Reiter findet es "beschämend" Die UEFA entfacht bunte Wut
22.06.2021, 13:57 Uhr
Das Kölner Stadion soll auch am Mittwoch wieder in Regenbogen-Farben erstrahlen.
(Foto: imago images/Revierfoto)
Kein Regenbogen an der EM-Arena in München. Diese Entscheidung der UEFA sorgt für heftigen Gegenwind. Andere Stadien wollen vertretungsweise leuchten, Politiker finden deutliche Worte der Kritik - und selbst beim Spiel der Deutschen gegen Ungarn am Mittwoch soll es bunt werden.
Die Botschaft von Gary Lineker an die Elektrotechniker der Münchner EM-Arena war eindeutig: "Macht es trotzdem - die können uns mal", twitterte die englische Ikone als Reaktion auf die Entscheidung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in der Regenbogen-Frage. Und nicht nur Lineker machte seinem Unmut Luft. Der UEFA schwappte eine Protestwelle entgegen, der Verband sieht sich mal wieder massivster Kritik ausgesetzt.
Zuvor hatte die UEFA erklärt, dass das Stadion während des letzten Vorrundenspiels der deutschen Nationalmannschaft am Mittwoch gegen Ungarn (21 Uhr/ZDF, MagentaTV sowie im ntv.de-Liveticker) nicht in Regenbogenfarben erstrahlen darf. Genau das hatte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zuvor im Namen des Stadtrats gefordert, um "ein Zeichen im Sinne der Weltoffenheit und Toleranz" zu setzen.
Die Münchner wurden in ihrer Forderung unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, deutschen Nationalspielern und dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) unterstützt - ohne Erfolg. Mit knapp 300 Wörtern beschrieb die UEFA ausführlich ihren Kampf gegen "Rassismus, Homophobie, Sexismus und alle Formen der Diskriminierung" - um das Anliegen dann dennoch abzulehnen.
Die UEFA sei "aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale" Organisation, hieß es vom Verband: "Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage - eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt - muss die UEFA diese Anfrage ablehnen". DFB-Interimspräsident Rainer Koch nahm die UEFA in Schutz: "Da die Beleuchtung vom Münchner Stadtrat als eine gezielte Aktion gegen die Entscheidung des ungarischen Parlaments begründet worden ist, handelt es sich nicht mehr um ein bloßes Statement im gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung, sondern um eine politische Aktion", schrieb er bei Facebook.
Stattdessen schlug die UEFA andere Termine für die Regenbogen-Beleuchtung vor. Entweder am 28. Juni - dem Christopher Street Liberation Day - oder zwischen dem 3. und 9. Juli, der Christopher Street Day Woche in München, mit den Regenbogenfarben zu beleuchten. Das letzte EM-Spiel in München findet am 2. Juli statt.
Reiter fand klare Worte: "Ich finde es beschämend, dass die UEFA uns verbietet, ein Zeichen für Vielfalt, Toleranz, Respekt und Solidarität zu setzen", sagte der Oberbürgermeister und ergänzte: "Ich bin auch enttäuscht vom DFB, der trotz der überragenden Zustimmung aus der ganzen Republik sich nicht in der Lage sehen wollte, das Ergebnis zu beeinflussen."
Andere Stadien bekennen Farbe
Nun wird am Mittwoch wohl ganz Deutschland bunt. Als Reaktion auf das UEFA-Verbot wollen Verantwortliche aus der Bundesliga ihre Stadien in Regenbogenfarben leuchten lassen. "Wenn München am Mittwoch nicht darf, dann müssen eben die anderen Stadien im Land Farbe bekennen. Auf jetzt, Kollegen in der Liga", twitterte Eintracht Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann schon vor der finalen Entscheidung der UEFA. Der Klub-Boss kündigte an: "Der Deutsche Bank Park schaltet zum Spiel gegen Ungarn den Regenbogen an. Das Waldstadion bleibt bunt." Ähnliches ist für das Kölner Bundesliga-Stadion geplant. "Wir begrüßen das sehr. Köln und der FC stehen für Vielfalt und Toleranz", äußerte Geschäftsführer Alexander Wehrle: "Die Entwicklungen in Ungarn sind erschreckend - umso wichtiger ist es, ein Zeichen dagegenzusetzen."
Auch das Berliner Olympiastadion wird in Regenbogenfarben erstrahlen. "Wir machen da gerne mit, weil wir uns für Toleranz und Menschenrechte einsetzen", sagte Christoph Meyer, Sprecher der Olympiastadion GmbH, der "Berliner Zeitung". "Die Entscheidung fiel uns leicht", sagte Meyer. "Wenn es um Toleranz und Menschenrechte geht, sind wir dabei - morgen, ab 21 Uhr", war wenig später auf dem Twitter-Kanal des Olympiastadions zu lesen. Auch die Stadt Dortmund gab bekannt, dass verschiedene Gebäude der Stadt leuchten werden, etwa der Florianturm, das Dortmunder U und das Deutsche Fußballmuseum.
