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"Spieler machen, was sie wollen" Reaktionen auf "Horrorshow" der Tennisstars

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Die Adria Tour von Novak Djokovic ist ein Fiasko. Reihenweise melden sich Tennisstars, die mit dem Corona-Virus infiziert sind - und ihn möglicherweise auch im Umfeld der Turnierserie verteilt haben könnten. Die Reaktionen aus der Branche sind vernichtend.

Die von Tennis-Superstar Novak Djokovic initiierte Adria Tour war offenbar eine große Corona-Party. Ohne Einhaltung von Mindesthygienestandards, wie sie nahezu weltweit empfohlen sind, feierten Tennisprofis halbnackt in Clubs, Zuschauer saßen zu Tausenden rund um den Court, dicht an dicht und die Spieler herzten und umarmten sich. Das Rahmenprogramm dieser kontaktlosen Sportart war auf Vollkontakt ausgelegt. Das klare Signal, das die reichweitenstarken Stars in die Welt sendeten: Alles halb so schlimm, alles unter Kontrolle.

Es wird immer deutlicher: Nichts war unter Kontrolle. Nach Borna Coric, Grigor Dimitrow und Viktor Troicki meldete sich nun auch Organisator Djokovic als Covid-19 positiv. Außerdem positiv getestet: Seine Ehefrau Jelena, Troickis schwangere Frau, dem Vernehmen nach der Fitnesstrainer von Djokovic und der Coach von Dimitrow. Dazu eine kroatische Fernsehmoderatorin und - so schreibt es die "Süddeutsche Zeitung", der fünfjährige Enkel eines Restaurantbetreibers in Zadar. Dort hätten sich die Spieler ebenfalls aufgehalten. Dabei wird es nicht bleiben.

Die Reaktionen auf das Fiasko aus dem Tennissport ließen dementsprechend nicht lange auf sich warten - und sie fielen hart aus.

Andy Murray, ehemaliger Weltranglisten-Erster, sagte der britischen Tageszeitung "The Times": "Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Novak. In der Nachbetrachtung macht das, was da passiert ist, aber keinen guten Eindruck." Top-Athleten auf der ganzen Welt müssten zeigen, "dass wir das ernst nehmen und uns darüber im Klaren sind, dass wir Abstandsregeln einhalten". Im Hinblick auf eine mögliche Wiederaufnahme des regulären Turnierbetriebs sagte der zweifache Wimbledon-Sieger: "Ich hoffe, dass wir daraus lernen, weil letztendlich wird die ATP Tour nicht zurückkommen, wenn wir jede Woche Probleme haben und die Spieler machen, was sie wollen."

Der deutsche Ex-Profi Nicolas Kiefer fragte in einer Kolumne für "Focus": "Hat Djokovic gedacht, dass das Virus überall ist, nur nicht in Serbien?" Eine "reine Katastrophe" nannte Kiefer die Vorgänge. "Das ist auch nicht gut für die Außendarstellung der ATP-Tour, auch wenn diese nichts mit der Adria Tour zu tun hat", schrieb er.

"Es ist ein bisschen so, als würde man seinen Kindern beibringen, immer mit Helm Fahrrad zu fahren. Zuerst sagen sie nein, nein, nein. Erst wenn sie vom Fahrrad fallen, tragen sie den Helm", sagte Andrea Gaudenzi, Präsident der ATP, der "New York Times". Der Italiener erklärte aber auch, allen Teilnehmern privater Turniere sei die Einhaltung angemessener Maßnahmen und der Abstandsregeln empfohlen worden.

Der frühere Davis-Cup-Kapitän Patrik Kühnen kritisiert Djokovic harsch. Bei dem Turnier seien "alle Bemühungen im Kampf gegen Corona mit Füßen getreten" worden, sagte Kühnen bei Sport1 und fügte hinzu: "Solche Bilder, wie wir sie dort gesehen haben, sind absolut verstörend und passen überhaupt nicht in diese Zeit." Dafür machte der frühere Tennis-Profi auch Djokovic verantwortlich: "Wenn man so ein Event auf die Beine stellt, muss man um die Situation wissen. Da ist Djokovic seiner Verantwortung überhaupt nicht gerecht geworden."

"Wie soll ich einem Jugendlichen erklären, dass er Abstand halten und sich die Hände waschen soll, wenn Djokovic Ringelpiez mit Anfassen spielt? Das ist ein katastrophales Bild", sagte Dirk Hordorff, Vizepräsident im Deutschen Tennis Bund (DTB). "Es geht nicht nur um die Spieler, es waren 100 Jugendliche in Kontakt mit ihnen", sagte Hordorff. Der langjährige Proficoach hatte seine Kritik an der Außenwirkung der Tour bereits vor den positiven Fällen geäußert, nun sagte er: "Wenn es kaum Regeln gibt und alles stolz per Video gezeigt wird, dann macht mich das fassungslos."

