Tabea Kemme über WM-Debakel "Das ist das gröbste Foul des DFB"

Tabea Kemme ist während der WM für MagentaTV im Einsatz.

Tabea Kemme ist während der WM für MagentaTV im Einsatz.

(Foto: MagentaTV)

Beim Deutschen Fußball-Bund soll alles besser werden nach der erneut enttäuschenden Weltmeisterschaft. Eine Taskforce soll die Weichen für die Zukunft stellen. Doch dieses Gremium selbst sorgt für viel Kritik. Warum Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme unzufrieden ist, was sie besser machen will und warum das nur gemeinsam geht, erklärt sie im Interview.

ntv.de: Das WM-Finale steht an, Deutschland ist nicht dabei und doch steht der DFB im Fokus. Sie haben die eingesetzte Taskforce scharf kritisiert. Wer selbst Veränderungen fordert, soll auch selbst anpacken, heißt es gern. Hat der DFB Sie gefragt, ob Sie das wollen? Wären Sie bereit für einen Job im Verband?

Tabea Kemme: Ich wurde nicht gefragt. Ich war gar kein Thema. In der Live-Schalte bei MagentaTV mit Johannes B. Kerner und Bernd Neuendorf (DFB-Präsident, Anm.d.Red.) hat sich aber ergeben, dass ich mich jederzeit melden kann, solange mein Interesse da ist. Dann habe ich natürlich direkt die Nummer ins Handy gekloppt und habe durchgerufen. Das wird auf ein Treffen im Januar hinauslaufen, um diesen Austausch zu haben, um Themen zu setzen, die mich sehr geprägt haben in meiner Karriere, auch beim DFB. Es ist ja nicht immer alles Gold, was glänzt. Aber ich sag mal so, die Werte, die mir der Sport gelehrt hat, da würde ich mir wünschen, dass man die auch in dem ganzen Konstrukt sieht. Dass das transparent dargestellt wird, das fehlt mir schon sehr stark.

Was ist der Grund, warum Sie sich engagieren wollen?

Ich bin jetzt 31 Jahre alt geworden. Ich war zwölf Jahre lang, von den Jugend-Nationalmannschaften bis zum A-Team, im DFB immer dem Loyalitätsprinzip untergeordnet, hatte auch so meine inneren Kämpfe, die wir immer angesprochen und kritisch beleuchtet haben. Letztlich musste ich mich bei den Maßnahmen immer als Mensch zurückschrauben. Andererseits ist immer die Forderung da, dass wir mehr Führungsspieler*Innen brauchen. Aber wenn wir diesen Rahmen nicht aufbrechen können, dann ist es ein Teufelskreis.

Dazu passt, dass Sie es kritisch sehen, dass immer über die Aktiven entschieden wird und diese nicht eingebunden werden. Macht das was mit der eigenen Denke?

Zur Person

Tabea Kemme (*14. Dezember 1991) ist als Fußballerin Olympiasiegerin geworden, ist vierfache Deutsche Meisterin und Champions-League-Siegerin. Sie spielte zehn Jahre für den 1. FFC Turbine Potsdam, sowie ein Jahr für den FC Arsenal. Anfang 2020 musste sie ihre Karriere aufgrund einer langwierigen Knieverletzung beenden. Inzwischen arbeitet sie als TV-Expertin.

Bei MagentaTV begleitet sie die Fußball-Weltmeisterschaft und ist auch während des WM-Finals zwischen Frankreich und Argentinien (Sonntag, 16 Uhr/MagentaTV, ARD und im ntv.de-Liveticker) im Einsatz.

Auf jeden Fall! Ich sag' mal so: Man härtet ab. Einem wird immer signalisiert, letztlich bin ich doch nur die Protagonistin auf dem Platz und das ist mein Job, in dem ich doch bitte Leistung bringen soll. Dann können wir vielleicht später darüber reden, irgendwas anderes zu machen.

Aber das ist doch widersprüchlich, wenn Fußballprofis gleichzeitig die Massen auch mit ihrer Persönlichkeit mitnehmen sollen?

Genau. Zumal es immer heißt, ich soll maximal performen. Klar, intrinsisch bin ich immer motiviert als Athletin. Aber es gehört mehr dazu als nur die physische Performance, auch eine Identifikation. Es macht was mit dir, wenn du das ganze Land hinter dir hast, wenn du so eine geile Verbindung mit den Zuschauer*Innen hast. Wenn man dieses geile Fußballfestival einfach zelebrieren kann, alle liegen sich in den Armen und feiern das hart ab, weil es einfach eine schöne Atmosphäre ist.

