
Hans-Joachim Watzke hat's gerichtet.
Es waren dramatische Stunden für alle Fans des BVB im Frühjahr 2005, als die Borussia ganz kurz vor der Insolvenz stand. Damals redete man in Dortmund bereits über einen Neuanfang in der Kreisliga. Nun schildert ein Buch den Tag, als Rauball und Watzke den BVB retteten.
"Einen solchen Tag wie den heutigen möchte ich nie wieder erleben. Es war mit das Schwerste, was ich je durchgemacht habe", lässt der Autor Jan Philipp "Pini" Platenius des frisch erschienenen Buchs "Als der BVB pleite war und wir die Gelbe Wand wurden" noch einmal in der Erinnerung den damaligen Präsidenten Dr. Reinhard Rauball sagen. Und Platenius fährt fort: "Damit sprach er aus, wie es mir und Tausenden anderen Fans, obwohl gar nicht aktiv involviert, ging."
"Pini", wie er bis heute nicht nur von seinen Freunden genannt wird, ist ein Ultra der ersten Stunde. Einer der jungen Allesfahrer, die Anfang der 2000er langsam die Macht in den deutschen Stadien für sich eroberten. 20 Jahre später beginnt Platenius sein Buch über die so ereignisreiche wie dramatische Saison 2004/05 mit Erinnerungen an damalige Helden und Vorbilder. Zwei von ihnen waren Jan Hippler und Rambo: "Ihre Zaunfahnen 'Datteln' und 'Ruhrpott Rambos' hingen überall und in ihren Fanzines 'Bierstadt Kurier' und 'Suff olé' schilderten sie ihre Reisen." Es sind Blicke auf eine Fankultur einer längst vergangenen Zeit. So auch Pinis Erinnerungen an ein Trainingslager des BVB zwei Jahre zuvor, als die Borussia "das Spiel gegen Kocaeli Birlik SK im Aqua-Nova-Cup 1:0" gewann. Was für Namen!
Platenius' Buch ist auch ein Blick in das Innerste, der bis heute viel diskutierten und immer noch umstrittenen Ultra-Kultur. Damals war auch für die meist sehr jungen Fans der ersten Ultra-Generation in Deutschland noch alles frisch und neu. Und es passierten Dinge, die einen im Rückblick irritiert schmunzeln lassen: "Bei dem Spiel in Braunschweig 2004 waren wir mit etwa 130 Leuten vor Ort. Minus zwei Wolfsburger, die mitsamt ihrer Fahne aus dem Gästeblock gebeten wurden. Zwei Wolfsburger, die in einem BVB-Block in ihren Vereinsklamotten auftauchen und dann auch noch ihre Fahne aufhängen - eine Geschichte, die nur aus einer anderen Zeit stammen kann und heute völlig undenkbar ist."
Fans sind in großer Sorge
Pinis Schilderungen verdeutlichen immer wieder den Spagat, dem die BVB-Fans damals ausgesetzt waren. Die Borussia, die nur Jahre zuvor eine unfassbar große Menge Geld beim Börsengang eingenommen hatte, bereitete den Anhängern - für die ihr Verein das Allergrößte war - ab dem Sommer 2004 zunehmend Sorgen. Es machten erste Gerüchte die Runde, dass der BVB pleite wäre: "Die neusten Geschichten waren, dass einige Spieler ihr Gehalt verspätet und Trainer Bert van Marwijk seine Vergütung nur 'nach mehrfachem Drängen' bekommen hatte." Doch im Alltag versuchten die Fans, ihre Ängste um den Klub möglichst auszublenden. Sie lebten ihr junges, wildes Leben als Ultras.
So wie in dieser herrlichen Geschichte vom Spiel des BVB beim Reviernachbarn VfL Bochum: "Die Bochumer Ostkurve präsentierte zu Spielbeginn vier 'gezockte' BVB-Schals, eine Gummipuppe im BVB-Trikot an einem Galgen, ein Spruchband und ein bisschen Luftballons und Kassenrollen. Auf Dortmunder Seite gab es das Spruchband 'Ja und?', auch wenn wir vorher gar nicht wussten, was die Gegenseite vorhatte.
