
Große Bewunderung: Michael Schumacher und Lewis Hamilton bei einer Pressekonferenz im Jahr 2010.
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Nach mehr als 25 Jahren bei Mercedes wagt Lewis Hamilton den Neuanfang. Zur neuen Formel-1-Saison wechselt der Rekordweltmeister zu Ferrari, erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Und jagt einen Triumph, den er eigentlich längst sicher geglaubt hatte.
"Jeder ist Fan von Ferrari. Auch wenn er etwas anderes sagt: Jeder ist Fan von Ferrari." Sebastian Vettel sagt diese Sätze, die längst zur Ikone geworden sind, im Jahr 2016. Die Formel 1 gastiert da gerade in Kanada und Vettel spricht mit einer Journalistin, die ihm zuvor offenbart hat, kein Fan von Ferrari zu sein. Der vierfache Weltmeister erwidert mit "Everybody is a Ferrari fan", selbst beim damals größten Rivalen der Scuderia: "Du kannst zu Mercedes gehen und sie sagen dir, dass Mercedes die großartigste Marke der Welt ist - und trotzdem sind sie Ferrari-Fans."
Diese Sätze sind seitdem tausendfach zitiert und verbreitet worden. Weil Vettel darin so kompakt wie perfekt die Faszination Ferrari zusammenfasst, der sich in der Formel 1 niemand entziehen kann. Nicht einmal bei Mercedes, dem Team, das über Jahre alles dominiert. Allen voran Lewis Hamilton gewinnt mit den Silbernen alles. Bei 104 Pole-Positions, 105 Grand-Prix-Siegen und 5486 Führungsrunden ist der Brite inzwischen angekommen, es sind nur drei der Rekorde, die er seit seinem Debüt 2007 aufgestellt hat. Immer angetrieben von Mercedes-Power. Als Super-Rookie steigt er bei McLaren-Mercedes ein, wird 2008 erstmals Weltmeister, krönt sich später im Werksteam sechs weitere Male.
Für viele ist Hamilton deshalb der G.O.A.T., der Greatest Of All Time, der Größte aller Zeiten. Als McLaren-Mercedes ihn 1998 ins Nachwuchsprogramm aufgenommen hat, dürfte kaum jemand geahnt haben, wozu der Junge aus Stevenage nördlich von London später einmal fähig sein würde. Das Rennfahrertalent träumt damals jedoch nicht vom ikonischen Mercedes-Stern, sondern vom noch etwas ikonischeren cavallino rampante, vom sich aufbäumenden Pferd. Auch der junge Lewis Hamilton ist ein Ferrari-Fan. Einer, der jetzt, im Jahr 2025, die Chance hat, sich "einen Kindheitstraum zu erfüllen", wie er selbst sagt: für die legendäre Scuderia in der Formel 1 anzutreten.
Schumachers "Rekorde sind da, um gebrochen zu werden"
"Die härteste Entscheidung, die ich je treffen musste", ist dabei keine gegen Mercedes, sondern eine für Ferrari. Hamilton tauscht Brackley und England ein gegen Italien, er folgt wie so viele vor ihm dem Ruf aus Maranello. Diese kleine Stadt mit nicht einmal 20.000 Einwohnern im Norden Italiens, in der jedes Mal die Kirchenglocken läuten, wenn Ferrari einen Formel-1-Sieg feiert. "Ich hatte das Gefühl, dass es Zeit wird, ein neues Kapitel zu schreiben", erklärt Hamilton seinen Entschluss, ab 2025 in Rot anzutreten.
Er tritt damit in die Fußstapfen von Michael Schumacher, der (ganz besonders in Maranello) überlebensgroße Held der 1990er- und 2000er-Jahre. Der Kerpener, der seine Heimatstadt so berühmt gemacht hat wie sonst wohl nur der auf ewig 17-jährige Leimener Boris Becker, führt Ferrari zurück an die Spitze und gewinnt im Oktober 2000 die erste Fahrerweltmeisterschaft seit 21 Jahren. Auch in den vier Jahren danach rast der Deutsche allen davon, seine Rekorde gelten lange als unerreichbar.
Schumacher indes ist schon 2008 überzeugt, dass seine Bestmarken nicht für die Ewigkeit sind. "Rekorde sind da, um gebrochen zu werden", sagt er damals der BBC und verrät auch, ob er einem aufstrebenden britischen Piloten zutraut, dies zu schaffen. "Ich würde sagen: definitiv ja." Wenige Stunden später fährt Lewis Hamilton in einem der dramatischsten Saisonfinals dank eines Überholmanövers in der letzten Kurve seinen ersten WM-Titel ein.
Eine Prophezeiung, die eintritt, in vielen Kategorien ist Hamilton seitdem an Schumacher vorbeigezogen. Den wichtigsten Titel aber teilen sich die beiden, gemeinsam sind sie die Rekordweltmeister. Schumacher schließt 2002 zum legendären Juan Manuel Fangio auf, setzt sich im Jahr darauf erneut die Krone auf und gewinnt 2004 mit zwölf Siegen in den ersten dreizehn Rennen seinen siebten und letzten Titel.
Aus der Wunschvorstellung wird Realität
In der Ära, die Schumacher und Ferrari prägen, entsteht auch Lewis Hamiltons Faszination für die Scuderia. "Wir haben alle damals in der Garage gesessen", erklärt der Brite stellvertretend für seine Generation an Nachwuchsfahrern zu jener Zeit, und Schumacher "im roten Cockpit gesehen und uns vorgestellt, wie es wäre, von diesem Rot umgeben zu sein." Mit dem Controller und im Videospiel verschafft sich Hamilton einen ersten zumindest virtuellen Eindruck, wie sich das einmal anfühlen könnte.
