Fußball-WM 2019

Zwanziger beschwichtigt, Liga kritisiert WM-Pleite macht Neid angreifbar

Silvia Neid muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen, was bisher ungewohnt für sie ist und bislang nicht zu ihren Stärken zählt.

Silvia Neid muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen, was bisher ungewohnt für sie ist und bislang nicht zu ihren Stärken zählt.

(Foto: dpa)

Nach dem sensationellen WM-Aus der DFB-Frauen im WM-Viertelfinale gegen Japan wird auch aus der Frauen-Bundesliga Kritik an Bundestrainerin Silvia Neid laut. Die Taktik, die lange Vorbereitung, sie sind verpufft. Neid ziert sich noch mit Selbstkritik und kann sich auf DFB-Präsident Theo Zwanziger verlassen. Der stärkt ihr demonstrativ den Rücken.

Gefühlt war der Schlusspfiff im WM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Japan (0:1) noch gar nicht verhallt, da meldeten sich schon die ersten Kritiker zu Wort. DFB-Präsident Theo Zwanziger nannte Bundestrainerin Silvia Neid zwar tapfer "das Beste, was wir kriegen können" und erklärte, sie müsse nach dem sensationell frühen WM-K.o. des Gastgebers und Titelverteidigers keine Konsequenzen fürchten. Ein verständlicher Reflex, schließlich hat Zwanziger den Vertrag mit Neid kurz vor der WM bis 2016 verlängert.

Echte Einheit erst nach dem Aus: Im Turnier hat sich das deutsche Team nicht finden können.

Echte Einheit erst nach dem Aus: Im Turnier hat sich das deutsche Team nicht finden können.

(Foto: dapd)

Den DFB-Persilschein wollten aber nicht nur viele Fans nicht ohne Weiteres unterschreiben. Auch aus der Frauen-Bundesliga wurde Kritik an der Bundestrainerin laut. "Es ist trotz der langen Vorbereitungszeit nicht gelungen, eine mannschaftliche Einheit hinzukriegen", bemängelte etwa Siegfried Dietrich, Manager des Bundesliga-Rekordmeisters 1. FFC Frankfurt und legte den Finger in eine der offenen Wunden. Zwar hatte Stürmerin Inka Grings nach dem Vorrundenfinale gegen Frankreich erleichtert festgestellt, die Mannschaft habe sich endlich gefunden. Gegen Japan verlor sich das Team aber prompt wieder selbst und deshalb auch das Spiel.

Trotz deutlichem Chancenplus war das deutsche Angriffsspiel erneut zu unstrukturiert, zu fahrig, zu ungenau und zu verkrampft. Gegen die körperlich unterlegenen, aber kompakt und hart verteidigenden Japanerinnen fehlte es an Spielintelligenz und einer klaren Spielidee, um zum Torerfolg zu kommen. Gefahr ging fast nur von Standardsituationen aus. "Es haperte im Aufbauspiel, es haperte im genauen Passspiel", bilanzierte auch Zwanziger. Auch ihm wird nicht entgangen sein, dass Neid in 120 Spielminuten nicht in der Lage war, die spielerische Blockade gegen keinesfalls übermächtige Gegnerinnen zu lösen.

Selbstkritik bisher Fehlanzeige

Selbstkritik ließ Neid nach der unerwarteten Niederlage, die ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit bei Welt- und Europameisterschaften nach zuvor 14 Siegen und einem Remis  zerstörte, zunächst vermissen. "Ich mache mir keinen Vorwurf", sagte sie direkt nach dem Spiel, dabei blieb es bisher. Anders als Zwanziger hält WM-OK-Chefin Steffi Jones die aufkommende Kritik an Neid immerhin für normal. Alle müssten sich Kritik stellen und jeder müsse das Aus jetzt erst mal für sich begreifen und nach den Fehlern suchen: "Und die Trainerin wird das auch machen."

