"Eine halsbrecherische Sache" Reform des Spitzensports bleibt ein Krampf
19.10.2016, 22:16 Uhr
Von der Reform erhoffen sich DOSB und Politik mehr Medaillen bei sportlichen Großereignissen.
(Foto: dpa)
Der deutsche Spitzensport soll international wieder wettbewerbsfähig werden. Die vorgeschlagene Großreform stößt jedoch auf großen Widerstand. Die Verbände knirschen mit den Zähnen, Experten zweifeln und halten den Fokus auf Medaillen für fatal.
Mehr Gegen- als Rückenwind: Die Reform des deutschen Spitzensports sorgt weiter für viele Diskussionen. Bei der öffentlichen Expertenanhörung im Sportausschuss des deutschen Bundestags in Berlin gab es zum Teil deutliche Kritik. Eineinhalb Monate vor der geplanten Verabschiedung gibt es noch viele offene Fragen.
"Die Reform ist einäugig auf Medaillen ausgerichtet. Das finde ich sehr betrüblich. Diese Art von Sport hat in der Bevölkerung wenig Rückhalt. Das sieht man auch an den abgelehnten Olympiabewerbungen", sagte der Sportphilosoph Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin: "Deutschland sollte nicht nur nach Medaillen streben. Wenn man nur auf Medaillen schaut, landet man in einer unangenehmen Nachbarschaft."
Ähnlich äußerte sich auch Frank Hensel, Generaldirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). "Es ist unbestritten, dass Erfolge im Spitzensport gewollt sind, zuallererst von den Athleten. Die Frage ist aber: Was definieren wir als Erfolg? Alleine mehr Medaillen sind aus unserer Sicht nicht ausreichend."
Nur DOSB zeigt sich zufrieden
DOSB-Präsident Alfons Hörmann zog ein positives Fazit. "Unterm Strich war es eine gute, wichtige und wertvolle Diskussion, die sicher auch bei uns bei der einen oder anderen Stelle zum Nachdenken führt", sagte Hörmann: "Ich meine, dass wir nach der heutigen Diskussion - jedenfalls was das Grundsätzliche anbelangt - mit der Unterstützung durch den Sportausschuss rechnen können."
Ebenfalls Kritik gab es an dem neu geplanten "PotAS"-Modell, das aufgrund bestimmter Attribute durch mathematische Berechnungen Potenziale von Disziplinen und Sportlern vorhersagen soll. "Ich sehe da mathematische Probleme. Beste Variable für zukünftigen Erfolg ist aktueller Erfolg", sagte Sport-Ökonom Wolfgang Maennig, selbst 1988 Ruder-Olympiasieger.
"Ich tue mich mit PotAS sehr schwer. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dort die Zukunft und das Potenzial von Athleten berechnet werden soll", sagte Franziska Weber, Kanu-Olympiasiegerin von London. "Das klingt zeitgemäß, aber die Bestimmung von Leistungspotenzial ist eine halsbrecherische Sache", sagte Gebauer. Erfolg von Fördermaßnahmen sei nicht berechenbar, es werde der "Eindruck von Objektivität" erweckt.
Die Reform soll der Sportförderung zu mehr Effizienz und eben dadurch auch auch mehr Medaillen verhelfen. Die entscheidende Neuerung liegt darin, dass nicht mehr die Erfolge bei vergangenen Olympischen Spielen für den Geldfluss an die Verbände entscheidend sind, sondern das Potenzial und die Perspektive, die ein Sportler oder eine Disziplin hat. Dies soll eben mit dem viel diskutierten "PotAS-Modell" errechnet werden.
Zähneknirschen bei den Verbänden
Auch Hörmann gab zu, dass viele Verbände bei der gemeinsamen Sitzung am Dienstag in Frankfurt nur "zähneknirschend" zugestimmt hätten. "2017 und 2018 sind Übergangsjahre. Die PotAS-Kommission hat noch einiges zu tun", sagte Dirk Schimmelpfennig, DOSB-Vorstand Leistungssport.
Am Dienstag hatte der organisierte Sport bei einem Treffen zwischen DOSB, den Spitzensportverbänden und den Landessportbünden offene Fragen geklärt. Allerdings gibt es offenbar noch Dutzende Verbesserungs- beziehungsweise Änderungswünsche. Weitere offene Fragen bestehen auch immer noch am Clustersystem. Die Disziplinen sollen in drei Cluster eingeteilt werden, mit optimaler Förderung in der obersten Klasse, mit wenig bis keinem Geld in der untersten Klasse.
Viele Verbände befürchten Einschnitte in ihren finanziellen Mitteln. "Eine Grundförderung muss immer erhalten bleiben", sagte Maennig, schränkte aber ein: "Das Argument stimmt nicht, dass es mit weniger Geld keinen Erfolg gibt. Wenn wir schlechte Strukturen weiter voll finanzieren, tun wir den Athleten keinen Gefallen."
Weitere Diskussionen folgen: Am 26. Oktober soll es eine Beratungsrunde mit Innenminister Thomas de Maizière geben. Die Reform soll am 3. Dezember auf der Mitgliederversammlung des DOSB in Magdeburg verabschiedet werden. Anschließend soll sie dem Kabinett vorgelegt werden.
Quelle: ntv.de, cwo/sid