
Sechs Siege in sechs Spielen, für die deutschen U21-Handballer könnte die WM im eigenen Land nicht besser laufen. Das liegt auch an Torhüter David Späth, der nicht nur überragend hält, sondern auch das Publikum emotional mitreißt. Für ihn könnte es der zweite Titel der Saison werden.
Die Fans in der Max-Schmeling-Halle waren bereits aufgesprungen, applaudierten und johlten lautstark, aber auf der Platte heizte einer weiter ein: David Späth. Der Torhüter der deutschen Handball-Nationalmannschaft der U21 riss schon in Halbzeit eins im WM-Viertelfinale gegen Dänemark (31:26) mehrfach die Arme erst zum Jubel hoch, dann animierte er mit ausladenden Bewegungen die 3734 Zuschauenden in Berlin zu noch größerer Ekstase. Gerade hatte der 21-Jährige beim Stand von 10:7 einen Siebenmeter den Dänen Hjalte Lyyke pariert, berauschte sich an sich selbst, der Kulisse und der Führung seines Teams.
Er berauschte sich, wie er sich so gerne berauscht. Wie er es bereits beim überraschenden Pokalsieg seiner Rhein-Neckar Löwen getan hatte. Als er zum Final-Helden wurde, als er kurz vor Schluss der Gigant war, der den SC Magdeburg zur Verzweiflung trieb. Späth war in diesem Finale vor gut zwei Monaten erst kurz vor Schluss ins Spiel gekommen und hatte seinen Klub mit einem parierten Siebenmeter gegen Kay Smits nur Sekunden vor dem Ende in die Verlängerung gerettet. Die Emotionen mussten heraus, er sprang, schrie und ballte die Fäuste. Doch dann zurück zur Konzentration, in der Verlängerung hielt er ebenfalls einen Siebenmeter und mehrere freie Würfe, heizte die Stimmung mit seiner explosiven Emotion und seiner Urgewalt beim Jubel immer weiter an und verhalf seinem Team so zum entscheidenden Shootout von der Siebenmeterlinie, bei dem sein Torhüterkollege Joel Birlehm schließlich zum Sieg parierte.
Dass Späth überhaupt Spielminuten bei einem der Top-Teams der Bundesliga erhält, ist schon bemerkenswert. Er konkurriert im Tor der Löwen nicht nur mit DHB-Torhüter Birlehm, sondern auch mit dem schwedischen Routinier Mikael Appelgren. "Dass David in dem Alter so ein Spiel macht, ohne Druck, Hut ab", sagte Birlehm anerkennend nach dem Pokalsieg. "Das kommt nicht von irgendwo, der Junge arbeitet. Er spielt wenig, wenn er spielt, spielt er geil. Einfach Respekt."
Kreuzbandriss schon mit 19 Jahren
In der U21-Nationalmannschaft spielt der 1,97 Meter große Mann regelmäßig, hier ist er der Stammtorhüter, bildet bei dieser WM mit Lasse Ludwig von den Füchsen Berlin ein harmonisches Gespann. Gegen Dänemark ernüchterte Späth in der ersten Halbzeit den dänischen Angriff ein ums andere Mal. Er fing die Bälle, er wehrte sie in bester Andreas-Wolff-Manier mit dem Fuß über dem Kopf ab, er stellte die Hüfte im richtigen Moment raus, während erst Nils Lichtlein drei Tore in Folge zum 3:0-Auftakt warf und dann Kapitän Renars Uscins mit einem Dreierpack zum 9:5 nachlegte. Bis zur Pause wehrte Späth neun Würfe ab, hatte eine Quote von 36 Prozent und war entscheidend an der lockeren 17:11-Führung für das Team von Martin Heuberger, dem Trainer der U21-Auswahl, beteiligt.
Bereits im jungen Alter von gerade einmal 18 Jahren kam Späth in der Saison 2020/21 etwas glücklich zu seinem Debüt in der Bundesliga. Die ersten drei Torhüter der Löwen fielen aus und Späth konnte zeigen, warum er als Ausnahmetalent galt. In 26 Bundesliga-Partien und auch in der European League, die die Löwen als Dritter abschlossen, stand Späth im Tor. Damals übrigens zunächst noch ohne Profi-Vertrag, den er dann im März 2021 erhielt.
Schon als Sechsjähriger begann er in seiner Heimat Kaiserslautern mit dem Handball, wechselte 2018 schließlich nach Mannheim und wurde nur ein Jahr später mit der A-Jugend Deutscher Vizemeister. Nach seinem Aufrücken in die erste Mannschaft musste er zunächst zurück ins zweite Glied, die Stammtorhüter kamen gesund zurück auf die Platte. Der Dämpfer in der noch jungen Karriere Späths kam früh, im November 2021, mit 19-Jahren kollidierte er in einem Drittliga-Spiel bei einer Parade unglücklich mit dem Pfosten und zog sich einen Kreuzbandriss zu. In der gerade abgelaufenen Saison kämpfte er sich zurück, wurde für seine Leistung sogar schon mit einer Einladung zum A-Nationalteam belohnt und krönte die Saison mit dem Pokalsieg. "Ich habe von so einem Spiel geträumt, gerade während des Kreuzbandrisses", sagte er über den bis dato "größten Moment meiner Karriere".
