Ex-DHB-Coach Brand im Interview "Ich schaue nicht mehr so viel Handball"
23.01.2019, 15:57 Uhr
Heiner Brand traut der aktuellen Mannschaft um Uwe Gensheimer zu, ihm mit dem Weltmeister-Titel nachzufolgen.
(Foto: imago/Sven Simon)
Dem aktuellen DHB-Team hat Heiner Brand etwas voraus: Er ist zweimaliger Handball-Weltmeister - 1978 als Spieler und 2007 als Trainer. Den Titel traut er nun auch der Mannschaft um Kapitän Gensheimer zu, obwohl große Individualisten fehlen. Im Interview mit n-tv.de erklärt Brand, dass Bundestrainer Christian Prokop aus seinen Fehlern gelernt hat und dass es bei dieser WM "keine Übermannschaft" gibt.
n-tv.de: Die deutschen Handballer stehen im Halbfinale. Hand aufs Herz: Hätten Sie das der Mannschaft und dem Trainer Christian Prokop zugetraut?
Heiner Brand: Ich habe stets die Möglichkeit gesehen, wenn alles gut läuft. Meine Einschätzung diesbezüglich ist bestätigt worden. Ich hatte ohnehin ein gutes Gefühl, dass Bundestrainer Christian Prokop und die Mannschaft miteinander zurecht kommen und zusammenarbeiten. Das sollte allerdings bei einer WM im eigenen Lande Normalität sein. Wenn man eine solche Chance nicht wahrnimmt und gemeinsam in eine Richtung geht, wann dann? Ich denke, dass haben alle Beteiligten kapiert.
Und so stellt sich der Auftritt der deutschen Mannschaft mit unbändigem Kampfgeist und mit enormem Willen auch dar. Hinzu kommt, dass es derzeit keine Ausnahmemannschaft im internationalen Handball gibt, so wie es früher mal die Russen, die Schweden, die Franzosen oder wir waren.
Das heißt, die Schwäche der anderen ist die Stärke der DHB-Auswahl?
Nein, ich sage nur, dass es keine Übermannschaft gibt, aber nicht, dass diese Teams schwächer geworden sind. Ein Vergleich mit früher ist ohnehin schwierig, weil der Handball sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt hat. Die deutschen Handballer sind im Halbfinale, weil sie mit einer extrem starken Abwehr und einem Torhüter Andi Wolff, der noch nicht einmal in allen Spielen überragend halten musste, die Grundlage gelegt haben. Das hat es für jede Mannschaft schwierig gemacht, gegen Deutschland zu spielen.
Ist die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft die beste des Turniers?
Ich denke schon, auch wenn die Franzosen ebenfalls sehr stark verteidigen. Sie legen aber nicht ganz diese Aggressivität an den Tag wie ein Patrick Wiencek oder ein Hendrik Pekeler. Bewundernswert ist die Beinarbeit der beiden und wie sie selbst in Unterzahl die Räume schließen. Die DHB-Auswahl ist mit Sicherheit die am unangenehmsten zu spielende Mannschaft in diesem WM-Turnier.
Sie waren immer ein Fan von intensiver Abwehrarbeit. Wer gefällt Ihnen am besten?
Ich finde es sensationell, was Wiencek in der Deckung macht, auch wenn er hier und da schon mal übertreibt - auch mit seinen Gesten in Richtung Publikum. Das ist nicht so mein Ding. Aber was er auf dem Spielfeld leistet, ist unfassbar. Auch Pekeler ist enorm wichtig, er hat aber eine andere, geschicktere Spielweise. Die beiden im Innenblock sind eine Sensation. Aber Fan bin ich von Wiencek.
Finn Lemke, der sogenannte "aggressive leader", kommt bei dieser WM bislang noch nicht zum Zuge.
Finn muss da sein, wenn er gebraucht wird. Bisher aber hat sich herauskristallisiert, dass der Innenblock mit Pekeler und Wiencek hervorragend funktioniert. Aber wenn seine Zeit kommt, wird er sicher mit 100 Prozent Einsatz dabei sein.
Das Team hat keinen überragenden Individualisten in seinen Reihen. Was macht es dennoch so stark?