Welche Aura Ferrari und seinen Superstar damals umgibt, zeigt Hamiltons Schilderung von Testfahrten im Jahr 2006. Der McLaren-Junior darf einige Monate vor seinem Formel-1-Debüt schon einige Runden drehen - und begegnet dabei Schumacher auf der Strecke. "Ich habe nicht mal versucht, ihn zu überholen, ich bin einfach nur hinter ihm hergefahren", erzählt Hamilton, und zwar "weil ich direkt davor noch als Michael Schumacher in meinem Computerspiel unterwegs war." Der Wechsel zu Ferrari ist somit "ohne jeden Zweifel ein Traum und ich freue mich wirklich sehr darauf".
Fast schon ehrfürchtig beschreibt Hamilton seine Eindrücke von den Rennwochenenden in Monza: "Du fährst zum Großen Preis von Italien und du siehst dieses rote Meer aus Ferrari-Fans und dir bleibt kaum etwas anderes übrig, als innezuhalten und das zu bewundern." Zwar hat er in silbernen Boliden dort schon fünfmal gewonnen, ein Heimsieg für die Scuderia würde all diese Triumphe in den Schatten stellen.
Zur Wahrheit gehört indes auch, dass Hamilton sicher nicht nur aus sentimentalen Gründen von Silber auf Rot umschwenkt. Seit der Brite 2020 erst in Portugal Schumachers Rekord von 91 Siegen übertroffen und dann in der Türkei seinen siebten WM-Titel gefeiert hat, haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. 2021 sammeln die Silbernen noch fast 300 Punkte mehr als die Roten, 2022 und 2023 sind beide Teams annähernd gleichauf, 2024 enteilt Ferrari.
"Die Meisterschaft zurückholen, die mir weggenommen wurde"
Fast 200 Punkte mehr fährt die Scuderia in der vergangenen Saison ein. Ferrari kämpft bis zum letzten Rennen um die Konstrukteurs-WM, während Mercedes als Vierter so schlecht abschneidet wie zuletzt 2012. Hamilton ist die Frustration über diese Entwicklung immer wieder anzumerken. Statt Jubel überträgt der Boxenfunk immer häufiger Verärgerung und Resignation aus dem Cockpit der Startnummer 44. Auch, weil nicht nur beide Ferraris oftmals vor ihm platziert sind, sondern auch Mercedes-Teamkollege George Russell besser abschneidet.
Für sein letztes großes Ziel geht Hamilton deshalb neue Wege, ohne die Brücken hinter sich abzureißen. "Ich habe das Gefühl, eine harmonische Partnerschaft zu beenden", wird er im Buch "Inside Mercedes F1" von Matt Whyman zitiert: Die Liebe sei noch da, er glaube weiter an das Team. "Ich gehe nur für mich selbst." Um doch noch die achte Weltmeisterschaft zu gewinnen, die ihm im skandalösen Finale der Saison 2021 in der letzten Runde entrissen worden war.
"Ich muss mir diese Meisterschaft zurückholen, die mir weggenommen wurde. Ich muss sie haben", sagt er dazu eindrücklich in der Netflix-Serie "Drive to Survive", die die Formel 1 seit Jahren begleitet. Im abschließenden Rennen jener Saison 2021 versucht Hamilton auf den letzten Kilometern vergeblich, den mit frischeren Reifen ausgestatteten Max Verstappen hinter sich zu halten, nachdem Rennleiter Michael Masi in der Safety-Car-Phase nur jene bereits überrundeten Autos nach vorne schickt, die auf der Strecke zwischen den bis dahin punktgleichen WM-Rivalen liegen.
Auf Schumachers Spuren - oder so wie Alonso und Vettel?
Der Schmerz dieser Niederlage treibt Hamilton an, in seiner 19. Formel-1-Saison ganz neu anzufangen. Dem Magazin "GQ" stellt er die rhetorische Frage, ob er in jenem Grand Prix beraubt wurde und gibt die Antwort gleich selbst: "Offensichtlich. Ich meine, ihr kennt die Geschichte." In einem Abschiedspost bei Instagram bedankt er sich bei Mercedes und all den Mitarbeitenden, denen er "nicht genug danken kann" und resümiert: "Das war mein Zuhause."
Nun aber packt Hamilton seinen Koffer, um nach Italien weiterzuziehen. Am 7. Januar wird er 40 Jahre alt, es ist sein erster Geburtstag als Ferrari-Fahrer. Beim Saisonauftakt im März in Australien wird der Brite in seinem 357. Formel-1-Rennen erstmals ohne Mercedes-Motor in die Startaufstellung rollen.
In der Hoffnung, sich mit dem ersten Fahrertitel für Ferrari seit Kimi Räikkönen 2007 in Maranello unsterblich zu machen. Um die Prophezeiung Schumachers zu erfüllen. Mit dem Traum, wie der Kerpener eine Ära in Rot zu prägen. Und insgeheim sicher auch mit der Sorge, wie Fernando Alonso und Sebastian Vettel als Ex-Weltmeister zu Ferrari zu kommen und daran zu scheitern, die Scuderia dorthin zu führen, wo sie ihrem Selbstverständnis nach jederzeit hingehört: an die Spitze.
Quelle: ntv.de