11.000 Fahnen für Stadiongäste
Selbst in der Münchner Arena soll es trotz der UEFA-Entscheidung bunt zugehen. Der Dachverband der deutschen Christopher Street Days (CSD) wird mit Partnern wie Amnesty International den Fans 11.000 Fahnen zur Verfügung stellen. "Zeigen wir den LGBTIQ* in Ungarn, dass sie nicht alleine sind", hieß es in einer Erklärung: "Doch zeigen wir auch aller Welt, dass Menschenrechte für alle Menschen zu gelten haben." In München wird das Olympiastadion angestrahlt werden.
Politiker nahezu aller Parteien äußerten ihr Missfallen über die UEFA. Bayerns Ministerpräsident Söder etwa: "Schade, dass die Münchner Arena nicht in Regenbogenfarben leuchten darf. Das wäre ein sehr gutes Zeichen für Toleranz und Freiheit gewesen", schrieb der CSU-Politiker bei Twitter. "Wir müssen uns stark machen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung".
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt distanzierte sich. Er hätte sich den Entscheid gut anders vorstellen können - auch "deswegen, weil ich empört darüber bin, was da wieder für eine Diskussion in Deutschland von Teilen der AfD losgetreten wird", sagte der Parteikollege Söders. Eine andere Entscheidung wäre "auch ein Signal gegen vollkommen beschämende und unanständige Wortmeldungen von AfD-Vertretern bezüglich der Regenbogenfarben" gewesen, sagte Dobrindt mit Blick auf Kritik aus den Reihen der Rechtspopulisten an der Regenbogen-Kapitänsbinde von Fußball-Nationaltorwart Manuel Neuer. Gegen solche Tendenzen müsse klar Flagge gezeigt werden, sagte Dobrindt mit Blick auf die AfD.
Die Grünen riefen ebenfalls dazu auf, Regenbogenflagge zu zeigen. "Für Toleranz. Gegen Homofeindlichkeit. Nicht nur, wenn es um Fußball geht. Lasst uns ein starkes Zeichen der Vielfalt setzen und den Regenbogen durchs Land tragen", so Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erklärte: "Menschenrechte gelten für alle Menschen, überall. Auch im Stadion. Flagge können wir morgen trotzdem zeigen. Im Stadion oder eben am Balkon." Die Linke schrieb auf ihrem Twitter-Account: "Wer bei Menschenrechten von Neutralität spricht, hat nichts verstanden." Auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Marco Buschmann, bedauerte die Entscheidung. "Die #Regenbogenfarben stehen für Selbstbestimmung, Toleranz, Weltoffenheit, Freiheit", schrieb er.
"Befremdlich, wie die UEFA mit Werten umgeht"
Damit erreicht der Stadtrat offensichtlich noch viel mehr als ursprünglich gedacht. Der Protest, der sich gegen die Politik der rechtsnationalen Regierung Ungarns unter Ministerpräsident Viktor Orban und deren Gesetz gegen "Werbung" für Homosexualität richtet, erreicht ungeahnte Ausmaße.
Wie sehr dies der ungarischen Regierung missfallen dürfte, wurde erneut deutlich. "Gott sei Dank herrscht in den Kreisen der europäischen Fußballführung noch der gesunde Menschenverstand und man hat die politische Provokation nicht mitgespielt", sagte Außenminister Peter Szijjarto.
Nun sieht es allerdings so aus, als hätten sich die UEFA und Ungarn isoliert. Das zeigt auch die Reaktion aus Frankreich. So bedauerte der französische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Clement Beaune, das UEFA-Verbot. "Ich denke, es wäre ein sehr starkes Symbol gewesen", sagte er: "Wir sind jenseits einer politischen Botschaft, es ist eine Botschaft tiefer Werte." Frankreichs Fußballstar Antoine Griezmann twitterte ein Foto von der Münchner Arena in Regenbogenfarben - ebenfalls ein Ausdruck seiner Ablehnung gegen die UEFA-Entscheidung.
Ähnlich sieht es auch der LSVD. "Wir als Verband finden es sehr befremdlich, wie die UEFA mit Werten umgeht, die in der Gesellschaft allgemein akzeptiert werden sollten", sagte LSVD-Sprecher Markus Ulrich dem SID: "Die UEFA hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt - und es ist klar zu erkennen, auf welche Seite sie sich mit ihrer Entscheidung stellt."
Für Lineker wäre Münchner Ungehorsam die richtige Antwort: "Macht es, München. Macht es. Macht ein Licht, das die ganze Welt sehen kann." Das fordert auch eine Online-Petition, die bis zum Dienstagmittag mehr als 153.000 Menschen unterzeichnet haben.
Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa