EM-Held Povlsen im Interview Gibt's die nächste Dänen-Sensation gegen Deutschland?
28.06.2024, 14:47 Uhr
Oh weh?
(Foto: dpa)
Erst vier Pflichtspiele haben das DFB-Team und Dänemark absolviert. Im Achtelfinale der Fußball-EM 2024 kommt es zum fünften Aufeinandertreffen. Die Rollen sind klar verteilt: Deutschland ist der Favorit. Aber das waren sie schon einmal und gingen am Ende ziemlich blamiert vom Platz. 1992 war das, damals feierten die dänischen Urlaubskicker eine der größten Sensationen der Turniergeschichte. Einer, der damals für Dänemark auf dem Platz stand, ist Stürmer Flemming Povlsen, der in der Bundesliga für Borussia Dortmund und den 1. FC Köln spielte. Im Interview mit ntv.de verrät der mittlerweile 57-Jährige, der als TV-Experte arbeitet, wovor Dänemark sich am meisten fürchten muss und warum ein Startelf-Einsatz von Niclas Füllkrug keine gute Idee fürs DFB-Team wäre.
ntv.de: Hallo Herr Povlsen, schon aufgeregt wegen der Rückkehr ins alte Wohnzimmer Westfalenstadion?
Flemming Povlsen: Das wird leider nichts. Ein anderer TV-Sender überträgt das Spiel. Ich bin bei Italien gegen die Schweiz im Einsatz. Ich wäre natürlich lieber in Dortmund, das wäre klasse gewesen. Aber so ist das Leben. Ich habe gute Erinnerungen an Dortmund und hoffe, dass die Dänen das nach dem Spiel am Samstag auch haben!
Das Westfalenstadion kann ja immer zu einem Faktor werden. Was macht so ein Tempel mit den Spielern?
Das Westfalenstadion ist das A und O, wenn es um Begeisterung geht. Ich hoffe, dass am Samstag eine Stimmung wie bei den BVB-Spielen herrscht, dass beide Teams so richtig nach vorne gepeitscht werden. Fußball braucht unterhaltsame Spiele. Wir wollen ja am Ende immer sagen: Mann, das hat mir großen Spaß gemacht. Und so ein Stadion wie in Dortmund, das kann aus den Spielern immer die letzten Prozente herauskitzeln.
Dann kommen wir direkt zu der Frage, die ganz Fußball-Deutschland umtreibt: Kann Dänemark das DFB-Team wirklich schlagen?
So wie es aktuell aussieht, wie die ersten drei Spiele für Dänemark gelaufen sind (Anmerk. d. Red.: kein Sieg, nur drei Unentschieden und zwei Tore), glaube ich weniger an eine Überraschung. Aber es war immer schon so und ist es auch heute noch, dass die Mannschaft in der Lage ist, gegen größere Gegner über sich hinauszuwachsen. Sie können größere Teams immer irritieren. Das muss auch das Ziel gegen Deutschland sein. Dafür darfst du sie nicht ins Spiel kommen lassen. Gegen die Schweiz (Anmerk. d. Red.: im letzten Gruppenspiel) hat man gesehen, wie es gehen kann. Das war ein kleiner Vorgeschmack. Die Dänen spielen auch als kompakte Einheit. Stark von hinten heraus, auch am Ball. Aber je weiter es nach vorne geht, desto schwächer werden sie. Die defensive Organisation ist eindeutig die Stärke des Teams.
Vor der Offensive muss sich Deutschland also nicht bange sein?
Uns ist es in einer sehr langweiligen Gruppe, in der die Mannschaften nicht ihre Qualitäten zeigen konnten, nicht gelungen, sehr viele Chancen herauszuspielen. Da müssen wir mal gucken, ob das mit ein bisschen mehr Mut, Risikobereitschaft und Eins-gegen-eins-Duellen, falls wir da überhaupt die Qualität haben, besser werden kann.
Der Schlüsselspieler überhaupt im Team scheint weiter Christian Eriksen zu sein, der ja noch bei der vorangegangenen EM mit seinem Herzstillstand für großen Schrecken gesorgt hatte. Was müssen die Deutschen fürchten?
Ja, er übernimmt seit Jahren die tragende Rolle im Team. Er muss dafür sorgen, dass Ruhe in die Mannschaft einkehrt. Er muss aber auch immer direkt die Bälle verteilen, da er direkt hinter den Spitzen spielt. Er ist nicht sehr schnell mit Ball am Fuß und dribbelt auch niemanden aus, dazu ist er nicht in der Lage. Aber er spielt sehr clever, ein bisschen wie Toni Kroos, auch wenn der weitaus erfolgreicher war und ist. Aber von ihrer Spiel- und Denkweise ähneln sie sich schon. Für ihn geht es vor allem darum, die Ruhe reinzubringen. Das haben wir nötig.
Mit Morten Hjulmand ist ein bislang auffälliger Mittelfeldspieler der Dänen gegen Deutschland gesperrt. Wie schwer trifft der Ausfall die Mannschaft?
Er war schon die große Entdeckung im Team. Er hatte vorher vor allem kürzere Einsätze und hatte sich jetzt in die Mannschaft reingespielt. Er hat eine neue Energie reingebracht und viele Duelle gewonnen. Er kann auch gut mit dem Ball umgehen, hat ein schönes Tor gegen England geschossen. Er hat Eriksen und Pierre Emile Højbjerg gut unterstützt, sodass sie ihre Fähigkeiten besser ausschöpfen konnten.
Wer kann oder wird ihn ersetzen und gibt es womöglich Überraschungen in der Aufstellung?
Es kann sein, dass Christian Nørgaard in die Mannschaft rückt. Er ist einer der Spieler, denen Trainer Kasper Hjulmand vertraut. Sonst glaube ich nicht, dass Änderungen vorgenommen werden. Hjulmand hat einen engen Kreis von Spielern. Der Torwart steht mit Kasper Schmeichel, die Abwehr um Jannik Vestergaard auch und im Sturm wird weiter Rasmus Højlund spielen, auch wenn er bislang noch ein Tor erzielt hat.
Woran liegt das? Mit 65 Millionen Euro ist er der teuerste Mann im Kader und hat als Stammspieler bei Manchester United in der Premier League große und wichtige Erfahrungen gesammelt.

Flemming Povlsen glaubt nicht unbedingt an die Dänen-Sensation gegen Deutschland.
(Foto: IMAGO/Gonzales Photo)
Er ist bislang einfach nicht in Szene gesetzt worden. Er ist vorn oft alleine, bekommt wenig Unterstützung, also weder Flanken noch gute Pässe. Er spielt meist mit dem Rücken zum Tor, dabei hat er ganz andere Stärken. Er braucht Räume, ist mit Ball am Fuß sehr schnell und bietet sich auch sonst gut an. Wenn er erst mal unterwegs ist, dann hält ihn keiner mehr auf. Dann kann er eine Waffe für uns sein, aber er hat im ganzen Turnier bisher erst eine gute Flanke bekommen. Und die Chance leider vergeben.
Auch rund um die deutsche Mannschaft wird derzeit viel über die Stürmer diskutiert. Niclas Füllkrug drängt mit seinen Toren ins Team, Kai Havertz kämpft um seinen Stammplatz. Wenn Sie Bundestrainer wären, wen würden Sie aufstellen?
Ich würde auch weiter Havertz spielen lassen, er ist ein Stürmer, der sich viel bewegt. Unsere Abwehrspieler mögen es mehr, wenn sie gegen Leute verteidigen, die nicht so beweglich sind. Harry Kane und Aleksandar Mitrović haben gegen unsere großen Verteidiger keinen Ball gesehen. Wenn es dir gelingt, Havertz mehr ins Spiel zu bringen, mit seiner Technik und seinem Auge, dann ist es auf jeden Fall richtig, ihn von Anfang an zu bringen.
Was wird aus ihrer Sicht denn das Wichtigste sein, damit Dänemark die große Überraschung gelingt? Die Schweizer etwa haben es ja geschafft, Toni Kroos weitgehend aus dem Spiel zu nehmen.
Natürlich werden auch die Dänen ein Auge auf Kroos legen. Von der Mentalität her und auch im taktischen Bereich sind wir den Schweizern ja sehr ähnlich. Aber ich fürchte im deutschen Spiel etwas ganz anderes.
Was denn?
Ich fürchte vor allem die Geschwindigkeit und die Dribbelstärke von Jamal Musiala. Und natürlich auch Florian Wirtz. Auf solche Spielertypen sind wir in diesem Turnier noch nicht getroffen. Englands Bukayo Saka und Phil Foden zählen nicht, weil die komplett außer Form waren. Das ist bei Musiala und Wirtz anders, sie wollen sich der Welt zeigen und haben das auch schon geschafft. Das Tempo wird die große Herausforderung für uns. Unsere Spieler sind im Eins-gegen-eins nicht schnell genug. Vor allem, wenn die Abwehr auch mal nach vorne rücken muss. Deswegen wird Dänemark versuchen, die Räume eng zu halten und die Löcher zu stopfen.
Der deutschen Nationalmannschaft droht der Ausfall der Stamminnenverteidigung. Jonathan Tah ist gesperrt, Antonio Rüdiger noch angeschlagen. Was bedeutet das für Dänemark?
Erst mal bedeutet das, dass Nico Schlotterbeck und eventuell Waldemar Anton weniger Erfahrung haben. Sie haben auch Schwächen mit dem Ball. Sollten beide spielen, sehe ich etwas bessere Chancen für Dänemark. Daraus könnten sie Kapital schlagen und vielleicht über die Schnelligkeit von Højlund gute Konter fahren.
Wie blickt man in Dänemark auf das deutsche Team? Hierzulande rätselt man immer noch über die wahre Leistungsstärke der Mannschaft, die irgendwie nicht so richtig zu fassen ist.
Sie werden schon als sehr starke Mannschaft eingestuft. Wir haben in Dänemark großen Respekt davor, was das DFB-Team in diesem Turnier bisher geleistet hat. Wir sehen die Stärken und wir sehen eine Mannschaft, die mit den Fans im Rücken gewachsen ist. Sie spielen mit viel Selbstvertrauen, vorher gab es viele Zweifel. Das sehe ich nicht mehr. Deutschland will einen attraktiven Fußball bieten, das Spiel mit Ball diktieren. Das ist sehr schwierig, weil du immer Schnittstellen suchen oder Chancen auf engstem Raum generieren musst. Aber das gelingt ihnen häufig. Und sonst haben sie immer noch Füllkrug. Trotzdem haben wir Hoffnung, aber wir brauchen ein wenig Glück und viele Spieler, die zur gleichen Zeit ihre Topleistung bringen. Sonst werden wir überlaufen.
Aus Dänemark hört man auch zunehmende Kritik an Trainer Hjulmand, dabei war er vor drei Jahren noch mit dem Team im Halbfinale und dort England nur knapp unterlegen ...
Die Mannschaft ist lange und gut eingespielt. 2021 waren sie die Darlings von Europa. Sie haben im Land eine große Euphorie ausgelöst. Aber danach haben sie viel Kredit verspielt, es gab nur noch wenige begeisternde Spiele. Die WM war nicht gut und in der EM-Qualifikation gab es mehrere knappe Siege wie gegen San Marino oder Niederlagen wie gegen Kasachstan, auch wenn wir insgesamt erfolgreich waren. Aber die Leute sind nicht zufrieden, fragen sich, ob sie noch Vertrauen haben können. Es gibt viele Fragezeichen hinter der Mannschaft. Das führt dann zu der Kritik an Hjulmand. Die Leute wollen andere Spieler in der Nationalmannschaft sehen und mehr Offensive. Und dann kommt noch hinzu, dass der Trainer manchmal nicht gut kommuniziert hat. Wenn zwei Millionen Dänen nach dem Spiel sagen, "das war nicht gut" und der Trainer sagt, dass er das anders sieht, dann führte das zum Clinch. Aber er kann vieles wiedergutmachen ...
... wenn Dänemark die Deutschen schlägt?
Ja, dann ist die Fußballwelt wieder in Ordnung. Dann scheint in Dänemark jeden Tag die Sonne!
Sie selbst wissen ja, wie es geht. 1992 waren sie bei der großen Sensation dabei, als Dänemark Deutschland im EM-Finale besiegt hat. Gibt es für die aktuelle Mannschaft einen Tipp, der nicht gealtert ist?
Um zu gewinnen, muss man aufs Tor schießen!
Wie geht's also aus?
1:0 für Dänemark, das wäre mein Wunschergebnis. Wir treffen nicht oft, bekommen aber auch nicht so viele Gegentore.
Und Højlund macht's?
Oder ein Eigentor!
Mit Flemming Povlsen sprach Tobias Nordmann
Quelle: ntv.de