Ansatzpunkte gibt es viele. Potsdams Trainer Bernd Schröder, der sich seit jeher als Kritiker der Bundestrainerin betätigt und eine Privatfehde mit ihr pflegt, monierte erneut die rund dreimonatige Trainingsphase. "Die Spielerinnen waren mental platt", sagte der Meistercoach von Turbine Potsdam: "Mannschaften wie Japan und Frankreich, die sich nur eine Woche auf die WM vorbereiten konnten, sind während des Turniers an uns vorbeigezogen." Er räumte allerdings ein, die intensive WM-Vorbereitung sei wegen der Mission Titel-Hattrick und dem irrationalen DFB-Traum vom "Sommermärchen reloaded" offiziell so abgesegnet und gewünscht gewesen - "auch von der Liga".

Anhaltende Lähmungserscheinungen

Tatsächlich wirkte das DFB-Team gegen Japan wieder phasenweise wie gelähmt. Überwältigt vom eigenen Ziel WM-Titel, das für einen Titelverteidiger und Gastgeber gar nicht mal zu optimistisch formuliert war. Verunsichert von der Tatsache, dass nach der passablen Offensivleistung gegen Frankreich das Angriffsspiel nun wieder stockte und die erste guten Chancen nicht verwertet wurden. Überrascht, dass die Japanerinnen so robust dagegenhielten. Ängstlich und übernervös, wenn eine ruhiger Spielaufbau nötig und möglich gewesen wäre. Und überfordert vom Publikum, das jede Anmutung einer Torchance bejubelte wie einen Treffer. Neid hatte den Druck durch die vollen Stadien schon nach dem Nigeria-Spiel öffentlich eingeräumt - eine Lösung dafür hat sie nicht gefunden.

Kim Kulig zog sich bereits nach vier Minuten einen Kreuzbandriss zu und musste ausgewechselt werden.

Kim Kulig zog sich bereits nach vier Minuten einen Kreuzbandriss zu und musste ausgewechselt werden.

(Foto: dapd)

Die ehemalige Nationalspielerin und ARD-Expertin Nia Künzer kritisierte die defensive Mannschaftsaufstellung der DFB-Elf gegen Japan. Nach der frühen verletzungsbedingten Auswechslung von Mittelfeldspielerin Kim Kulig sei Neid in Nöte gekommen und habe "die Mannschaft vielleicht zu defensiv aufgestellt". Für Kulig kam zunächst Abwehrspielerin Bianca Schmidt, Rechtsverteidigerin Linda Bresonik rückte ins Mittelfeld und war dort überfordert. Neid korrigierte das zwar später, nahm sich damit aber eine Wechseloption für die Schlussphase. Dort kam Youngster Alexandra Popp sehr spät und blieb in einem zunehmend paralysierten Team ohne Effekt.

Probleme in der Spieleröffnung

Unabhängig davon stellte Künzer aber auch heraus: "Was sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitung, aber auch im Turnier gezeigt hat: die deutsche Mannschaft hat sich sehr schwergetan mit der Spieleröffnung, im Aufbauspiel." Dazu beigetragen hatte auch Neids taktischer Schachzug, Rekordnationalspielerin Birgit Prinz auf der für sie inzwischen ungewohnten Position als einzige Spitze statt im offensiven Mittelfeld aufzubieten. So blieb die DFB-Kapitänin im Angriffszentrum weitgehend wirkungslos, rutschte in eine mentale Krise - und letztlich ganz aus der Mannschaft. Ihr letztes Länderspiel erlebte Prinz gegen ihren Willen auf der Bank, es war das tragische Ende einer Weltkarriere.

"Man hätte ihr schon mehr zeigen können, dass man auf sie zählt", sagte Frankfurts Dietrich, der allerdings zugleich Berater der deutschen Spielführerin ist: "Sie hätte eine wichtige Rolle spielen können." Das fand auch Künzer: "Ich bin mir sicher, Birgit Prinz hätte als erfahrene Spielerin der Mannschaft helfen können." Hier allerdings erhielt Neid ausgerechnet von Schröder Rückendeckung, der Prinz gegen Japan aus einem einfach Grund ebenfalls nicht gebracht hätte: "Birgit ist zu langsam gegen die flinken Japanerinnen."

Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid

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