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Zu alt? Zu scheu? Verzweifeltes DSV-Team stürzt sich ins Streif-"Inferno"

Thomas Dreßen trainierte nur einmal auf der legendären Streif.

Thomas Dreßen trainierte nur einmal auf der legendären Streif.

(Foto: IMAGO/Robert Szaniszlo)

In Wengen kämpfte Thomas Dreßen mit den Tränen. In Kitzbühel macht er erst einen ordentlichen Eindruck - und fehlt dann im zweiten Training. So oder so sind die Deutschen aber nur Außenseiter. Der Alpinchef hadert und sucht nach den Gründen für die Misere.

Es ist die berühmteste und legendärste Abfahrt der Welt. Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Stunde, Sprünge über rund 80 Meter, eine maximale Hangneigung von 85 Prozent. Die Streif verlangt den alpinen Ski-Assen alles ab. Der Schweizer Rekordsieger Didier Cuche (fünf Erfolge) beschrieb die knapp zwei Minuten über das donnernde Eis vor einigen Jahren gegenüber der "WAZ" so: Es sei "ein Ritt durchs Inferno". Wer in Form ist, dem taugt das Rennen. Wer nicht, der bekommt Probleme.

Und wer Thomas Dreßen nach dem Rennen in Wengen am vergangenen Samstag mit den Tränen kämpfen sah, dürfte daran gezweifelt haben, dass er diese Woche in Kitzbühel dabei ist. Doch da ist er. Angeschlagen, rätselnd - und mit Hoffnungen. Der 30-Jährige steht sinnbildlich für die große Leiden der deutschen Alpin-Athleten. Bei der großen Ski-Sause, zu der wieder zigtausend Fans und viele Prominente wie die österreichische Hollywood-Legende Arnold Schwarzenegger oder Sänger Andreas Gabalier erwartet werden, haben sie Nebenrollen.

"Ich habe mir das alles angeschaut"

Aber aus diesen wollen sie unbedingt raus. Nur wie? Das zweite Training ließ Dreßen aus. "DNS" stand hinter seinem Namen, "did not start". Sein ramponiertes rechtes Knie hatte er bereits am Dienstag bei der ersten Probefahrt getestet. Weil am Freitag und Samstag (jeweils 11.30 Uhr/ARD und Eurosport) gleich zwei Abfahrten auf der legendären Streif stattfinden, wollte er nichts riskieren. "Ich möchte mein Knie schonen, ich habe mir gestern alles angeschaut und weiß, wo die Kriterien liegen", sagte er.

Nach seinem emotionalen Ausbruch am vergangenen Samstag in Wengen, bei dem er ob seiner körperlichen Probleme geradezu verzweifelt wirkte, scheint der 31-Jährige gewillt, sich auf die Streif zu stürzen - sechs Jahre nach seinem sensationellen Sieg an gleicher Stelle. "Das Knie hat sich gut angefühlt. Es war eine kontrollierte Fahrt von mir, ich habe mir das alles angeschaut und in der einen oder anderen Passage bewusst ein bisschen Luft gelassen", sagte er zu seiner Fahrt am Dienstag.

"Wir hatten immer mal einen Durchhänger, aber ..."

Dreßens rechtes Knie ist eine allzu große, allerdings nicht die einzige Baustelle in einer Mannschaft, die den besten deutschen Abfahrer der Weltcup-Geschichte gesund und in guter Form dringend brauchen könnte. Ein neunter Rang von Romed Baumann Mitte Dezember in Gröden - mehr haben die noch vor zwei Jahren so starken deutschen Schnellfahrer bislang nicht zustande gebracht in diesem Winter.

Alpinchef Wolfgang Maier zieht vor dem Saisonhöhepunkt deshalb ein ernüchtertes Zwischenfazit in der einstigen Vorzeigesparte. Die bisherigen Saisonleistungen in der Königsdisziplin seien "mehr als enttäuschend", sagte er dem Sportinformationsdienst: "Wir hatten immer wieder mal einen Durchhänger, aber dass wir kollektiv so hinterherfahren - ich weiß nicht, wann das in meiner langen Zeit mal der Fall war." Einen "beachtlichen Leistungsrückgang" habe es in den vergangenen Rennen gegeben, sagte er der Deutschen Presseagentur. Dem Team mangelt es augenscheinlich an Selbstvertrauen. "Sie fahren nicht überzeugt."

"Sind wir zu alt?"

Über die Gründe für die Misere rätselt der erfahrene Maier. "Sind wir zu alt? Sind wir noch bereit, dieses Risiko einzugehen, das gefordert ist? Sind wir noch bereit, so zu fahren, wie man es tun muss, um erfolgreich zu sein?" Schnelle Lösungen gibt es nicht, als umso bitterer empfindet Maier deshalb die anhaltenden Probleme von Dreßen. "Wir kriegen es leider nicht in den Griff", sagte er, "dabei bräuchten wir einen Leader wie den Tom."

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Nicht zuletzt Baumann ist gewillt, den Trend umzukehren - wenn auch ausgerechnet auf der Streif. "Der Plan war, dass ich hier einen Schlussstrich ziehe und mich von der ersten Fahrt wieder aufs Wesentliche konzentriere", sagte Baumann, "im ersten Training ist es mir ganz gut gelungen." Bei besagter erster Fahrt kam er als Zehnter ins Ziel, bei der zweiten nur als 47., aber "da bin ich ein bisschen ausgerutscht", sagte er. Auch Andreas Sander, vor drei Jahren WM-Zweiter, wünscht sich nichts sehnlicher als einen Neustart. Nach seinem zwölften Rang im zweiten Training, das zugleich das letzte war, sagte er: "Man hofft. Aber Hoffen hilft momentan nicht. Das reicht nicht." Sander will bis Freitag noch am Material tüfteln, "aber das", gibt er zu, "ist nicht mein Problem." Sondern? "Das Selbstvertrauen stimmt nicht." Ein Coup auf der Streif käme da gerade recht.

Die Favoriten sind aber andere. Der zweimalige Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt etwa. Der Schweizer Überflieger steht schon bei sieben Saisonsiegen, in Wengen feierte er zuletzt seine ersten Weltcup-Erfolge in der Abfahrt. Auch Ex-Weltmeister Vincent Kriechmayr bei seinem Heimspiel oder der formstarke Franzose Cyprien Sarrazin dürften sich - erst recht nach dem verletzungsbedingten Ausfall des norwegischen Speed-Dominators Aleksander Aamodt Kilde - etwas ausrechnen.

Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid

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