Romantischer Realist auf Titel-Kurs Löw könnte auch Ballack zurückholen

Joachim Löw hat einen Plan. Und der scheint zu funktionieren.

Joachim Löw hat einen Plan. Und der scheint zu funktionieren.

(Foto: dapd)

Wenn Deutschlands beste Fußballer im Halbfinale der Europameisterschaft stehen, dann haben sie das ihrem Trainer zu verdanken. Der hat einen Plan - und setzt ihn auch um. Weil er dabei stets ein glückliches Händchen hat, würde sich mittlerweile niemand aufregen, wenn er gegen Italien Micky Maus ins Tor stellen würde.

Gegen Griechenland lässt Löw Mario Gomez zunächst auf der Bank.

Gegen Griechenland lässt Löw Mario Gomez zunächst auf der Bank.

(Foto: REUTERS)

Wahrscheinlich könnte er auch Micky Maus ins Tor stellen. Oder Sepp Maier. Er könnte Michael Ballack zurückholen, damit Bastian Schweinsteiger sich ausruhen kann und Horst Hrubesch fragen, ob er noch einmal aushilft, weil die deutschen Fußballer gegen Italien einen kopfballstarken Stürmer brauchen. Und alle würden sagen: Genialer Plan! Keine Angst, Joachim Löw wird das nicht tun. Aber er hat sich bei dieser Europameisterschaft einen Status erarbeitet, der über jeden Zweifel erhaben ist. Was auch immer er tut - es funktioniert. Und wenn er beim Viertelfinale gegen Griechenland Mario Gomez auf die Bank setzt, seinen besten Torschützen bei diesem Turnier. Man könnte sagen: Er hat es geschafft. Ganz unabhängig davon, wie dieses Halbfinale in Warschau am Donnerstagabend ausgehen wird. Nur Joachim Löw würde dem widersprechen. Sein Ziel ist es, diese EM zu gewinnen.

Er ist auf einem guten Weg. Er hatte einen Plan - und den hat er umgesetzt. Er wollte sich den Spaniern nähern, indem er die Mannschaft spielerisch verbessert - um irgendwann den amtierenden Welt- und Europameister mit den ihm eigenen Waffen zu schlagen. Am liebsten schon am Sonntag beim Finale in Kiew. Offensiv wollte er seine Mannschaft spielen lassen, ohne die Abwehr zu vernachlässigen. Das ist ihm gelungen, die vier Siege gegen Portugal, die Niederlande, Dänemark und gegen Griechenland haben gezeigt, dass die DFB-Elf nun einen anderen Fußball spielt als noch vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, von der vor allem die rauschenden Erfolge gegen England und Argentinien in Erinnerung bleiben. Die deutsche Mannschaft setzt nicht mehr vor allem auf Konter, ihre große Stärke ist nicht mehr nur, dass sie blitzschnell von Abwehr auf Angriff umschalten kann. Sie spielt nun gegen meist sehr defensive Gegner einen souveränen, schnellen Kombinationsfußball, der darauf beruht, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten.

"Zu Null spielen ohne zu mauern"

Romantiker oder Realist? Löw will guten Fußball sehen. Und gewinnen.

Romantiker oder Realist? Löw will guten Fußball sehen. Und gewinnen.

(Foto: dpa)

Denn nun sind es die anderen, die auf den schnellen Gegenstoß setzten. Nun ist Deutschland der Favorit, die anderen haben Respekt. Dank Joachim Löw. Das mag gerade in der Vorrunde wenig spektakulär ausgesehen haben. Aber der Bundestrainer kann das erklären. So wie er in diesen Tagen alles erklären kann. Und es immer wieder geduldig tut. "In einem Turnier ist es wichtig, die Balance zu finden." Will meinen: "Zu null spielen, ohne zu mauern." Das ist der Schlüsselsatz. Denn auch wenn er viel Wert auf die Arbeit in der Abwehr legt - von seiner Idee des schönen Spiels hat er sich nicht verabschiedet. Fragen danach, ob er sich vom Romantiker zum Realisten gewandelt habe, findet er absurd. Da wird der höfliche Herr Löw schon mal ein wenig spöttisch. "Diese Fragestellung bedeutet ja jetzt fast schon, dass wir so ein bisschen eine Abkehr haben von unserem Kombinationsfußball. Aber das würde ich jetzt nicht so sehen."

Die ästhetischen Forderungen, die er an den Fußball seiner Mannschaft stellt, sind geblieben. Darauf legt er großen Wert. Doch wenn der Gegner nicht mitspielt, ist das schwer. "Selbst Holland spielt gegen uns dann plötzlich in der eigenen Hälfte." Von daher sei es zwangsläufig, "dass man nicht immer vertikal spielen kann und nicht jeder dritte, vierte Ball" steil im Strafraum der anderen ankomme. Es sei wichtig, "dass man gewappnet ist und nicht ständig im Hurra-Stil nur nach vorne läuft". Dennoch gelte: "Die Offensive ist weiterhin der Schwerpunkt unseres Spiels."

So viel Harmonie, dass es fast weh tut

Vor dem Turnier hatte sich nicht nur die "Süddeutsche Zeitung" gefragt, ob Joachim Löw nur Fußball könne - oder auch Titel. Dreimal war zuletzt für die DFB-Elf kurz vor Schluss Endstation. Bei der WM 2006 im Halbfinale gegen Italien, bei der EM 2008 im Finale gegen Spanien und bei der WM 2010 gewannen im Halbfinale wieder die Iberer. Nun sind sie ganz nah dran. Und Joachim Löw scheint es tatsächlich geschafft zu haben, alle ins Boot zu holen. Seine Spieler glauben an ihn, auch die, die nicht auf den Rasen dürfen. Die Atmosphäre im Team ist so von Harmonie geprägt, dass es fast schon weh tut. Aber wer sieht, wie die Bankdrücker während der Spiele ihre Kollegen anfeuern, wie selbst der ausgebootete Innenverteidiger Per Mertesacker klaglos die Wasserflaschen reicht, wie Lukas Podolski gegen Griechenland nicht in der Startelf steht, aber nach dem Aufwärmen trotzdem freudestrahlend über den Rasen läuft und beim Gang in die Kabine Pressesprecher Harald Stenger abklatscht - der sieht, dass Joachim Löw so viel nicht falsch gemacht hat.

Dabei ist der Bundestrainer beileibe nicht immer der ruhige Souverän. Läuft es nicht so, wie er es sich vorstellt, regt er sich durchaus auf. Leise, wenn irgendjemand viel zu früh die Mannschaftsaufstellung der Öffentlichkeit verrät. Laut, wenn seine Spieler wie gegen Griechenland zu Beginn der Partie eine Chance nach der anderen vergeben. Dann steht er in seinem weißen Hemd an der Seitenlinie, rudert mit den Armen und brüllt. "Da sind einige deftige Flüche über meine Lippen gekommen, das muss ich auch mal zugeben." Auch das erklärt er: "Sehen Sie, mich ärgern Kleinigkeiten. Es gibt Phasen, wo wir nicht den Zugriff hatten auf das Spiel, das ist dann für mich ein bisschen störend."

Seine Spieler aber erreicht er. Mario Gomez hat es im Gespräch mit n-tv.de betont: "Der Bundestrainer hat bisher alles richtig gemacht. Und das Wichtigste ist ohnehin, dass wir nach Kiew zum Finale fahren - und es gewinnen." Da kann dann auch Micky Maus im Tor stehen. Obwohl Joachim Löw wahrscheinlich Manuel Neuer nach wie vor für die bessere Wahl hält.

Quelle: ntv.de

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