Wäre ter Stegen bessere Wahl? Neuers nächster Fehler eröffnet große Torwart-Diskussion

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Manuel Neuer steht unter Beobachtung. Weil die Nummer 1 beim FC Bayern und in der DFB-Elf folgenschwer patzt, muss Bundestrainer Julian Nagelsmann sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Denn mit Marc-André ter Stegen sitzt ein Weltklasse-Keeper tatenlos auf der Ersatzbank.

Ein glücklicher Polizist in schusssicherer Weste holte sich kurz vor Mitternacht das letzte Autogramm, bevor Manuel Neuer nachdenklich in den Mannschaftsbus stieg. Um jeden Preis hatte der Nationaltorhüter einen weiteren Fehler vermeiden wollen - stattdessen begleiteten ihn eine Woche vor der Heim-EM unliebsame Schlagzeilen in eine sternklare Nacht: "Die neue T-Frage" oder "Nagelsmann in der Torwart-Klemme".

Dass der lange Zeit unbestritten beste Torhüter der Welt inzwischen eben nicht mehr schusssicher ist, kann auch der Bundestrainer überhaupt nicht gebrauchen. Als Julian Nagelsmann nach dem Abpfiff der auch sonst mauen EM-Generalprobe gegen Griechenland (2:1) versuchte, die Debatte zu ersticken, war sie über Social Media und in den Wohnzimmern längst vom Flämmchen zum Flächenbrand geworden.

Ist Manuel Neuer noch die beste Option für das deutsche Tor? Was viele Fans grübeln lässt, ist für Nagelsmann weiterhin ein klares Ja, basta. "Ich lasse keine Diskussion aufkommen, auch wenn es jeder probiert", sagte der Bundestrainer bestimmt über die Rolle des 38-Jährigen: "Er hatte drei Weltklasseparaden, es ist alles in Ordnung." Die Phrase, derzufolge "der Manu" schon so viele Spiele gerettet habe, war in der Mixed Zone anschließend allenthalben zu hören, von Pascal Groß bis Jamal Musiala.

Mehrere Neuer-Fehler in den vergangenen Wochen

Neuer selbst räumte ein, er hätte "den Ball besser wegbringen müssen", er war ihm nach einem an sich harmlosen Hoppel-Schuss des Düsseldorfer Zweitliga-Torschützenkönigs Christos Tzolis von Brust und Gesicht nach vorne geprallt. Giorgos Masouras schob ein. Neuer verwies allerdings wie Nagelsmann auch auf die Entstehungsgeschichte: Jonathan Tah hatte Musiala mit einem fatalen Pass aus dem eigenen Strafraum in Not gebracht, der verlor den Ball sofort bei der Annahme. "Da gehören immer mehrere dazu", analysierte Neuer, "aber ich schaue jetzt auf mich."

Dieser Blick bringt die Erkenntnis, dass sich seine Fehler häufen. Im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid war ihm nach vorheriger Weltklasse-Leistung ganz Ähnliches passiert. "Von 10.001 Bällen hält er den 10.000-mal", sagte Bayern-Trainer Thomas Tuchel - aber die Nummer 10.001 kam zuletzt immer wieder. Neuer patzte beim Bundesliga-Finale gegen die TSG Hoffenheim mehrfach, gegen die Ukraine stürmte er in der 88. Minute aus dem Tor Richtung Mittellinie, um dort zu klären, chippte den Ball aber einem Gegenspieler in den Fuß. Nur eine Abseitsstellung verhinderte das 0:1.

Und nun: das. Nagelsmann nannte das Phänomen, dass eine Sekunde ein ganzes Spiel bestimmt, "das Kreuz des Torhüters. Wenn du eine Situation nicht perfekt löst, ist es immer ein Gegentor. Wir haben aber vorher drei Situationen, die wir nicht spielen dürfen - dann kommt auch kein Abschluss zustande."

ter Stegen ist mit Nagelsmann uneinig

Immerhin retteten Kai Havertz und Groß mit ihren Toren die Stimmung, die Brisanz dürfte dem Bundestrainer dennoch gegenwärtig sein. Marc-André ter Stegen, seit Jahren auf hohem Niveau Stammtorhüter des FC Barcelona und in der Nationalmannschaft während Neuers langer Verletzungspause der brave Platzwarmhalter, hat gerade erst sein Unverständnis über die EM-Entscheidung geäußert: Er sei in dieser Sache "nicht einer Meinung" mit Nagelsmann.

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Der langjähriger Bundesliga-Trainer Ewald Lienen sagte nach Spielschluss im Interview mit ntv.de, dass schon lange "die Zeit reif ist, Marc-André ter Stegen eine Chance zu geben". Neuer habe "durch seine Verletzungen keine Kontinuität über einen längeren Zeitraum. Dadurch passieren dann solche Fehler" wie gegen Griechenland, Real Madrid oder die TSG Hoffenheim. "Und im März, als wir alle dachten, Deutschland spielt jetzt plötzlich so toll wie Bayer Leverkusen oder der VfB Stuttgart, da stand ja ter Stegen im Tor", so Lienen.

Auch Nagelsmann hatte wiederholt betont, aus den März-Länderspielen gegen Frankreich und die Niederlande auch eine personelle Kontinuität ableiten zu wollen - auf Neuer hatte er sich da allerdings schon festgelegt. Einen Wechsel der Nummer eins vor dem EM-Auftaktspiel gegen Schottland am Freitag in Neuers Heimat München wird es jedenfalls nicht geben. Nagelsmann hofft, dass Neuer sich stabilisiert und ein überzeugendes Turnier spielt. Und dass der Schuss Nummer 10.001 erst gar nicht abgegeben wird.

Quelle: ntv.de, tsi/sid

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