Malaika Mihambo im Interview "Das größte Problem war, dass ich Long Covid hatte"
29.01.2023, 08:01 Uhr
Bei den Europameisterschaften in München gewann Mihambo die Silbermedaille.
(Foto: picture alliance / Gladys Chai von der Laage)
Malaika Mihambo ist amtierende Olympiasiegerin und Weltmeisterin, bei der Heim-EM im August gewinnt sie die Silbermedaille, in diesem Jahr kann sie zum dritten Mal in Folge WM-Gold gewinnen - doch damit beschäftigt sich die Weitspringerin nur selten. Im Interview mit ntv.de verrät die 28-Jährige, wie sie sich stattdessen motiviert, womit sie sich abseits der Leichtathletik beschäftigt und warum vier Wochen in Peru auch körperlich eine Bereicherung waren. Mihambo gibt außerdem Einblick in ihre gesundheitlichen Probleme nach der Corona-Infektion.
ntv.de: In der Saisonpause waren Sie in den vergangenen Jahren oft unterwegs, sind gereist, gewandert, haben neue Sportarten wie Skilanglauf ausprobiert. Wie haben Sie nach der herausfordernden Saison 2022 Ihre trainingsfreie Zeit verbracht?
Malaika Mihambo: Sehr spannend und sehr ungewohnt: Ich war für insgesamt vier Wochen in Peru. Eine Woche davon war ich im Regenwald, habe den Amazonas kennengelernt und dort eine Woche gecampt. Danach war ich noch in Machu Picchu, bin den Inka-Trail (rund 45 Kilometer lang; Anm. d. Red.) gewandert und habe danach noch einen Fünftausender bestiegen. Das war sehr ereignisreich und sehr besonders. Ich war sehr viel in der Natur - und konnte sehr viel lernen über die Natur, über die Kultur, besonders natürlich über die Inka-Kultur.
Nehmen Sie daraus Impulse für Ihren Sport mit, für die Vorbereitung? Oder ist so eine Reise eher als Abstand zum Leben als Hochleistungssportlerin gedacht, während der Sie keine Gedanken an weite Sprünge verlieren?

Mit 28 Jahren hat Malaika Mihambo schon alle großen Titel gewonnen und steht mit ihrem persönlichen Rekord von 7,30 Meter auf Platz 12 der ewigen Weltbestenliste.
(Foto: picture alliance/dpa/Lehtikuva)
In der Zeit denke ich gar nicht an mein Sportlerleben und an die Arbeit, die dann für die neue Saison wieder ansteht. Für mich ist das aber trotzdem immer etwas, das mich weiterbringt: weil ich nicht nur meinen Horizont erweitere, sondern neu auf die Welt blicken und davon dann auch etwas mitnehmen kann.
Was haben Sie aus Peru mitgenommen?
Ich habe körperlich sehr von diesem "Höhentraining" profitiert, weil ich so viel wandern war in dieser absoluten Höhe. Ich bin also sehr fit wieder in die Vorbereitung eingestiegen. Wenn man auf 4800 Metern campt, dann merkt man auf jeden Fall, dass der Körper arbeitet und dass sich etwas verändert.
Mittlerweile sind Sie zurück im Training, in der Vorbereitungsphase, die als besonders anstrengend und fordernd gilt. Dabei sagten Sie im vergangenen Sommer, dass Sie niemandem mehr etwas beweisen müssten. Was motiviert Sie also, sich einmal mehr durch den Winter zu quälen?
So habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Das klingt ein bisschen so, als wäre Leistungssport etwas, das man tunlichst vermeiden sollte, wenn man niemandem etwas zu beweisen hat. Ich habe weder das Gefühl, dass ich jemandem etwas beweisen muss, noch, dass ich mir selbst etwas beweisen muss.
Was ist es dann, das Sie antreibt, den Körper immer wieder an seine Grenzen zu bringen?
Für mich ist es schon lange nicht mehr die Motivation im Äußeren, dass ich sage, 'Ich muss jetzt noch einen Titel holen' oder 'Ich muss dieses oder jenes erreichen', davon bin ich eigentlich schon lange weg. Für mich geht es darum, mich als Mensch weiterzuentwickeln, jeden Tag an mir zu arbeiten, ein besserer Mensch und Athlet zu werden. Aber hauptsächlich geht es mir immer um den Menschen und wie ich eben einfach wachsen kann und die beste Version meiner selbst sein kann.
Setzen Sie sich dafür konkrete Ziele, etwa den Anlauf ans Brett zu perfektionieren oder Vergleichbares?
Das ist unterschiedlich. Gerade diese Trainingsaspekte haben wirklich einen Plan, an dem man sich dann auch über Monate entlang hangelt und bei dem man einfach weiß: In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt zum Beispiel eher auf dem Sprint, in einem anderen Jahr eher im Kraftbereich. Aber ich meinte das auch viel offener, nämlich wie man als Persönlichkeit stabil und resilient in seinem eigenen Leben dasteht.