Führung diesmal souverän ins Ziel gebracht
Nun könnte für den Cousin von Model Stefanie Giesinger schon am Sonntag ein noch größerer Moment anstehen - der WM-Titel im eigenen Land. Für den deutschen Nachwuchs wäre es nach 2009 (in Ägypten) und 2011 (in Griechenland) der dritte WM-Triumph. Nach dem Einzug ins Halbfinale sagte Späth: "Wir freuen uns einfach. Das ist eine kleine Last, die abfällt. Ich bin einfach nur glücklich, dass wir unser Spiel auf die Platte bringen konnten." Und weiter: "In den letzten zwei Spielen war es etwas haperig, gegen Ende unnötig spannend", blickte er auf die Partien in der Hauptrunde zurück.
Dort stehen für Deutschland das 30:29 gegen Frankreich sowie das 31:29 gegen Serbien im Protokoll. Beides Partien, in denen das Team deutliche Führungen noch beinahe verspielte. Daher lobte auch U21-Trainer Heuberger: "Die Mannschaft hat eine tolle Entwicklung genommen und aus den Schwächephasen gegen Kroatien und Frankreich gelernt. Wir haben heute deutlich weniger Angriffe zu schnell abgeschlossen, in dem Punkt sehe ich eine deutliche Entwicklung. Wir sind ruhiger geworden, haben gelernt, den Vorsprung zu verwalten."
In der zweiten Halbzeit kamen die Dänen, immerhin der Nachwuchs des Weltmeisters und Olympia-Zweiten, etwas besser ins Spiel, Späth konnte nicht mehr ganz so viel festhalten - die entscheidenden Bälle aber doch. Ganze drei Minuten fiel ab der 50. Minute kein Tor, weil die deutschen Offensiven auf der einen Seite vergaben, Späth aber auf der anderen Seite zur Stelle war, wenn Dänemark auf drei Tore hätte heranrücken können. Der Torhüter war damit maßgeblich am letztlich lockeren 31:26-Sieg beteiligt. "Er hat ein fantastisches Spiel gemacht und mit seinen Paraden die Dänen zur Verzweiflung gebracht", sagte Heuberger am Tag danach: "Es macht einfach Spaß, so einen Spieler auf dem Platz zu haben." Späth selbst hatte trotzdem etwas zu bemängeln: "Ich bin immer sehr selbstkritisch. Ich hätte gerne noch zwei, drei Bälle gehalten, aber ich bin froh, dass wir gewonnen haben. Der Teamerfolg steht über allem", betonte er.
"Wir holen den Titel"
Dass Späth am Ende nicht als "Spieler des Spiels" ausgezeichnet wurde, lag nur an Teamkollege Nils Lichtlein, der mit sieben Toren der beste Torschütze der Partie war und das Spiel in der Anfangsphase dominant eingeleitet hatte. "Gerade kann ich es noch gar nicht in Worte fassen, muss ich sagen. Ausgerechnet im ersten Spiel hier in Berlin 'Man of the Match' zu werden, dann die Dänen rauszuschießen vor so einem Publikum, super", sagte der rechte Rückraumspieler und Neffe des Torwarttrainers des Teams, Carsten Lichtlein. "Ich fühle mich so gut wie noch nie."
Mit drei Siegen gegen die drei europäischen Hochkaräter und insgesamt sechs Siegen in sechs Turnier-Spielen steht Deutschland also im Halbfinale. "Wir holen den Titel, davon bin ich überzeugt", hatte sich Hanning bereits vor dem Viertelfinale festgelegt. Eine hohe Erwartung an das Team, von denen die meisten bereits regelmäßig in der Bundesliga spielen.
Im Halbfinale wartet nun Serbien (18 Uhr/Eurosport), das seinerseits das WM-Überraschungsteam der Färöer-Inseln besiegte. Ein Gegner, vor dem die DHB-Auswahl gewarnt sein dürfte, denn bei der U20-EM im vergangenen Jahr gewann Serbien in der Vorrunde mit 33:30 gegen Deutschland und holte später Bronze. Doch die Deutschen haben den Heimvorteil, sowohl das Halbfinale als auch das Finale finden in Berlin statt: "Die Stimmung trägt uns, ich glaube, das hat uns heute nochmal den Extrakick gegeben", sagte Kreisläufer Christian Wilhelm.
Das "Jahrzehnt des Handballs"
Die Stimmung in den deutschen Hallen, sowohl zum Auftakt in Hannover, als auch in der Zwischenrunde in Magdeburg und jetzt zur Finalrunde in Berlin ist gut. Die Max-Schmeling-Halle ist im Unterrang voll besetzt, anders als bei Bundesliga-Spielen der Füchse am selben Ort gibt es keine Klatschpappen für die Fans, das Dauerrauschen wird ersetzt vom unermüdlichen Klatschen mit den Händen und Anfeuerungsrufen.
Für den Deutschen Handball-Bund ist die WM der Auftakt in das ausgerufene "Jahrzehnt des Handballs". Im kommenden Jahr steigt die Männer-EM in Deutschland, 2025 folgt die WM der Frauen in Deutschland und den Niederlanden, wieder zwei Jahre darauf ist Deutschland Austragungsland der WM der Männer. "Es ist wichtig, dass wir sportlich erfolgreich sind, um eine Euphorie zu entfachen", sagte DHB-Vorstandschef Mark Schober.
Die Stimmung auf der Tribüne vermischt sich mit der Laune des Teams. Schon seit der WM-Vorbereitung betonen alle den guten Zusammenhalt. So auch Späth: "Ich bin so stolz auf das Team, es sind harte Wochen, aber dass wir trotzdem die Energie aufbringen und voller Fokus da sind. Wir freuen uns auf die hoffentlich letzten zwei Spiele." Das Ziel ist das Finale. Ach was, das Ziel ist der Pokal, der Weltmeister-Titel im eigenen Land.
Quelle: ntv.de