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"Scheiß drauf, ist ein Finale" "Golden Girls" vollbringen WM-Wunder

Der "unfassbare" WM-Titel setzt den Goldrausch der Beachvolleyball-Olympiasiegerinnen Kira Walkenhorst und Laura Ludwig fort. Zum Wunder von Wien braucht es aber einen Crashkurs, der im spektakulären Finale perfekt aufgeht.

Die Vorstellung, Deutschlands Nationalspieler würden bei einer Fußball-WM mit dem Fahrrad zum Stadion fahren und nach dem Spiel wieder ins Hotel, mutet beinahe rührend an - weil sie nicht weiter von der Realität entfernt sein könnte. Im Beachvolleyball ist das möglich, weil die Athleten keine verhätschelten Multimillionäre sind und nicht so populär, als dass sie nicht unbehelligt durch die Straßen radeln könnten. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst haben diesen Freiraum bei der Weltmeisterschaft in Wien genossen, sie waren viel auf ihren Drahteseln unterwegs.

Walkenhorst zeigte am Netz eine überragende Leistung.

Walkenhorst zeigte am Netz eine überragende Leistung.

(Foto: imago/GEPA pictures)

Ihre Auftritte im Sand haben darunter nicht gelitten. Im Gegenteil, die Olympiasiegerinnen stehen wieder einmal ganz oben: Ludwig/Walkenhorst gewannen das WM-Finale in der österreichischen Hauptstadt gegen Lauren Fendrick und April Ross mit 2:1 (19:21, 21:13, 15:9) und lieferten sich mit ihren amerikanischen Herausforderinnen einen spektakulären Schlagabtausch auf höchstem Niveau. Für den Sieg wurde das deutsche Vorzeigeduo nicht nur mit WM-Gold, sondern auch noch mit 60.000 Dollar Preisgeld belohnt.

Als der letzte Ball im prall gefüllten Stadion auf der Donauinsel in den heißen Sand gefallen war, schnappten sich Laura Ludwig und Kira Walkenhorst nach einer langen und innigen Umarmung eine Deutschlandfahne. Ludwig entriss dem Moderator das Mikrophon und schrie ihren Triumph mit ohrenbetäubender Lautstärke raus: "World Champion, yeaaaah."

Hochklassige Schwerstarbeit

Die Partnerin des Energiebündels aus Berlin ließ es wie immer ein bisschen ruhiger angehen: "Wir sind Olympiasieger und Weltmeister, es ist einfach unfassbar", sagte Kira Walkenhorst. Entscheidend war neben der spielerischen Klasse erneut die enorme Willensstärke. Was Ludwig/Walkenhorst auch unter widrigen Umständen zu leisten imstande sind, kann mit den üblichen Superlativen nur unzureichend beschrieben werden.

Denn das Finale war hochklassige Schwerstarbeit. Vor allem der erste Durchgang bot alles, was die Sportart Beachvolleyball so attraktiv macht. Das Team aus den USA brachte Ludwig/Walkenhorst mit ihren gefährlichen Aufschlägen immer wieder in Bedrängnis. Die Deutschen kämpften, aber sie schafften es nicht, dem Gegner wie gewohnt ihr Spiel aufzuzwingen. Ihr Spiel hakte - auch beim Satzball, bei dem das gegnerische Service einfach zwischen den beiden Deutschen in den Sand fiel.

Dominanz nach Rückschlag

"Husband and Wife"-Ball nennt man so einen unnötigen Punktverlust im Beachvolleyball, beim Satzball ist er besonders bitter. Andere Teams würden daran zerbrechen. Nicht jedoch Ludwig und Walkenhorst, die sich nicht nur auf ihre taktischen und athletischen Fähigkeiten verlassen können, sondern auch auf ihre ungeheure mentale Stärke. "Scheiß drauf, das ist ein Finale, jetzt legen wir mal richtig los", gab Ludwig deshalb in ihrer unnachahmlichen Art nach verlorenem ersten Satz als Parole aus.

Gesagt getan, in der Folgezeit stabilisierten die Deutschen ihren Auftritt und zwangen die Amerikanerinnen zu Fehlern. Der zweite Satz war mit 21:13 eine beeindruckende Demonstration ihrer Stärke, auch im Entscheidungssatz dominierte das deutsche Duo. Kira Walkenhorst, die einmal mehr mit ihrer ungeheuren Netzpräsenz brillierte, war es schließlich vorbehalten, das Spiel zu beenden: Sie wehrte erst einen Angriff ab und verwandelte dann unter dem ohrenbetäubenden Jubel von 10.000 Zuschauern das Zuspiel ihrer Partnerin.

"Können unseren Gegner zerbrechen"

Der Rest war grenzenloser Jubel über eine Leistung, die nach all den Verletzungs- und Krankheitssorgen in diesem Jahr nicht hoch genug zu bewerten ist. "Wir haben immer die Zuversicht, unser Spiel auf Dauer durchzusetzen", sagt Kira Walkenhorst und Laura Ludwig ergänzt: "Wenn wir Geduld und Rhythmus haben, können wir unseren Gegner zerbrechen."

In Rio demonstrierten Ludwig/Walkenhorst vor einem Jahr erstmals ihre beeindruckende Fähigkeit, auch auf der ganz großen Bühne zu dominieren, als sie den Brasilianern an der Copacabana die olympische Party verdarben. Dass nun auf der Wiener Donauinsel ein neuer Triumph gelang, war dennoch alles andere als selbstverständlich. Das deutsche Ausnahmeduo durchlitt im nacholympischen Jahr eine Kranken- und Verletzungsgeschichte, die einen WM-Triumph nahezu unmöglich erscheinen ließ.

Crashkurs zur Gold-Form

Im Winter musste sich Laura Ludwig einer komplizierten Schulteroperation unterziehen. Als sie zurückgekehrt war, fiel Kira Walkenhorst mit einer Virusinfektion aus, die auf ihre rechte Schulter abstrahlte. Für Erfolgstrainer Jürgen Wagner und sein Team wurde es zu einer besonderen Herausforderung, das Duo quasi in einer Art Crashkurs in WM-Form zu bringen. Ein Programm, für das unter normalen Umständen ein Zeitrahmen von Wochen angesetzt wird, musste nun komprimiert in wenigen Tagen durchgezogen werden.

Der Ablauf war so eng getaktet, dass Teile des Plans, das Goldteam genau zum Final-Wochenende in optimale Verfassung zu bringen, in den Turnierverlauf fielen. Es war ein Drahtseilakt, der perfekt gelang. Das Duo Ludwig/Walkenhorst hat nun den kompletten Titelsatz beisammen, der im Sand zu gewinnen ist: Deutscher Meister, Europameister, Olympiasieger, Gewinner des World-Tour-Finals und nun auch noch Weltmeister. Was kann jetzt noch kommen? "Das ist doch heute egal", sagte Kira Walkenhorst und ließ sich eine Flasche Bier reichen: "Jetzt wird erstmal gefeiert."

Quelle: ntv.de

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