"Ich bin nicht im Showgeschäft" Löw spricht über Erfolgsdruck
03.06.2012, 20:32 Uhr
Beim dritten Turnier klappt's mit dem Titel? Löw ist optimistisch.
(Foto: dpa)
Mit dem Bezug des Basisquartiers in Danzig beginnt für Bundestrainer Joachim Löw und die Nationalmannschaft die Titelmission bei der Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Im Interview spricht der Bundestrainer darüber, warum er mehr auf die Bayern als die national dominierenden Dortmunder setzt, wie er mit den hohen Titelerwartungen umgeht, was ihm an Manuel Neuer besonders imponiert hat und was er von sozialen Netzwerken wie Facebook hält.
Helmut Schön, Franz Beckenbauer, Berti Vogts - wissen Sie, wie diese drei Nationaltrainer bei ihrem dritten Turnier abgeschnitten haben?
Joachim Löw: Wahrscheinlich haben sie den Titel gewonnen.
Genau. Betrachten Sie das als gutes Omen oder zusätzlichen Druck?
Für mich ist das dann eher ein gutes Omen.
Gehen Sie in Ihr drittes Turnier als Bundestrainer mit der bislang besten Mannschaft?
Vielleicht mit der talentiertesten Mannschaft. Die jungen Spieler haben eine gute Qualität. Aber manche haben mehr nationale Erfahrung und weniger internationale. Das muss man bedenken.
Borussia Dortmund ist national zur Nummer 1 aufgestiegen. Trotzdem gibt der FC Bayern den Ton an bei der Nationalmannschaft. Ist das ein Widerspruch?

"Die Spieler müssen meine Anforderungen erfüllen.": Jochaim Löw im Trainingslager.
(Foto: dpa)
Blockbildung spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Die Spieler müssen meine Anforderungen erfüllen. Für die Aufstellung entscheidet allein Qualität. Wenn ich Zeit habe, bin ich in der Lage, unterschiedliche Vereine und Philosophien auf eine Linie einzuschwören. Die Dortmunder Spieler sind national sehr, sehr stark, sie sind im Kommen. Aber sie sind international noch nicht ganz so erprobt wie die Bayern. Lahm, Schweinsteiger, Müller und einige andere haben schon bei der WM und auch in der Champions League eine gute Rolle gespielt.
Und die Dortmunder?
Götze, Schmelzer, Gündogan müssen international noch einen Sprung machen bei einem Turnier. Denn eines ist klar: Die EM hat schon noch ein anderes Niveau. Wir spielen - bei allem Respekt - nicht gegen Hoffenheim, Nürnberg und so weiter. Wir spielen gegen die Top Ten der Welt, gegen Spanien, den aktuellen Welt- und Europameister. Das ist das höchste Level.
Wie gehen Sie nach der Rekord-Qualifikation mit zehn Siegen in zehn Spielen mit der riesigen Erwartungshaltung einer ganzen Nation um?
Ich gehe damit entspannt um. Die Erwartungshaltung unserer Fans an die Nationalmannschaft vor EM- und WM-Turnieren ist immer groß. Die Entwicklung der Mannschaft gibt mir als Trainer ein gutes Gefühl. Spielerisch ist vieles besser geworden als vor fünf, sechs Jahren. Trotz des sehr jungen Teams waren wir in der Lage, uns gegen große Nationen fußballerisch gut zu präsentieren. Das gibt mir einen hohen Grad der Zufriedenheit. Unabhängig vom Abschneiden beim Turnier wird die positive Entwicklung dieser Mannschaft in den kommenden Jahren weitergehen.
Aber auch jetzt ist doch der Titelgewinn das Ziel?
Man sollte nicht ständig vom Titelgewinn sprechen. Manche Nationen haben 50 Jahre gewartet wie die Spanier. Wir streben den Titel an, aber wir wollen mit Leichtigkeit spielen und nicht verkrampfen. Wir wollen attraktiven, modernen Fußball spielen - das ist auch ein ganz wichtiges Kriterium für mich.
Sie haben stets betont, man müsse Welt- und Europameister Spanien spielerisch bezwingen. Hat Sie der Champions-League-Triumph von Chelsea mit den Siegen gegen Barcelona und Bayern umgestimmt?
Nein. Von zehn Spielen gewinnt Barcelona acht gegen Chelsea. Es gibt aber immer Unwägbarkeiten, das hat man auch im Finale mit dem vergebenen Elfmeter der Bayern in der Verlängerung gesehen. Spanien muss mit spielerischen Möglichkeiten, mit Druck, mit Ballbesitz und mit schnellem Spiel vor Probleme gestellt werden. Wenn man das nicht kann, und wenn die Spanier nicht völlig desolat spielen oder schlecht mit ihren Chancen umgehen, wird man gegen sie auch nicht gewinnen.
Ist das nur ein Matchplan gegen Spanien oder für das gesamte Turnier?