Als "Horrorshow" fasste der brasilianische Profi Bruno Soares das Geschehen zusammen. Der Doppel-Spezialist ist Mitglied im ATP-Spielerrat, dessen Präsident Djokovic ist. "Enorme Unverantwortlichkeit und große Unreife", sagte Soares im brasilianischen Sender GloboEsporte.

Als "absolute Katastrophe" geißelte die deutsche Damentennis-Chefin Barbara Rittner am Montag die Vorgänge und sprach im "Kölner Stadt-Anzeiger" von einem "Bärendienst", den Djokovic der Tennisfamilie erwiesen habe. "Die ganze Welt hält Abstand und trägt Masken. Und an der Adria saß man Schulter an Schulter ohne Masken, hat nachts gefeiert und sich oberkörperfrei in den Armen gelegen. Da verstehe ich nicht, in welcher Welt die leben - offenbar in ihrer eigenen Blase. Einigen ist ihr Erfolg wohl zu Kopf gestiegen", schimpfte Rittner.

"Das hier schießt den Vogel ab"

"Schnelle Genesung, Jungs - aber das passiert, wenn man alle Vorschriften missachtet", schrieb Nick Kyrgios bei Twitter. In Großbuchstaben fügte der Australier an: "DAS IST KEIN WITZ". Später, nachdem sich auch Djokovic selbst zu den positiv Getesteten gesellt hatte, teilte Kyrgios ein Feiervideo seiner Kollegen mit dem Hinweis: "Bei allem, was ich an "Unverantwortlichem" und "Dummheiten" gemacht habe - das hier schießt den Vogel ab."

Schon dass zum Auftakt in Belgrad die Zuschauer dicht nebeneinander saßen, hatte für Kopfschütteln bei Kritikern gesorgt. Die Spieler umarmten sich mitunter sogar am Netz. "Ich verstehe das nicht", schrieb die einstige Weltranglisten-Erste Chris Evert, "kein Sicherheitsabstand, totaler physischer Kontakt, keine Gesichtsmasken, sogar die Fans hatten keine Masken." Die 65-jährige Amerikanerin wunderte sich: "Ich kapiere das nicht, nicht klug ...".

Tennisprofi Tennys Sandgren hatte schon am Montag scherzhaft getwittert, er werde sein Wasser künftig mit positiven Gedanken aufladen, wenn Djokovic nicht erkranken würde - und verspottete den Serben damit wenig subtil. Djokovic hatte mit einem Gespräch mit dem selbsternannten Alchemisten Chervin Jafarieh gesorgt, in dem beide über die Möglichkeit sinnierten, per Gedanken "die giftigste Nahrung oder das am stärksten verschmutzte Wasser in das heilsamste Wasser" zu verwandeln". Nach dem positiven Test Djokovics hatte Sandgren versprochen, seinem Wasser dennoch zu sagen, wie gut es aussehe.

Djokovic selbst kündigte einen weiteren Test in fünf Tagen an, vermied aber nach der heftigen Kritik an laxen Hygienemaßnahmen und Fotos feiernder Tennisprofis mit freiem Oberkörper das klare Eingeständnis eines Fehlers. "Alles, was wir im vergangenen Monat gemacht haben, passierte mit reinem Herzen und ernsthaften Absichten", schrieb er zur Tour, mit der er dank prominenter und weniger prominenter Akteure Spenden sammeln und seinen Kollegen Spielpraxis verschaffen wollte. Es habe alles mit einer philanthropischen Idee begonnen.

Trotz der guten Absicht unterschätzte auch Djokovic bewusst oder unbewusst die Gefahr und betonte zunächst, es sei nicht gegen örtliche Regeln verstoßen worden. Nun erklärte er, das Turnier sei organisiert worden, als sich das Virus abgeschwächt habe und die Bedingungen als gegeben erschienen. "Leider ist das Virus noch da, und leider ist das eine neue Realität, mit der wir immer noch umzugehen und zu leben lernen", schrieb er. In einer verlängerten Botschaft in den Sozialen Medien am Dienstagabend fügte er an: "Es tut mir sehr leid, dass unser Turnier Schaden angerichtet hat. Wir lagen falsch, es war zu früh."

Quelle: ntv.de, ter

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