruguay) verschuldete Phantomtor zu Bloemfontein bei der WM 2010 noch getoppt hat.
"So etwas passiert schon mal im Fußball. Das ist auch auf höchstem Niveau und auch in Männerspielen schon vorgekommen. Schiedsrichter stehen immer unter großem Druck und manchmal treffen sie dann die falschen Entscheidungen", zeigte sich Australiens Coach Tom Sermanni gewünscht verständnisvoll. Ganz ohne Kritik wollte er den Fauxpas aber doch nicht stehen lassen, Sermanni findet nämlich: "Es gab viele Spiele, in denen solche Dinge nicht gesehen wurden. Die Schiedsrichterinnen sind nicht 100 Prozent perfekt." Wie zur Bestätigung ließ die US-Amerikanerin Kari Seitz im zweiten Sonntagsspiel zwischen Brasilien und Norwegen vor dem 1:0 prompt ein klares Foul von Weltfußballerin Marta ungeahndet.
Männerproblem, nur verschärft
Gern wird der Fußball-Weltverband die Kritik von Tom Sermanni trotzdem nicht gehört haben, zustimmen muss er ihr insgeheim schon. Nach den Diskussionen über die teils katastrophalen Schiedsrichterleistungen während der WM 2010, die nach dem Turnier schön gerechnet worden waren, war die nun perfekte Neuauflage der Debatte für die WM 2011 zu erwarten - und das natürlich nicht, weil Frauen die Fußballregeln einfach nicht verstehen würden. Männerschiedsrichter für Frauen-Weltmeisterschaften werden bestenfalls noch an Stammtischen ernsthaft als Lösung diskutiert.
Vielmehr tritt ein aus dem Männerfußball bekanntes Problem bei den Frauen noch verschärfter zutage: dass nämlich Referees aus kleineren Verbänden, die aufgrund der Kontinentalquoten und nicht aufgrund ihrer Leistung nominiert werden, wegen des selteneren Kontakts mit Spitzenfußball bei Topturnieren Probleme bekommen. Doch während die FIFA ihre WM-Schiedsrichter laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" aus 3100 Kandidaten auswählen kann, gibt es bei den Frauen nicht einmal 600 Schiedsrichterinnen, die vom Fußball-Weltverband zudem erst seit 2005 professionell gefördert werden. Aus diesem Pool muss der Weltverband seine WM-Schiedsrichterinnen küren, weil seit 1999 bei Frauen-Weltmeisterschaften auch nur noch Frauen pfeifen.
Kampf gegen das Leistungsgefälle
"Das Problem in meinem Land besteht darin, Gelegenheiten zu finden, Spiele auf hohem Niveau zu leiten, denn es gibt nur wenig hochklassige Frauenwettbewerbe", hat Rosalie Tempa Ndah François vor dem Turnierstart gesagt und den weltweiten Zustand im weiblichen Schiedsrichterwesen damit gut beschrieben. Das Problem für die FIFA ist, dass die 38-Jährige aus Benin nicht irgendeine Schiedsrichterin ist, sondern eine von insgesamt 48 WM-Referees, die das dreistufige FIFA-Auswahlverfahren überstanden haben. Ein Verfahren, an dessen Ende die zuständige Abteilungsleiterin Sonia Denoncourt (Kanada) fast euphorisch verkündet hatte: "Wir haben hier eine der besten Gruppen, die es je gegeben hat."

Bibiana Steinhaus ist Deutschlands Vorzeigeschiedsrichterin, gehört aber einer Minderheit an. Nur rund 3000 der 80.000 deutschen Referees sind Frauen.
(Foto: dapd)
Ernsthafte Zweifel daran, wie sehr Denoncourt selbst dem propagierten Fortschritt zu glauben bereit ist, waren spätestens angebracht, als kurz vor dem WM-Start verkündet wurde: die Schiedsrichter-Gespanne werden, anders als bei den Männern, bei der WM 2011 gemischt. "Das ist ein toller Austausch", lobte die deutsche Vorzeige-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus das Vorgehen zwar brav. Die Intention ist jedoch klar: Durch eine Neuzusammensetzung der Teams soll das vorhanden Leistungsgefälle abgeschwächt werden und zwar möglichst so, dass das Niveau am Ende insgesamt höher liegt.
Geklappt hat das bisher nur bedingt und gerade die Beispiele Gyöngyi Gaal und Kari Seitz werden bei Sonia Denoncourt für Stirnrunzeln sorgen. Anders als Cha Sung-Mi sind beide nicht zum ersten Mal bei einer WM dabei. Für Gaal ist es die zweite, für Seitz sogar schon die vierte WM-Endrunde. Das zeigt, dass selbst international erfahrene Schiedsrichterinnen nicht vor peinlichen Blackouts gefeit sind. Typisch Frau? Typisch Fußball.
Quelle: ntv.de