Radprofi fordert harte Strafen Martin ist sauer auf "Idioten am Straßenrand"
06.07.2021, 14:43 Uhr
Der vom Sturz gezeichnete Tony Martin klagt an.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Der deutsche Radprofi Tony Martin ist wütend. Wütend auf die Frau, die ihn stürzen ließ, wütend auf die "Idioten am Straßenrand" und wütend auf die Organisatoren der Tour. Denen gehe es nur um Quote. In einem "Spiegel"-Interview holt der 36-Jährige weit aus und trifft.
Deutschlands Radprofi Tony Martin setzt nach dem schweren Massensturz bei der Tour de France auf eine Strafe mit Außenwirkung für die Verursacherin. "Ich möchte es nicht übertreiben, aber ich hoffe, dass die Frau in dem Maße bestraft wird, dass es eine gewisse abschreckende Wirkung hat", sagte der 36-Jährige dem "Spiegel". Eine Zuschauerin hatte zum Tour-Start ein Pappschild präsentiert und damit einen heftigen Sturz verursacht.
Die als Pappschild-Frau bekannt gewordene Zuschauerin muss sich im Herbst vor Gericht verantworten. Wie "L'Équipe" am Freitag berichtete, findet die Verhandlung gegen die 30-Jährige am 14. Oktober statt. Die Frau war am Mittwoch in Gewahrsam genommen und am Freitagmorgen wieder freigelassen worden.
Martin, der selbst direkt betroffen war, sagte weiter: "Ich bin auf gar keinen Fall auf Rache oder Genugtuung aus. Die Frau spielt für mich keine Rolle mehr." Vielen Fans am Straßenrand gehe es um Selbstinszenierung, kritisierte der Zeitfahr-Spezialist. "Die Leute sollen kommen und den Radsport genießen, auch feiern und uns anfeuern. Aber sie sollten auch immer Respekt uns gegenüber haben und auf Gefahren aufpassen."
"Wahrscheinlich haben die sie nicht mehr alle"
Der 36-jährige Cottbuser liegt vor der 10. Etappe der Tour auf Platz 112 der Gesamtwertung. Martin fährt bereits seine 13. Frankreich-Rundfahrt, und er beobachtet den zunehmenden Drang der Zuschauer zur Selbstdarstellung mit großer Sorge. Nach dem Vorfall zum Tourstart habe sich das Bild auf der Strecke nicht grundlegend geändert. "Auch nach der Etappe habe ich noch so viele Idioten am Straßenrand gesehen, die es einfach nicht kapiert haben. Das macht mich wütend", sagt er und wütet gegen die "Selbstinszenierung" und die "ganze Effekthascherei" in Zeiten von "Instagram und Facebook."
"Jeder will den anderen übertreffen, will ein tolleres, verrückteres Bild haben. Vor ein paar Jahren war es ein Witz, dass jemand im Borat-String am Straßenrand steht", sagt Martin. "Da hat man beim ersten Mal noch gelacht. Mittlerweile stehen gerade die Männer teilweise mit nacktem Hintern da. Da fragt man sich, was mit den Menschen los ist." Sein nüchternes Fazit: "Wahrscheinlich haben die sie nicht mehr alle. Welcher normale Mensch kommt auf die Idee, sich an den Straßenrand zu stellen und seinen nackten Po zu zeigen? Da kann ich nur den Kopf schütteln."
Stürze bringen Quote
Im bisherigen Tourverlauf kam es zu zahlreichen Stürzen im Feld. Besonders auf der dritten Etappe: Primoz Roglic, Mitfavorit und Martins Team-Kapitän bei Jumbo-Visma, setzten seine Verletzungen so sehr zu, dass er die Rundfahrt bereits verlassen hat. Auch Geraint Thomas, der Tour-Sieger von 2018, stürzte. Er kämpft sich nur noch mit Schmerzen durch die Tour. Er ist längst abgeschlagen. "Das ist die Tour, das größte Radrennen der Welt und ich wollte nicht einfach so verschwinden", hatte der Waliser am gestrigen Ruhetag erzählt.
Im Finale der dritten Etappe stürzten die Sprinter Peter Sagan und Caleb Ewan. Den 26-Jährigen Australier erwischte es schwer. Er zog sich einen Bruch des Schlüsselbeins zu und musste aufgeben. Die Schuld für die meisten Stürze sieht Martin bei den Organisatoren der Tour und beim Radsportverband UCI. Es gehe ihnen mehr um spektakuläre Bilder als um die Gesundheit der Fahrer. "Wer das Finale vorher gesehen hat, wusste, dass es an dem Tag schwere Stürze geben würde. Ich denke, es wurde von der Organisation und der UCI billigend in Kauf genommen. Ich weiß nicht, ob Einschaltquoten und Effekthascherei dahinterstecken", sagt Martin. "Storys von Stürzen haben eine höhere Einschaltquote als ganz normale Sprintsieger, vielleicht sind sie dann auch gewollt."
Quelle: ntv.de, sue mit dpa