Dopingskandal in der Leichtathletik Wada-Report sieht Totalversagen der IAAF
14.01.2016, 15:10 Uhr
IAAF-Präsident Sebastian Coe war bei der Präsentation des zweiten Wada-Berichts in München vor Ort.
(Foto: REUTERS)
Ernsthaften Kampf gegen Doping in der Leichtathletik? Gab es bis 2015 im Weltverband IAAF nicht. Das steht im zweiten Wada-Report zum Korruptions-Skandal, in den auch Wladimir Putin soll involviert gewesen sein. Für IAAF-Boss Coe gibt es dubiose Rückendeckung.
Das Urteil ist vernichtend: Ein komplettes Versagen attestiert die unabhängige Ermittlergruppe der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada dem Leichtathletik-Weltverband IAAF im Kampf gegen Doping und Korruption unter Ex-Präsident Lamine Diack. Der 82-jährige Senegalese, von 1999 bis 2015 im Amt, sei Hauptverantwortlicher für die "Organisation und Ermöglichung der Verschwörung" gewesen. Unter seiner Präsidentschaft habe es über Jahre vertuschte oder manipulierte Dopingproben, Erpressung von positiv getesteten Sportlern und Machtmissbrauch gegeben, heißt es im zweiten Untersuchungsbericht zum Leichtathletik-Skandal.

Lamine Diack installierte als Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes ein hochkorruptes System, mit dem der Dopingkampf systematisch unterlaufen wurde.
(Foto: dpa)
Der Bericht wurde im Münchner Vorort Unterschleißheim vorgestellt. Anwesend war dabei auch der im August 2015 gewählte IAAF-Präsident Sebastian Coe, der mit seinem Verband vor einem Scherbenhaufen steht. Persönlich wird er durch die neuen Erkenntnisse zwar nicht belastet. Allerdings bezeichnet es die aus Richard Pound, Richard McLaren und Günter Younger bestehende Kommission in ihrem 89-seitigen Bericht als schlicht unmöglich, dass niemand im IAAF-Council über Jahre nichts von den korrupten Machenschaften um Diack mitbekommen habe. Das Gremium habe Diacks "Vetternwirtschaft" geduldet, urteilen die Ermittler.
Coe gehörte dem IAAF-Council seit 2003 an und war von 2007 bis 2015 Vizepräsident. Dennoch hat er stets erklärt, von Diacks korrupten Machenschaften nichts gewusst zu haben. Die Frage, ob er Coe für einen Lügner halte, verneinte Chefermittler Pound: "Meine Auffassung ist die: Wenn er von der Korruption gewusst hätte, hätte er etwas dagegen getan." Der Kanadier stärkte dem IAAF-Präsidenten zur Überraschung vieler Experten sogar den Rücken. "Ich kann mir keinen Besseren als Lord Coe vorstellen, der das leitet. Wir drücken in dieser Hinsicht alle unsere Daumen", sagte der Kanadier in München. Coe eröffne dem Weltverband mit seinen Fähigkeiten die Chance, "unter starker Führung" den Weg in die Zukunft zu gehen. Der Skandal biete die "fantastische Chance" den Sport nun zu säubern.
Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verband DLV, zeigte sich über Pounds Äußerungen verwundert. "Es beißt sich, dass im Bericht gesagt wurde, dass Council wusste es - dann aber Herr Pound auf der Pressekonferenz erklärt, dass er Coe vertraut", sagte der Jurist: "Da ist mir nicht ganz klar, wie ich das bewerten soll."
Dem Leichtathletik-Weltverband insgesamt attestieren die Wada-Ermittler auf Basis der neuen Erkenntnisse in Diacks Amtszeit den "kompletten Zusammenbruch der Führungsstrukturen und das Fehlen von Verantwortlichkeit innerhalb der IAAF". Es habe einen "gravierenden Mangel an politischem Appetit" gegeben, Russland mit "dem vollen Ausmaß seiner bekannten und befürchteten Dopingaktivitäten zu konfrontieren". Auch auf Korruption habe die Führung des Weltverbandes "unzulänglich" reagiert.