Resilienz ist ein gutes Stichwort, die war bei Ihnen in der Saison 2022 gefordert. Weltmeisterschaft und Heim-Europameisterschaft innerhalb von nur drei Wochen, dazwischen eine Corona-Infektion, die sich auch anschließend noch mit gesundheitlichen Problemen bemerkbar gemacht hat.
Ja, das stimmt, das war nicht einfach, dass ich mich da zu einem so unglücklichen Zeitpunkt mit Corona infiziert habe. Das größte Problem dabei war, dass ich dann eine Form von Long Covid hatte und dass es dadurch sehr schwierig wird, an sein absolutes körperliches Leistungspotenzial zu kommen. Da bin ich doch mit einem sehr großen Handicap gestartet und habe in jedem Fall das Beste draus gemacht.
Nach Ihrer erfolgreichen Titelverteidigung bei der WM in den USA haben Sie trotz der Corona-Nachwirkungen bei der EM in München Silber gewonnen, mussten jedoch nach der Ehrenrunde im Olympiastadion ärztlich behandelt werden. Bei Ihrem Wettkampf danach, beim ISTAF in Berlin, haben Sie mehrere Versuche ausgelassen.
Ich habe gemerkt, dass es schwierig wurde, mit dem Potenzial, das noch da war, dann auch spielen zu können - und diese Lockerheit zu haben, die man sonst einfach hat, wenn man sich voll auf seinen Körper verlassen kann.
In Berlin sagten Sie nach dem Wettkampf, Ihre Lungenfunktion sei noch etwas eingeschränkt, die "Atemeffizienz ein bisschen unterdurchschnittlich". Unter anderem mit Physiotherapie und mit einer "Atemschule" wollten Sie die volle Belastbarkeit wieder herstellen. Hat das geklappt?

Mihambo nach ihrem Sieg beim ISTAF im Berliner Olympiastadion im September 2022.
(Foto: IMAGO/Chai v.d. Laage)
Ich weiß es nicht genau, ich denke aber schon. Ich habe ja auch wirklich nur im Wettkampf Probleme gehabt. Man kann sich das jetzt nicht so vorstellen, dass ich im Alltag permanent das Gefühl hatte, nicht genug Luft zu bekommen, oder dass ich beim Treppengehen komplett außer Atem gerate, so war das nicht. Das war schon wirklich auf den Leistungssportbereich bezogen. Nach München hatte ich dann nochmal so ein Tief und habe das dann auch im Alltag gemerkt, aber nach einer Woche war das dann auch wieder in Ordnung. Und als die Wettkämpfe vorbei waren, habe ich dann auch von der Erkrankung gar nichts mehr gemerkt. Ich nehme einfach an, dass es sich alles wieder selbst reguliert hat und dass es passt und ich dann bei den ersten Wettkämpfen wieder ganz normal dastehen werde.
Die Zeit der Belastungssteuerung nach München, also mit reduziertem Training und ausgelassenen Versuchen, ist also vorbei?
Ja, ich gehe davon aus, dass ich auch im Wettkampf wieder sechs Sprünge machen kann, ohne Probleme mit der Atmung zu haben.
Dann lassen Sie uns zurück zum Training springen, Sie sprachen davon, Schwerpunkte zu setzen. Wo liegt aktuell der Fokus? Oder ist das Ziel mittlerweile, alles im Wettkampf zusammenzubringen?
Das ist natürlich im Optimalfall jedes Jahr so, dass man versucht, alles zusammenzubringen, dass man die Bausteine, an denen man gearbeitet hat, auch aufs Brett bringt. Von daher schwingt das immer mit. Wir haben jetzt nochmal viel auf Schnelligkeit gesetzt, einen Fokus auf das Sprinten gelegt - und ich merke auch wieder, dass ich mich sehr wohlfühle beim Sprinten, wieder schneller bin, so wie das auch 2019, 2020 auch der Fall war. Der Weitsprung lebt ja auch einfach von der Schnelligkeit. Zum anderen ist aber auch eine Reserve in der Maximalkraft, von daher wollen wir da auch noch etwas weiter arbeiten in diesem Jahr, um die auszureizen.
Zu diesem "Wir" gehörte bis 2020 Ihr Trainer Ralf Weber, der Sie über viele Jahre betreut hat und sich dann zurückgezogen hat. Danach wollten Sie eigentlich, wie kurz zuvor auch Gina Lückenkemper, in die USA wechseln und in Texas beim neunfachen Olympiasieger Carl Lewis trainieren. Dann kam die Pandemie, Sie wechselten vorübergehend zu Bundestrainer Ulrich Knapp. Obwohl die Umstände einen Wechsel in die USA wieder erlauben, sind Sie von dieser Idee komplett abgerückt. Wie kam es zu diesem Entschluss?