Interessanter war aber eigentlich noch das Spruchband 'Derby wird schön', das leider im Vorfeld von den Ordnern eingesammelt wurde. Zum einen war es eine Anspielung darauf, dass für uns Schalke der Erzfeind ist und Bochum eher so nebenherläuft, während wir für Bochum Feind Nummer Eins waren. Zum anderen hatten wir in der Vorsaison aus eben diesem Grund das Spruchband 'Derby war schon' gezeigt, was Gelsenkirchen später in der Saison nach dem Derbysieg gegen uns mit dem Spruchband 'Derby war schön' konterte. Woraufhin die Leverkusener ebenfalls in Bochum das Spruchband 'Derby wär schön' auspackten, weil der 1. FC Köln in der Saison gerade mal wieder in der Zweiten Bundesliga spielte. Lustige Zeiten."
Manche Medien glaubten nicht an die Insolvenz
Doch der Tag der Entscheidung über die finanzielle Zukunft der Borussia rückte immer näher - und auch Pini und seine Freunde konnten diese Momente nicht mehr ignorieren: "Manche Medien glaubten nicht an die Insolvenz, andere Medien und Fans sprachen von einem Neubeginn in der Kreisliga, andere von der Oberliga und an verschiedenen Orten lagen schon vermeintliche oder echte Pläne für die Katastrophe in den Schubladen."
Und dann stand die Stunde der Wahrheit ganz kurz bevor: "Sonntag, dem 13.03.2005, spielten wir zu Hause gegen Stuttgart. Es war der letzte Tag vor Molsiris-Montag. Ich habe meine eigenen Gefühle und auch die Stimmung im Stadion als gespenstisch und angespannt in Erinnerung. Wir wussten einfach nicht, ob es das letzte Mal ist, dass wir den BVB sehen, überhaupt oder zumindest in den nächsten Jahren und in dieser Form. Ein Gefühl, dass man wirklich keinem Fan oder zumindest nur den Fans eines einzigen Vereins wünscht. Es wird mir heute noch ganz schlecht, wenn ich daran denke."
An diesem legendären Montag ging es in Düsseldorf um nicht weniger als die Zukunft von Borussia Dortmund. Platenius erinnert an die Umstände: "Molsiris war der Immobilien-Fonds, dem das Westfalenstadion gehörte und der es an den klammen BVB vermietete. Hinter Molsiris stand aber nicht eine einzelne Person. Der Fonds aus dem Hause Commerzbank hatte fleißig Anleger für den Kauf des Westfalenstadions geworben." Und diese Anleger stellte man an diesem Tag nun vor die Entscheidung, ob sie einem Sanierungskonzept zustimmten oder nicht. Es sei die "Wahl zwischen einer miesen und einer miserablen Alternative" gewesen, meinte ein Anleger später. Es war aber auch die Stunde von drei Männern, denen die BVB-Fans bis heute sehr dankbar sind: "Dr. Rauball, Watzke und Rölfs (Wirtschaftsprüfer, d. Red.) machten einen super Job bei der sechsstündigen Aussprache mit den Anlegern."
"Gegen 15.30 war es endlich so weit: Der Sanierungsplan hatte eine Zustimmung in Höhe von 94,4 Prozent erhalten", schreibt Platenius in seinem äußerst lesenswerten Buch "Als der BVB pleite war und wir die Gelbe Wand wurden" - und ergänzt: "Meinetwegen hätten sie die laufende Saison jetzt aber auch einfach abbrechen können. Wir hatten alles erreicht und ich war vollkommen leer." Im Nachhinein wurde der 14. März 2005 zur Geburtsstunde des neuen BVB. Aki Watzke übernahm das Ruder und - was eigentlich kein Fan der Schwarz-Gelben damals in diesen dramatischen Stunden für möglich gehalten hätte - nur sechs Jahre später feierte Borussia Dortmund mit seinem Trainer Jürgen Klopp bereits wieder die Deutsche Meisterschaft. Die Grundlage für all die Erfolge danach wurde einzig und allein in der Saison 2004/05 gelegt - als die Borussia der kompletten Pleite nur hauchzart entging und die Fans lange um ihren Verein zittern mussten.
Quelle: ntv.de