"Dreister als die Fifa" Kinderdoping unter Gewichthebern enthüllt
05.01.2020, 15:27 Uhr
Verbandspräsident Ajan wird schwer belastet.
(Foto: imago images/ZUMA Press)
Schwere Vorwürfe gegen den Weltverband der Gewichtheber: Präsident Tamas Ajan soll jahrelang flächendeckendes Doping ermöglicht haben. Selbst die Kontrolleure helfen offenbar den Sportbetrügern. Ein Ex-Star berichtet, dass schon Minderjährige verbotene Substanzen erhalten.
Doping-Vertuschung, Kinderdoping, schwarze Kassen und Korruption: In der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping - Der Herr der Heber" sind schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten des Gewichtheber-Weltverbandes (IWF), Tamas Ajan, erhoben worden. Dem 80-jährigen Ungarn wird in dem TV-Beitrag vom Sonntag (18.45 Uhr) auf Grundlage der ARD vorliegender Dokumente vorgeworfen, dem endlosen Doping-Betrug in der IWF Tür und Tor geöffnet zu haben. Ajan nahm auf mehrere ARD-Anfragen hin nicht inhaltlich Stellung zu den Vorwürfen. So sollen fast die Hälfte der 450 Medaillengewinner der Olympischen Spiele und Weltmeisterschaften von 2008 bis 2017 im Jahr ihres Erfolges keine einzige Trainingskontrolle absolviert haben.
"Es gab keine Kontrollen, weil sie wussten, dass die positiv wären", sagte die spanische Gewichtheberin Lydia Valentin, der der Olympiasieg von 2012 nachträglich zuerkannt wurde, weil die drei Erstplatzierten von London bei Doping-Nachtests noch erwischt wurden. Zweifel weckt auch, dass die von einem Ungarn angeführte IWF bei vielen internationalen Wettkämpfen und bei fast allen Weltmeisterschaften die ungarische Anti-Doping-Agentur Hunado mit den Kontrollen beauftragte. Nur bei der WM 2015 in Houston testete die US-Agentur Usada - trotz Protest der IWF - und erwischte 24 Doping-Sünder. "Das bestätigt doch nur, warum wir so unnachgiebig waren", erklärte Usada-Chef Travis Tygart der ARD. Seit dem Jahr 2000 wurden mehr als 700 Dopingfälle aufgedeckt, über die Dunkelziffer kann nur spekuliert werden.
Arzt gibt Einblick in abenteuerliche Dopingpraktiken
Der ARD-Dopingredaktion liegen darüber hinaus Hinweise vor, dass von der IWF beauftragte Dopingkontrolleure - womöglich der Hunado, die im Regelfall im IWF-Auftrag tätig waren - Geld als Gegenleistung für das Akzeptieren manipulierter Dopingproben angenommen habe. In zahlreichen Ländern soll die IWF wenige oder gar keine Dopingproben durchgeführt haben. Das ARD-Team nahm auch Kontakt zum Mannschaftsarzt der moldawischen Gewichtheber auf, der Einblicke in die zum Teil abenteuerlichen Dopingpraktiken gab. "Wenn Doping-Kontrolleure kamen, hat man die Doppelgänger geholt. Leute, die unseren Athleten ähnlich sehen. Die gaben sauberen Urin ab, und wir haben bezahlt", berichtete der Mediziner von unglaublichen Tricks. Das IOC hatte auf die unrühmliche Entwicklung reagiert und der IWF ab 2017 nur noch den Status der bedingten Aufnahme ins Programm der Olympischen Sommerspiele 2024 eingeräumt. Im März 2019 jedoch wurden die Auflagen wieder gelockert, wegen vermeintlicher "enormer Fortschritte".
Kein Verständnis für die Entwicklung hat der deutsche Gewichtheber-Präsident Christian Baumgärtner, der es 2013 immerhin in den IWF-Vorstand schaffte, bei den nächsten Wahlen aber sofort wieder rausflog. "Ajan steht für ein System, das über Jahrzehnte Doping im Gewichtheben etabliert hat", sagte Baumgärtner in dem Bericht: "Es hat sich eine Kultur der Korruption breitgemacht."
Die jüngsten Heber dopen schon mit 13 Jahren
IWF-Chef Ajan ist noch einem anderen Vorwurf ausgesetzt. Er soll veranlasst haben, Zahlungen vom Internationalen Olympischen Komitee an die IWF - seit 1992 in Höhe von mehr als 23 Millionen Dollar - auf zwei Schweizer Bankkonten zu transferieren, die nicht in den Verbandsbilanzen aufgeführt waren. Für diese Konten soll, als sie im Jahr 2009 entdeckt worden seien, allein Ajan zeichnungsberechtigt gewesen sein. Nach ARD-Recherchen konnte er den Verbleib von mindestens 5,5 Millionen Dollar nicht erklären. Der von der ARD mit der Überprüfung dieser Dokumente beauftragte Schweizer Strafrechtler Mark Pieth, sieht in seinem Gutachten den Anfangsverdacht für drei Straftaten als gegeben an: Falsch-Beurkundung, ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. "Das, was ich gesehen habe, erscheint mir doch sehr, sehr dreist. Dreister als das, was ich bei der Fifa gesehen habe", sagte der ehemalige Chef der Reformkommission des Fußball-Weltverbandes Fifa.
Neben Ajan muss auch die thailändische Gewichtheberin Rattikan Gulnoi mit Konsequenzen rechnen. Die Olympia-Dritte von London 2012 erklärte vor verdeckter Kamera des ARD-Teams, Anabolika genommen zu haben. Gulnoi bestätigte auch, dass es Kinderdoping in Thailand gegeben habe - trotz enormer Nebenwirkungen. "Als ich es nahm, hatte ich einen Kiefer wie ein Mann und einen Schnurrbart", berichtete Gulnoi. Die Verantwortlichen hätten sich nicht um die Gesundheit der Athleten gekümmert, die Jüngsten hätten bereits "mit 13 in nationalen Wettbewerben" gedopt, so Gulnoi, die 2014 noch Weltmeisterin wurde, in ihrer Karriere aber nie aufflog. Thailand gilt im internationalen Gewichtheben als großer Dopingsünder, wurde 2019 sogar von der WM im eigenen Land ausgeschlossen.
Quelle: ntv.de, tsi/dpa/sid