Organisationell verankerte Korruption
Die Kommission betonte weiterhin, dass für die Missstände nicht "eine kleine Anzahl von Schurken" verantwortlich gemacht werden könne. "Die Korruption war in der Organisation verankert", betonen die Ermittler vielmehr. Die skandalösen Zustände, die sich über mehrere Jahre erstrecken, könnten "nicht als Handlung eines merkwürdigen Abtrünnigen, der auf eigene Faust gehandelt habe, ignoriert oder abgetan werden".
Helmut Digel, ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und von 1995 bis 2015 Mitglied im IAAF-Council, wies den Vorwurf der organisierten Korruption zurück. "Das ist nicht akzeptabel", sagte Digel: "Ich habe von diesen Vorgängen zu keinem Zeitpunkt etwas gewusst." Er habe sich immer wieder "mit Herrn Diack angelegt". Aber Präsidenten hätten in der Strukturen der Verbände eine nahezu "uneingeschränkte Macht", gegen die es nicht so einfach ist, "vorzugehen". Digel hätte sich "niemals vorstellen können, dass es solche Ausmaße der Korruption innerhalb der IAAF geben könnte".
Der aktuelle DLV-Präsident Prokop kündigte als Reaktion auf die neuen Erkenntnisse die Einberufung eines außerordentlichen IAAF-Kongresses an: "Die Vorwürfe gegen die IAAF sind so schwerwiegend, dass sie auf einer Versammlung aller Mitglieder beraten werden muss." Der Antrag solle am Freitag auf den Weg gebracht werden.
Glaubwürdigkeit am Boden
Die Glaubwürdigkeit der IAAF im Anti-Doping-Kampf liegt nach den neuesten Enthüllungen der Wada-Kommission damit mehr denn je am Boden. Vor der WM in Moskau hätten russische Athleten gesperrt werden müssen, doch hochrangige IAAF-Funktionäre taten offenbar nichts. Dies soll im Zusammenhang mit dem Abschluss eines TV-Vertrages für die Titelkämpfe gestanden haben.
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte dabei offenbar seine Finger im Spiel. So soll der ehemalige IAAF-Präsident Lamine Diack im Vorfeld der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau das Gespräch mit Putin gesucht haben, um mit ihm die Problematik von neun des Dopings verdächtigen russischen Athleten zu lösen. Ob es zu einem Deal kam, ist offen. Schlussendlich, so der Bericht, sei keiner der verdächtigen Sportler in Moskau an den Start gegangen.
Neben korrupten Praktiken einer Funktionärsclique um Diack fanden die Ermittler auch Hinweise, dass die Führung des Weltverbandes auch "unzulänglich" auf andere Korrruptionsauswüchse reagiert habe. Es gebe Gründe zu der Annahme, dass hochrangige IAAF-Offizielle von Entscheidungen profitiert haben, Weltmeisterschaften an bestimmte Städte oder Länder zu vergeben.
Die Korruption habe auch Olympische Spiele betroffen: Aus Mitschriften gehe hervor, dass die Türkei die Unterstützung von Lamine Diack im Bewerbungsprozess um die Olympischen Spiele 2020 verloren habe. Die Türkei sei nicht bereit gewesen, einen entsprechenden Sponsorenbetrag "von 4 bis 5 Millionen Dollar" für die Diamond League oder die IAAF zu überweisen. Japan habe diese Summe laut Gesprächsprotokoll dann gezahlt - Tokio erhielt den Zuschlag für die Sommerspiele 2020.
Im ersten Teil des Untersuchungsberichts hatten Pound & Co. massive Dopingverfehlungen in der russischen Leichtathletik festgestellt, die zum Teil gegen Geldzahlungen von der IAAF-Spitze um Diack vertuscht wurden. Unter anderem wurde daraufhin der russische Verband ARAF aus der IAAF ausgeschlossen. Den russischen Leichtathleten droht damit das Aus für Olympia in Rio.
Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid