Fußball-EM

Zeit für würdigen DFB-AbschiedThomas Müller macht Fußball-Deutschland ein letztes Geschenk

15.07.2024, 11:49 Uhr Bild-AnjaAnja Rau
fd1e49aca956efce9a4acec44e3a4a4a
Das war's. (Foto: REUTERS)

Ein ganz Großer verlässt die DFB-Bühne: Thomas Müller. Damit er die verdiente Würdigung erhält, ist es richtig, dass er sich nach der Heim-EM fürs Ende entscheidet. Das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann funktioniert jetzt auch ohne ihn.

Die Tränen liegen ein paar Tage zurück, die Emotionen haben sich gelegt und der Blick in die Zukunft wird klar: Thomas Müller wird nicht mehr für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielen. Der älteste Feldspieler des Kaders für die Heim-Europameisterschaft schließt das Kapitel DFB-Team. Er sagt "dem Bundesadler Servus". Diesmal endgültig. Und diese Entscheidung ist goldrichtig.

Die Tränen in seinen Augen und in denen seines Bruders auf der Tribüne hatten es vermuten lassen. Die Müllers hatten es schon beim bitteren Viertelfinal-Aus gegen Spanien (1:2 n.V.) im Gefühl: Das war der letzte Akt, der Vorhang schließt sich. "Realistischerweise kann es schon sein, dass das mein letztes Länderspiel war. Ich werde mich mit dem Bundestrainer austauschen", hatte der Ur-Bayer dann auch der Presse gesagt. Und dieser Austausch ging schnell. Am Tag nach dem Ende der Heim-EM machte er seinen Abschied öffentlich. Durchgesickert war er schon länger. Es ist allerdings auch die einzig sinnvolle Entscheidung, die er und Julian Nagelsmann treffen konnten.

Und das, obwohl es eigentlich eine "Patt-Situation" gab. Denn Müller hatte betont, nie seinen Rücktritt als Nationalspieler erklären zu wollen. Und Nagelsmann hatte zu den möglichen Abschieden von Müller, Manuel Neuer und Co. gesagt: "Am Ende finde ich, sind solche großen Spieler auch absolut selber im Lead, das auch selbst für sich zu bewerten und zu entscheiden, was das Beste für ihre Karriere ist." Da ist für eine klare Entscheidung eigentlich kein Platz - dass sie dennoch getroffen wurde, ist lobenswert.

40 Minuten hatte Müller gegen Spanien gespielt, im Turnier war er zuvor nur im Auftaktspiel in seiner Allianz Arena in München für 16 Minuten zum Einsatz gekommen. Eingewechselt unter freudigen "Müller, Müller"-Rufen, bereitete er dann sogar noch den Treffer von Emre Can zum 5:1-Endstand vor. Doch die Zeiten, in denen Müller ein Stammspieler, ein Schwergewicht des DFB-Teams ist, sind schon länger vorbei. Bereits vor der EM hat Nagelsmann Müllers Hauptrolle nicht mehr auf dem Feld gesehen: "Connector" war er, ein "Schmiermittel" für die gute Stimmung der jüngeren mit den älteren Spielern. Außerdem war er so etwas wie der "verlängerte Arm" des Trainerteams, hatte Nagelsmann gesagt. "Er hilft den jungen Spielern", so die Meinung von Rudi Völler.

Die Jungen können ohne Thomas Müller

Doch jetzt haben alle gesehen: Die Jungen im Team können es auch ohne Thomas Müller. Auf dem Platz haben ihm Kai Havertz, Jamal Musiala und Co. den Rang abgelaufen. Das Offensivspiel von Nagelsmann ist erfolgreich, auch ohne, dass im Sturm ein ständiger Unruheherd die gegnerische Abwehr verwirrt. Gegen Spanien wurde offensichtlich, dass er inzwischen etwa deutlich an Tempo verloren hat. Seinen letzten Treffer im DFB-Trikot erzielte er im September 2023 beim 2:1-Sieg gegen Frankreich unter Rudi Völler. Das letzte Turnier-Spiel, bei dem er sich selbst in die Torschützenliste eintrug, war das legendäre 7:1 im WM-Halbfinale gegen Brasilien. Das hatte unlängst sein zehnjähriges Jubiläum. Bei einer Europameisterschaft hat Müller gar nie getroffen.

Und auch abseits des Platzes passt es im Team: Einhellig lobten die Spieler die Stimmung und gute Laune. Sprüche lieferte etwa Deniz Undav, für witzige Aktionen zeichneten den DFB-Inside-Videos offenbar vor allem Joshua Kimmich, David Raum und Robert Andrich verantwortlich. Zum neuen Publikumsliebling ist BVB-Stürmer Niclas Füllkrug avanciert.

Es ist also folgerichtig, dass Müller und der DFB ab sofort getrennte Wege gehen. Müller würde sonst einfach nicht mehr eingeladen und seine Leistung fürs Nationalteam würde im Sande verlaufen. So wie es fast schon gekommen wäre. Nach dem WM-Debakel 2018 wurde er vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw nicht mehr berücksichtigt. 2021 gab er unter Löw bei dessen Abschiedsturnier doch noch sein Comeback, war dann bei der WM 2022 dabei, fehlte aber das kommende halbe Jahr nach dem erneuten Debakel wieder. Lieber ein hartes Ende.

Müllers Strahlkraft wirkt nach

Dem Bundestrainer macht er mit dem Rücktritt, den er einst ausgeschlossen hat, ein Geschenk: Müllers Strahlkraft ist so groß, dass Nagelsmann sich bei kommenden Kaderpräsentationen erklären müsste, warum der Weltmeister nicht dabei ist. Ein junger Nachrücker würde daran gemessen werden, dass er den Kaderplatz des einstigen Platzhirschs einnimmt. So kann Nagelsmann den Neuaufbau des DFB-Teams, das noch vor einem halben Jahr in Schutt und Asche lag, mit Blick auf die Zukunft vorantreiben. Ohne Befindlichkeiten der Öffentlichkeit bedienen zu müssen, die den großen Thomas Müller im Aufgebot vermisst.

So kann Müller jetzt standesgemäß gewürdigt werden, kann einen offiziellen Abschied oder gar ein Abschiedsspiel bekommen. 131 Länderspiele hat der 34-Jährige absolviert, nur Rekordhalter Lothar Matthäus und Miroslav Klose haben mehr. Seine 45 Tore im DFB-Dress haben ebenfalls nur wenige überboten. Als Weltmeister von 2014 ist er ohnehin unvergessen. Vor mehr als 14 Jahren hatte Müller sein Debüt gegeben, acht Turniere hat er gespielt. Es ist eine große Karriere - die gebührend gewürdigt werden soll. Aber dafür braucht es eben auch die harte Entscheidung, zu wissen, wann das Ende gekommen ist.

Quelle: ntv.de

Fußball-NationalmannschaftThomas MüllerFußballDFBJulian Nagelsmann