Manchmal muss man das Leben einfach so nehmen, wie es kommt. Klar, man weiß nie, ob es besser gewesen wäre, wenn man es anders gemacht hätte. Aber ich bin trotzdem happy und denke, dass es die richtige Entscheidung war.
Es ist ja, zumindest von außen betrachtet, der komplette Gegenentwurf geworden: Statt ins Ausland zu gehen, aus den Strukturen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes auszubrechen, bleiben Sie beim Bundestrainer. Was hat dieses Umdenken ausgelöst?
Weil ich mit Uli eine Basis habe, die einfach sehr außergewöhnlich ist. Wir verstehen uns menschlich sehr gut und das ist etwas, das ich schätze und auch behalten will, weil ich weiß, dass das nicht alltäglich ist und dass man das nicht mit Sicherheit auch woanders antreffen kann. Deshalb ist es mir wichtig, das wertzuschätzen, und ich möchte es nicht gegen etwas eintauschen, das ich nicht kenne. Ich habe mit Uli einfach einen Trainer gefunden, bei dem ich mich wohlfühle. Und das schließt ja trotzdem nicht aus, mal in den USA vorbeizuschauen und dort zum Beispiel ein Trainingslager zu machen.
In diesem Jahr bietet sich Ihnen die Chance, nach 2019 und 2022 zum dritten Mal in Folge Weltmeisterin im Weitsprung zu werden. Das hat vorher nur die US-Amerikanerin Brittney Reese geschafft: 2009, 2011 und 2013. Spielen solche Vergleiche für Sie eine Rolle?
Ich beschäftige mich damit eigentlich gar nicht, von daher könnte ich gar nicht sagen, wer etwas wie oft geschafft hat. Ich konzentriere mich einfach darauf, mein Bestes zu geben, auch weil es mir nichts bringt, wenn ich weiß, was andere schon geschafft haben oder nicht. Das hilft mir nicht, meine Ziele zu erreichen. Von daher bleibe ich immer bei mir, schaue, wie ich mich verbessern kann, wie ich mich von Sprung zu Sprung steigern kann und achte darauf, dass ich ganz viele Dinge richtig mache. Wenn ich das tue und mich darauf konzentriere, habe ich in der Regel auch Erfolg. Erst im zweiten Schritt schaue ich, wofür das reicht.
Für den Deutschen Leichtathletik-Verband sind Ihre Erfolge allerdings umso wichtiger, weil Sie im Weltmaßstab in den vergangenen Jahren eine der wenigen Garantinnen für konstant gute Ergebnisse waren. Nach dem miserablen DLV-Abschneiden bei der WM wurde eine Aufarbeitung angekündigt, waren Sie darin eingebunden?
Natürlich hat man sich mit der Chefbundestrainerin [Annett Stein, Anm. d. Red.] unterhalten, jetzt gerade noch im Trainingslager. Letztendlich ist es aber auch viel, das intern geregelt werden muss, wobei man da als Athlet auch gehört wird. Es gibt seit letztem Jahr auch eine viel aktivere Kommunikation mit den Athleten, was sicherlich auch Vorteile hat, weil dann natürlich auch individuell besser herausgefunden werden kann, wo vielleicht Dinge sind, die im System übersehen werden oder die zumindest unter dem Radar laufen. Das ist auf jeden Fall positiv. Aber es ist gerade kein Hauptbestandteil in meinem Leben, das aufzuarbeiten.
Zumal Sie ja auch noch ein Leben neben dem Leistungssport haben.
Genau, ich habe ja noch mein Studium und andere Dinge, von daher bin ich auch schon ausgelastet.
Sie studieren aktuell an einer Fern-Uni Umweltwissenschaften im Master, gibt es da eine feste Verteilung zwischen Studium und Sport? Oder wechselt das je nach Phase der Saison?
Ich versuche, so zu planen, dass ich stressfrei durch das Studium komme. Gleichzeitig habe ich auch das Tempo etwas entschleunigt im Vergleich zum Bachelor, weil ich nochmal mein Bestes geben wollte und das natürlich mit dem Leistungssport als Hauptberuf nicht so einfach ist. Ich plane alles so, dass ich mich also nicht überfordere und dass ich mich auf den Sport konzentrieren kann und Abgaben für die Uni mich nicht zum Saisonhöhepunkt unter Druck setzen.
Planung ist auch für den DLV wichtig, der gerne in Olympiazyklen denkt - der aktuelle endet mit den Spielen in Paris im Sommer 2024. Dort könnten Sie Ihre Goldmedaille aus Tokio verteidigen. Geht Ihre Planung schon darüber hinaus oder denken Sie von Jahr zu Jahr?
Ja, in der Regel schon. Also natürlich werde ich auf jeden Fall bis Paris weitermachen und denke, dass ich danach auch noch ein bisschen weitermache. Wie lange das dann ist, würde ich dann von Jahr zu Jahr sehen.
Mit Malaika Mihambo sprach Torben Siemer
Quelle: ntv.de