Deutsches NHL-Erfolgsmärchen Great Grubauer - ein Goalie zum Verzweifeln
30.04.2019, 20:11 Uhr
Goalie Philipp Grubauer war auch in Spiel zwei der Playoff-Serie gegen die San Jose Sharks einer der Matchwinner der Colorado Avalance.
(Foto: imago images / ZUMA Press)
Mit den Washington Capitals feiert Philipp Grubauer den größten Titel seiner Karriere: den Stanley-Cup. Glücklich ist der Eishockey-Goalie beim NHL-Champion aber nicht. Ihn zieht's nach Denver, wo er in der Krise zum Hoffnungsträger wird - mit Erfolgs-Déjà-vu?
Heute wird es sie wieder geben im Pepsi Center von Denver. Im dritten Playoff-Spiel der NHL zwischen der Colorado Avalanche und den San Jose Sharks. Dieses sehr lang gezogene "Gruuuuuuuu", das immer dann zu hören ist, wenn Philipp Grubauer im Avalanche-Tor wieder einen Schuss pariert hat. Und das war in den vergangenen Wochen sehr oft der Fall. Dass Colorado die Playoffs der nordamerikanischen Eishockey-Liga erreicht hat, ist ein Verdienst des deutschen Torhüters. Dass Colorado in der ersten Ko-Runde mit den Calgary Flames das beste Vorrunden-Team der Western Conference in nur fünf Spielen eliminierte, hat ebenfalls viel mit dem 27-Jährigen zu tun, der von von der Tageszeitung "Colorado Springs Gazette" längst "The Great Grubauer" getauft worden ist.
Die Geschichte über "Gruuuuuuuuuu" beginnt am 7. Juni 2018. Am bislang größten Tag in der Karriere des Philipp Grubauer. Der Rosenheimer hat soeben den Stanley Cup gewonnen. Als erster deutscher Torwart. Allerdings ist sein Anteil am Titel der Washington Capitals minimal. Denn Grubauer ist Ersatztorwart - wie so oft seit seinem NHL-Debüt 2013. Zu Beginn der Playoffs stand er in den Heimspielen gegen Columbus zwar im Tor - doch beide Partien wurden verloren und so musste Washingtons Trainer Barry Trotz etwas ändern, um nicht erneut früh in der K.o.-Runde zu scheitern. Er nahm Grubauer raus und brachte Braden Holtby, den langjährigen Stammkeeper. Der Rest ist Geschichte.
Mit Grubauer gelingt die Aufholjagd
"Ich wollte einfach spielen, die Chance ergreifen, irgendwo die Nummer eins zu sein. In Washington war das einfach unrealistisch", sagt Grubauer im Gespräch mit n-tv. Seine Chance bekam er dann knapp 2600 Kilometer westlich der Hauptstadt. In Denver. Bei der Colorado Avalanche. Hier war Semyon Varlamov seit acht Jahren eine Institution im Tor, nicht immer unumstritten, allerdings trotzdem oft gesetzt. Nun ist es in der NHL aber häufig so, dass es keine klare Trennung zwischen Torhüter Nummer eins und Torhüter Nummer zwei gibt. Viele Trainer haben eher eine 1a und 1b. Zwei Schlussleute, die sich die Arbeit in der 82 Spiele umfassenden Vorrunde mehr oder weniger teilen. So soll gewährleistet werden, dass niemand in der regulären Saison 60 oder mehr Partien bestreiten muss und ausgepowert in die Playoffs geht. In Denver spielte Varlamov in dieser Saison in 49 Partien von Beginn an, Grubauer in den anderen 33.
Dass er mittlerweile aber trotzdem bei Trainer Jared Bednar gesetzt ist, basiert auf seinen Leistungen in der entscheidenden Vorrunden-Phase. Am 15. März unterlag Colorado mit Varlamow den Anaheim Ducks 3:5. Es waren noch elf Partien zu spielen - und Colorados Rückstand auf den letzten Playoff-Platz betrug fünf Punkte. "Wir haben da schon immer praktisch ein Spiel sieben der Playoffs gehabt, um jeden Punkt kämpfen müssen, damit wir überhaupt in die Playoffs reinkommen", sagt Grubauer.