Doch derzeit ist es ein absolutes Gegeneinander und dazu kommt noch die Kritik, dass jetzt auch die Medien dagegenstehen. Ich glaube, man hat dieses Momentum der absoluten Transparenz verpasst. Die Krisenkommunikation ist wirklich ungenügend vonseiten des DFB. Denn es ist doch eigentlich ein Privileg für mich als Person des öffentlichen Lebens, Fußball spielen und damit mein Geld verdienen zu dürfen, ein ganzes Land vertreten zu können. Da sehe ich mich doch in der Pflicht, eine gewisse Transparenz zu leisten.

Und da jetzt auch noch gegen die Medien zu pöbeln, das passt alles mega zusammen, weil es einfach scheiße läuft. Ich vermisse dieses Eingeständnis: Okay Leute, das ist wirklich miserabel gelaufen. Klar, erstmal vor allem auf dem Platz, aber wir haben insgesamt eine Menge aufzuarbeiten.

Sie haben angeprangert, dass die Vergangenheit die Zukunft kurieren soll. Dass nur ältere Männer der Taskforce angehören, die schon zuvor viel zu sagen hatten. Inwieweit würde der Sport, der Fußball an sich, davon profitieren, wenn der DFB sich anders und neu aufstellt?

Dann würden wir der Verantwortung nachkommen, was der Sport alles leisten kann. Wir sind der mitgliederstärkste Verband und ich habe das Gefühl, es gibt eine riesige Diskrepanz. Die WM war ja schlussendlich nur das i-Tüpfelchen, was ganz klar gezeigt hat, dass Deutschland aktuell keine große Identifikation mit dem Fußball, mit dem DFB hat. Das ist eine herbe Niederlage, dass man es geschafft hat, diese Kluft über die Jahre noch größer werden zu lassen. So gern ich auch den Bundesadler auf der Brust getragen habe, so stolz ich sein konnte, international mein eigenes Land vertreten zu dürfen, so wenig empfinde ich diese Identifikation derzeit. Das tut schon weh. Dass ich für den Sport so viel gemacht, so viel gegeben habe und ich eigentlich auch immer super viel zurückbekomme, aber immer nur auf der Ebene der Spielerin. Klar, wenn der Erfolg da ist, müssen wir nicht drüber reden, dann sind alle happy. Aber ich finde, jetzt in so einer Phase, in der man nicht erfolgreich ist, da kommt oftmals der wahre Charakter raus und das finde ich schon ein bisschen traurig.

Es geht Ihnen also mehr um Identifikation und Fan-Nnähe als die Weiterentwicklung des Sports an sich?

Ich glaube, die Identifikation kommt mit der Art und Weise, wie wir den Sport treiben, wie wir die Werte im Sport leben, das ist für mich eins. Damit kommt dann bei den Zuschauer*Innen dieses Gefühl: "Boah, geil, damit will ich mich identifizieren, da bin ich inspiriert, ich kaufe mir dieses scheiß teure Trikot, weil ich Fan davon bin." Dieses Gefühl ist verloren gegangen, weil sorry, aber womit soll ich mich identifizieren? Die Spieler werden kleingehalten, das ist in diesem System so. Ich habe keine Orientierung bei diesem Verband, bei dieser Sportart Fußball.

Das, was Sie vorhin beschrieben haben: Massen begeistern, erfolgreich sein, mit den Fans gemeinsam feiern, diese kaufen sich Trikots. Das ist alles passiert in diesem Sommer, halt bei den Frauen des DFB. Müsste sich der Verband nicht einfach selbst betrachten und feststellen: Eigentlich können wir es doch.

Genau. Das ist ein Aspekt jetzt auch während der WM, weil mit Almuth Schult bei der ARD eine aktive Spielerin, nicht wie ich eine ehemalige Spielerin, vertreten ist. Trotzdem ist man so fokussiert auf den Männerfußball und dass eigentlich gerade keiner Bock hat auf den Männerfußball, bei dem, was gerade läuft. Aber lass uns doch mal bitte darauf schauen, dass wir nächstes Jahr die WM der Frauen haben. Wir haben diesen Sommer so krass zusammen zelebriert. Es gibt auch eine Dokumentation ("Born for this - Mehr als Fußball" von ARD, Sky, MagentaTV, Warner Bros., DFB, VW und Adidas, Anm.d.Red.) über die Frauen, bei denen man denkt, okay, das sind keine Außerirdischen, die auf einem anderen Planeten leben, sondern die sind doch eigentlich genauso wie wir, weil das ist das, was wir verkörpern.

