Sport

"Heuchelei" und "Lügen"? Neue Dopingvorwürfe belasten auch Putin

Wladimir Putin im Jahr 2014 beim Anstoßen mit IOC-Präsident Thomas Bach.

Wladimir Putin im Jahr 2014 beim Anstoßen mit IOC-Präsident Thomas Bach.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Ist die versprochene Erneuerung des russischen Sportsystems nach der Aufdeckung jahrelangen Staatsdopings nur Fassade? Läuft hinter den Kulissen alles weiter wie bisher? Ja, sagen Whistleblower. Sie beschuldigen Russlands Präsident Putin der Mitwisserschaft.

Die skandalumwitterten russischen Leichtathleten sehen sich neuen Anschuldigungen ausgesetzt, Staatspräsident Wladimir Putin gerät in den Blickpunkt: Der Dopingskandal in Russland nimmt nach weiteren Enthüllungen der ARD-Dopingredaktion neue Fahrt auf. Zudem forderte DOSB-Präsident Alfons Hörmann erstmals harte Sanktionen gegen die Sport-Großmacht. Sollte auch das IOC staatliches Doping belegen, sei ein Komplett-Ausschluss für die kommenden beiden Olympischen Spiele denkbar.

Trotz weltweiter Sperre betreut Wladimir Kasarin angeblich weiterhin russische Spitzenleichtathleten.

Trotz weltweiter Sperre betreut Wladimir Kasarin angeblich weiterhin russische Spitzenleichtathleten.

(Foto: AP)

Schwer belastet wird der bereits suspendierte russische Leichtathletik-Verband Rusaf durch einen neuen Whistleblower. Die angeblichen Reformen im Anti-Doping-Kampf seien nur Augenwischerei. "Da wird ein Wandel vorgetäuscht, den es gar nicht gibt", sagte der russische Leichtathlet Andrej Dmitrijew der ARD-Dopingredaktion. Dem Mittelstreckenläufer zufolge betreut unter anderem Wladimir Kasarin trotz seiner weltweiten Sperre wegen Dopingvergehen weiterhin russische Top-Athleten. "Er arbeitet noch. Das lässt er sich nicht so leicht wegnehmen", sagte der 26-Jährige: "Wenn du behauptest, dass wir uns ändern, dann aber diese Leute einfach weitermachen - das ist doch Heuchelei, das sind Lügen."

Belastende Videoaufnahmen

Wie schon Julia Stepanowa und deren Mann Witali spielte Dmitrijew der Sportschau heimlich aufgenommenes Videomaterial zu, das Kasarin in einem russischen Trainingslager zeigen soll. Neben Kasarin sollen weitere russische Trainer trotz Dopingverstrickungen weiter aktiv sein. Kasarin sei "nicht der dickste Fisch".

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF wird die Aufnahmen prüfen. Welche Konsequenzen Russland drohen, stellte IAAF-Generaldirektor Olivier Gers gegenüber der ARD klar: "Wenn auf den Videobildern wirklich dieser gesperrte Trainer zu sehen ist, hat Rusaf die dem Verband auferlegten Kriterien für die Wiederzulassung nicht eingehalten." Der Verband ist Sommer 2016 gesperrt, deshalb durften auch keine russischen Leichtathleten bei den Olympischen Spielen in Rio starten.

Rusaf-Präsident Dmitri Schljachtin kündigte an, die Vorwürfe und die besagten Videoaufnahmen untersuchen zu wollen. "Unser Verband wird alle Informationen aus Seppelts Dokumentation überprüfen", sagte der Verbandsboss der Nachrichtenagentur TASS.

"Dopingjäger" von Putins Gnaden

Vor Dmitrijew in der ARD hatte am Freitag bereits der Whistleblower Grigori Rodtschenkow in der Dokumentation "Icarus" weitere Einblicke in das russische Dopingsystem geliefert, als der Film seine Premiere feierte. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors gab zu, insgesamt 30 russische Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 und mindestens die Hälfte der 72 Medaillengewinner vier Jahre später in London gedopt zu haben. Das berichtet die englische Tageszeitung "Mail on Sunday".

Rodtschenkow deutete zudem an, dass er 2011 nur aufgrund einer Intervention von Putin im Amt blieb. Damals sei auf Anweisung des Präsidenten hin eine Ermittlung wegen des Handels mit Dopingsubstanzen gegen ihn völlig überraschend fallengelassen worden. Rodtschenkow arbeitete daraufhin weiter als Leiter des Moskauer Labors. "Putin hat mich angefragt", sagte er.

DOSB-Boss bezweifelt Putins Ahnungslosigkeit

Auch DOSB-Boss Hörmann äußerte Zweifel, dass Putin nichts vom russischen Dopingplan gewusst haben soll. "In einem System wie Russland scheint auch das nur schwer vorstellbar. Das fällt mir als Bürger Europas, aber auch als sportpolitischer Verantwortungsträger schwer zu glauben", sagte Hörmann der "Welt am Sonntag".

Er könne sich zudem nur schwer vorstellen, dass ein Dopingsystem wie in Russland landesweit umgesetzt werde, ohne dass das nationale olympische Komitee (NOK) in irgendeiner Form davon weiß oder darin involviert sei. "Das ist nach meinem Verständnis einer Sportorganisation in einem Land wie Russland wohl kaum möglich. Zumal das NOK laut Charta für die Umsetzung des Wada-Codes verantwortlich ist", sagte Hörmann.

Seine klare Forderung lautet: "Wenn sich bestätigen sollte, dass es in Russland Staatsdoping gegeben hat und das russische NOK damit gegebenenfalls eindeutig gegen die IOC-Charta verstoßen hat, dann wäre für mich der Komplettausschluss des gesamten NOK mindestens für Pyeongchang (Winterspiele 2018 - d.R.) und gegebenenfalls auch für Tokio (Sommerspiele 2020 - d.R.) ein Thema, mit dem sich das IOC intensiv beschäftigen muss", sagte Hörmann.

Quelle: ntv.de, cwo/sid

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