Er stand ab dem 17. März in neun von zehn Begegnungen im Tor. Colorado holte mit ihm 16 der 18 möglichen Punkte - und qualifizierte sich als 16. und letztes Team für die Ko-Runde. Es folgte im ersten Spiel gegen Calgary eine 0:4-Niederlage. Für Grubauer war es dennoch ein kleiner Sieg. Er bewies, wie sehr er mental gewachsen war. Vor und erst Recht nach der Niederlage wurde Grubauer auf das Vorjahr angesprochen. Auf jene 3:4-Niederlage zum Playoff-Auftakt gegen Columbus. Würde womöglich ein Déjà-vu-Erlebnis drohen? Grubauer erneut auf die Bank müssen?
Die Vergangenheit? "Wurscht!"
Der Deutsche aber ließ sich nicht beirren. Das sei ihm "Wurscht" gewesen, sagt er im Zungenschlag seiner oberbayerischen Heimat. Er habe das "komplett ausgeblendet", betont Grubauer. "Anderer Verein, andere Mannschaft, andere Situation." Vor allem seine Spielpraxis in den vergangenen Partien der Vorrunde habe ihm geholfen, "in die Playoffs reinzugehen." In den anschließenden vier Partien gegen Calgary ließ er nur noch sieben Gegentreffer zu, parierte herausragende 95 Prozent aller Schüsse und war neben der Parade-Sturmreihe Nathan MacKinnon, Gabriel Landeskog und Mikko Rantanen der Garant für das Weiterkommen. Der Wechsel nach Colorado war nicht nur sportlich ein wichtiger und - bislang - richtiger Schritt gewesen. Auch privat ist Grubauer in seiner neuen Umgebung glücklich.
Die Natur sei "genau wie daheim." In Rosenheim war er zuletzt im Sommer. Und er hatte den Stanley Cup im Gepäck. Jeder Spieler des amtierenden Meisters darf die begehrteste Eishockey-Trophäe der Welt einen Tag für sich haben. Obwohl Grubauer Rosenheim bereits 2008 Richtung Nordamerika verließ, war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, den Stanley Cup dorthin zu bringen, wo er einst seine erste Schritte auf dem Eis gemacht und es als 16-Jähriger bereits in die erste Mannschaft der Starbulls Rosenheim geschafft hatte.
"Lord Stanley" in Rosenheim
Zu den Leuten, die einen großen und wichtigen Anteil an seiner Karriere hatten. "Familie, Freunde, die ganzen alten Trainer, die sich jahrelang mit mir gequält haben, damit ich es irgendwo hin schaffe", sagt Grubauer. Von den jüngsten Nachwuchsspielern bis zu den Akteuren der ersten Mannschaft waren alle zum Fanfest ans Rosenheimer Stadion gekommen. Und alle durften "Lord Stanley" anfassen, Fotos machen. Große Augen, strahlende Gesichter und die Gewissheit, dass es tatsächlich einer von ihnen, einer aus ihrem Verein ist, der diesen Cup gewonnen hat.
Was in den Playoffs für Colorado möglich sei, vermag Grubauer nicht zu sagen. Aber wer kann das schon in diesem Jahr? Das mit Abstand beste Team der Vorrunde, Tampa Bay Lightning, ist mit 0:4 krachend an Außenseiter Columbus Blue Jackets gescheitert. Meister Washington ist ebenso bereits draußen wie 2016- und 2017er-Champion Pittsburgh Penguins. Und nicht zu vergessen die Flames, die von der Avalanche (zu deutsch: Lawine) überrollt wurden. "Wir freuen uns, dass wir die Runde gegen Calgary gewonnen haben. Aber damit sind wir natürlich noch nicht zufrieden", sagt Grubauer.
In der Serie gegen San Jose steht es nach zwei Spielen 1:1. Im zweiten Duell war es wieder Grubauer, der seine Mannschaft im Spiel hielt. Beim 4:3-Erfolg parierte er 31 Schüsse und leitete außerdem gemeinsam mit Matt Calvert das vorentscheidende 4:2 durch MacKinnon ein. In den nächsten Spielen hat Colorado nun zweimal Heimrecht (das erste Heimspiel findet am Mittwochmorgen, 4 Uhr deutscher Zeit statt). Grubauer hat vor einem Jahr gesehen, was es braucht, um Meister zu werden. Es müsse einfach "alles passen". Jeder in jedem Spiel "seine Top-Leistung bringen." Man dürfe "keine Passagiere" haben - also keine Mitläufer. Und es bedarf mitunter eines Torhüters, der, wie es immer so schön heißt, "auf dem Kopf steht". Der die Gegner mit Paraden zur Verzweiflung bringt und die eigene Mannschaft sowie die Fans somit mitreißt - eben einer wie "Gruuuuuuuuuu".
Quelle: ntv.de