Mannschaftliche Geschlossenheit, Kampfgeist und Wille - und die Balleroberung in der Abwehr. Dass im Positionsspiel nicht alles nach Wunsch laufen würde, wussten wir vorher. Aber wir haben in jedem Spiel Leute gehabt, die für die wichtigen Tore sorgten. Das war im Spiel gegen Kroatien Fabian Wiede, gegen Island war das Steffen Fäth und gegen Frankreich Martin Strobel. Solange das so läuft, werden Schwächen im Aufbau erfolgreich kompensiert.
Dass ein solcher Teamgeist entsteht, hat immer auch mit dem Trainer zu tun. Haben Sie irgendwann mal an Prokop, der ja massiv in der Kritik stand, gezweifelt?

Heiner Brand lobt seinen Nachfolger Christian Prokop: "Macht seine Sache gut."
(Foto: imago/Martin Hoffmann)
Nein. Ich habe mich aber auch stets so geäußert, dass ich mich der Meinung der sogenannten Fachleute nicht anschließe. Prokop hat immer seine Bereitschaft geäußert, aus den Erfahrungen von Kroatien zu lernen. Er weiß, dass er da Fehler gemacht hat. Aber auch die Spieler haben Fehler gemacht, doch jetzt sind alle auf das eine Ziel fokussiert. Diese WM ist eine einmalige Chance für jeden Handballer und dann erwarte ich ganz einfach von jedem, dass man eigene Interessen hintan stellt. Prokop macht seine Sache gut. Er hat offensichtlich auch wieder den Draht zur Mannschaft.
Die Mannschaft muss nun in den letzten drei Turnierspielen ohne Martin Strobel auskommen, der sich im Spiel gegen Kroatien einen Kreuz- und Innenbandriss zuzog.
Martin hat eine sehr solide WM gespielt, eben das, was man von ihm erwarten durfte. Er hat gegen Frankreich vier ganz wichtige Tore gemacht - und hatte keinen einzigen Fehlwurf. Für ihn persönlich tut mir die schwere Verletzung sehr leid. Aber mit Wiede und Paul Drux, notfalls auch mit Steffen Weinhold, bestehen Möglichkeiten, das zu kompensieren. Schon im Spiel gegen Kroatien hat sich der Ausfall nicht negativ bemerkbar gemacht.
Sie haben bestimmt auch viele andere Spiele gesehen …
… habe ich nicht. Meine Ära ist zu Ende. Ich schaue nicht mehr so viel Handball.
Dann macht es wohl auch nur wenig Sinn, Sie nach einem Wunschgegner für das Halbfinale zu fragen.
Selbst wenn ich alle anderen Spiele gesehen hätte, gäbe es für mich keinen Wunschgegner. Gehen Sie einfach davon aus, dass beide Mannschaften, die aus der anderen Hauptrundengruppe ins Halbfinale kommen werden, unsere Mannschaft mehr fordern werden, als Kroatien am Montag. Aber man muss auch sagen, dass die Angriffsleistung Kroatiens sehr enttäuschend war. Das war für den Zuschauer fürchterlich anzusehen. Da werden Dänemark, Norwegen oder Schweden im Halbfinale andere Akzente setzen.
Was trauen Sie der deutschen Mannschaft bei dieser WM zu?
Alles! Wer im Halbfinale steht, kann auch Weltmeister werden. Bei der jetzigen Konstellation ist die Chance riesig.
Wie nachhaltig wäre der Gewinn der WM für den Verband?
Das klingt immer so wahnsinnig toll mit dieser Nachhaltigkeit. Auch nach dem Titel 2007 und in den Jahren danach wurde in vielen Schulen sehr viel in Sachen Handball vorangetrieben. Auch mit Erfolg. Den Marketingexperten, die immer sagen, dass man mehr aus einem Titelgewinn machen kann, sage ich: Das ist gar nicht so leicht. Beim DHB sind dank der Hauptamtlichkeit die Strukturen mittlerweile vorhanden. Aber die beste Methode, das beste Marketing, um die Sportart voranzubringen, ist, dass eine Nationalmannschaft auf Dauer Erfolg hat.
Mit Heiner Brand sprach Arnulf Beckmann
Quelle: ntv.de