Darüber sollte man doch einen Mehrwert schaffen, Fußball gemeinsam zu zelebrieren und nicht zu differenzieren. Das ist auch eine herbe Enttäuschung bei den ganzen Diskussionen. Beim DFB zu sagen "Wir fokussieren uns jetzt nur auf den Fußball der Männer", das ist das gröbste Foul. Autsch, ihr habt einfach nichts verstanden. Dass so klar differenziert wird zwischen Männerfußball und Frauenfußball auch beim größten Verband. Da sieht man wieder den Stellenwert.

Das ist ja nicht nur beim Verband so, sondern das Totschlagargument lautet häufig: Frauen haben im Männerfußball nichts zu suchen. Was antworten Sie den Personen, die das sagen?

Ich habe Mitgefühl für diese Menschen. Ich habe einiges lernen dürfen, was das angeht, ich bin dem ausgesetzt, seit ich 14 Jahre alt war. Letztlich mache ich deutlich, dass wir doch das Gleiche teilen, Leidenschaft und Hingabe für diesen Sport. Dann versuche ich, ein Momentum zu schaffen, einen Austausch auf Augenhöhe zu haben, und - das ist die Kunst - diese Erkenntnis bei dem Gegenüber, häufig einem Mann, zu erzeugen: Warum unterscheide ich eigentlich? Sie hängen häufig in diesen Vorurteilen: Der Fußball der Frauen ist so langsam und was man sich da immer anhören kann. Beim Fußballspielen selbst widerfährt es mir ganz oft - ich zocke häufig mit und gegen Männer -, dass man sich dabei auf Augenhöhe begegnet und ich aufzeigen kann, eigentlich sind wir doch gleich, bis auf die unterschiedlichen Geschlechternormen, in denen wir festhängen.

Aber es passiert was, wenn sogar die Hardcorefans vom HSV mit 2000 Menschen am Bolzplatz die Frauen in der Regionalliga unterstützen wollen. Da merkt man auch, dass es doch nicht so schlecht ist.

Das heißt, Sie geben die Hoffnung nicht auf, dass sich auch beim DFB etwas verändert? So lange ist es bis zur Heim-EM 2024 nicht mehr hin.

Immer. Daher nutze ich die Möglichkeit, mich mit Bernd Neuendorf zu treffen. Ich habe mich kritisch geäußert zu den Herrschaften in der Taskforce, doch es bringt nichts, das nur grob zu verurteilen. Es geht um den Austausch, was ist eigentlich das Empfinden der Spieler*Innen? Letztlich wollen sie beim DFB genau das Gleiche, nämlich dass es wieder aufwärts geht. Und da will ich die Gunst der Stunde zu nutzen, nicht immer nur zu pöbeln, sondern auch gemeinsam in den Austausch zu gehen und zu versuchen, wieder aufwärtszukommen.

Wir alle haben noch die Stimmung von 2006 im Kopf, von der Sommermärchen-WM. Ist es ein zu hehres Ziel, dass Fußball-Deutschland da wieder hinkommt?

Das steht und fällt mit den Verantwortlichen. Ich bin sehr inspiriert von Lise Klaveness, der Präsidentin des norwegischen Fußballverbands. Als sie ins Amt kam, hat sie eine Umfrage gemacht zu den Wünschen und Zielen der Mitglieder. Letztlich geht es doch darum, von oben das zu repräsentieren, was alle wollen. Für den DFB wäre das: Was will die Fußballnation Deutschland? Über Werte hinaus, über Nachhaltigkeit hinaus, denn letztendlich haben wir einfach Bock, 90 Minuten Fußball zu zelebrieren, was soll dazu gehören? Dieses Bewusstsein zu haben, es geht doch um euch. Da müsste der DFB total im Hintergrund sein.

Jeder muss sich da genau überlegen: Was ist eigentlich meine Rolle? Habe ich diese Funktion, weil ich unbedingt die Funktion haben will oder wegen der Sache? Da müssen wir alle mal ehrlich in den Spiegel gucken, die Antwort hat jeder in sich selbst. Darin liegt sehr viel Energie, das Ruder herumzureißen.

Mit Tabea Kemme sprach Anja Rau

Quelle: ntv.de

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