Wir haben keinen Spanien-Plan, der existiert nicht. Das wäre nicht in Ordnung. Wir müssen erst einmal andere Aufgaben bewältigen. Bei uns gibt es natürlich einen Spielplan. Er beinhaltet, unsere Spielweise zu verfestigen, sie durchzubringen, die Spielfreude und Risikobereitschaft beizubehalten, auch wenn die Brisanz hoch ist. Darum gibt es einen Spielplan Richtung Portugal, Richtung Holland und Richtung Dänemark. Dann sieht man weiter. Aber unsere Spielweise wird sich nicht gravierend verändern, egal wie weit wir kommen.
Niederlande, Portugal, Dänemark - kann man diese Rangfolge in der Schwierigkeit der Gruppengegner aufstellen?
Ich möchte keine Rangfolge aufstellen. Wir müssen in jedem der drei Spiele unsere Höchstleistung bringen, wenn wir bestehen wollen. Portugal und die Niederlande sind fußballerisch und von ihrer Offensivkraft auf einem hohen Niveau. Dänemark spielt natürlich anders, ist aber auch immer ein unangenehmer Gegner. Da gibt es nur Nuancen, die unsere Gegner unterscheiden.
Wie sehr haben sich Mesut Özil und Sami Khedira in den zwei Jahren bei Real Madrid weiterentwickelt?
Sie sind sehr gewachsen. Sie haben extrem von der WM 2010 profitiert und der Zeit in Madrid. Sie haben jetzt die spanische Meisterschaft gewonnen, das ist ein Titel mit großer Reputation. Sie spielen bei einem der größten Vereine der Welt. Sie müssen tagtäglich um ihren Platz bei Real kämpfen und haben sich durchgesetzt. Sie haben in ihrer körperlichen und psychischen Robustheit noch einmal zugelegt. Sie machen von ihrer Reife her einen sehr guten Eindruck. Das Auslandsengagement hat bei ihnen schon etwas bewirkt.
Hat Özil das Zeug zum Star dieser EM?
Mesut Özil ist - unabhängig von dieser EM - einer der besten Fußballer überhaupt. Klar, muss man das immer wieder unter Beweis stellen bei den ganz großen Turnieren. Aber wer bei Real Madrid so eine gute Rolle spielt, so viele Tore vorbereitet und so eine fußballerische Akzeptanz besitzt, gehört automatisch zu den Besten, die es weltweit gibt.
Özil und Khedira wechselten nach der WM 2010 zu Real Madrid, Per Mertesacker in dieser Saison zu Arsenal. Dahin folgt nun Podolski. Glauben Sie, dass es bis zur WM 2014 in Brasilien noch mehr deutsche Nationalspieler im Ausland geben wird?
Grundsätzlich freut es mich, dass unsere Spieler seit 2010 international wieder stark gefragt sind, dass um solche Spieler wieder gekämpft wird von den Topvereinen. Das ist auch ein Zeichen, dass wir in Deutschland auf einem guten Weg sind. Wichtig ist, dass die Spieler zum richtigen Zeitpunkt ins Ausland gehen. Für Özil und Khedira war es ein guter Zeitpunkt. Ich glaube, dass ist es jetzt auch für Podolski.
Gerade Ihre jungen Nationalspieler nutzen Facebook und Twitter. Wie gehen Sie mit den sozialen Netzwerken um?
Für mich spielen sie nur eine ganz untergeordnete Rolle, weil ich teilweise auch schlechte Erfahrungen damit mache. Bei Facebook gibt es ja Leute, die unter meinem Namen eine Seite betreiben. Das kann ich nicht akzeptieren. Aber ich verstehe auch die Spieler, das ist eine andere Generation. Für sie ist es vollkommen normal, dass sie Bilder rausschicken, dass sie Dinge in die Öffentlichkeit geben, was sie empfinden oder was sie so tun. Ich suche den Kontakt mit ihnen per Telefon oder E-Mail. Das ist mein Stil, das ist für mich in Ordnung, mehr nicht. Für die EM haben wir die Spieler informiert, welche Regeln es für ihre Aktivitäten in den sozialen Medien gibt.
Sie meiden Talkshows, treten nicht politisch in Erscheinung und beteiligen sich nicht an öffentlichen Debatten. Wann würden Sie Ihre besondere Position als Bundestrainer nutzen und sich einbringen?
Ich bin nicht im Showgeschäft und bin auch nicht auf politischer Ebene tätig. Ich tue das, was für mich an erster Stelle steht. Bundestrainer zu sein, bedeutet für mich, sich voll auf Fußball zu konzentrieren. Darum fällt es mir nicht schwer, bei manchen Dingen nicht in Erscheinung zu treten, weil ich ohnehin genug im Fokus stehe. Ich habe sehr viel Öffentlichkeit und Präsenz, darum muss ich mir auch Rückzugsmöglichkeiten genehmigen."
Quelle: ntv.de, mit Joachim Löw sprachen Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa.